Mut zur Lücke

Dynamo gewinnt 1:1 gegen Waldhof Mannheim

Zugegeben: Ich war in den letzten Jahren nicht gerade ein Dritte-Liga- Connaisseur, so dass – abgesehen vom Ex-Schachter Ferati – kein Waldhof-Spielername meine Synapsen in Bewegung brachte. Wer sich aber das 2:2 der Mannheimer gegen Victoria Köln am ersten Spieltag angesehen hat, konnte wissen, was da auf die SGD zukommt: eine konterstarke und ballsichere Elf, die zwar ein Problem mit der Chancenverwertung hat, aber im Vorwärtsgang den Doppelpass als probates Mittel dauerhaft zu trainieren scheint. Nach den 90 Minuten im Harbig-Stadion musste man aber vermuten, dass die Dresdner Akteure all das nicht richtig verinnerlicht hatten, dafür aber die Corona-Regel „Abstand halten!“ im Kopf hatten.

Irrungen und Wirrungen im Mittelfeld

Es sollte ein arbeitsreicher Tag für Kevin Broll werden, und der fordert den Grün-Keeper schon nach 120 Sekunden: Die Gäste-Elf spielt sich blitzschnell über links durch, und auf einmal steht Ferati frei vor dem Tor, aber Broll hält den Schuss aus wenigen Metern und spitzem Winkel. Kurz danach muss Tim Knipping mit vollem Einsatz einen Ballverlust von Patrick Weihrauch ausputzen. Es sollte nicht der letzte Patzer des sonst so ballsicheren Zehners sein. Dafür scheint Agyemang Diawusie einen guten Tag erwischt zu haben. An der Seite geht er an allen vorbei bis zum letzten Kreidestrich und mit Schmackes rein vors Tor, wo aber Christoph Daferner um Zentimeter das lange Eck verpasst. Dahinter zeigt sich Max Kulke bei seinem ersten Saisoneinsatz als Becker-Ersatz durchaus selbstbewusst und offensiv zielstrebig, wird aber im Spielverlauf auch immer mal schwächeln und auf der Suche nach dem Laufweg sein.

Auf der anderen Seite kehrte wir erwartet Chris Löwe zurück, hinter den Spitzen gab der Trainer dem wuseligen Sascha Horvath den Vorzug, was Weihrauch etwas mehr in die Defensive zwang – ein Schachzug, der an diesem Nachmittag nicht aufgehen sollte. Denn als Ballverteiler fehlt Horvath oftmals die Übersicht und die Chuzpe im EinsgegenEins, und auf der Sechs mag ein Marco Hartmann – wenn er Zeit hat, sich reinzuspielen – besser als Weihrauch aufgehoben sein. Auf jeden Fall hat diese Idee des Trainers nicht gefruchtet, denn im Mittelfeld herrschte in vielen Situationen Unklarheit, gab es Fehlpässe, Bälle, die im Seitenaus landeten, und herzlich wenig Stoff für den vorn etwas vereinsamten Daferner, der einmal mehr weite Wege im Rückwärtsgang gehen musste. Dazu kam, dass die Mannheimer Defensive Flanken und Standards beherzt verteidigte und manchen Dresdner Offensivansatz im Keim per Foul erstickte.

Apropos Foul: Man muss sich nun auch wieder daran gewöhnen, dass man in dieser Saison auch in Sachen Schiri drittklassig ist. Für Lasse Koslowski war es die Premiere in Liga 3, und die bewältigte er bemüht, aber ohne klare Linie – vor allem in der Zweikampfbewertung und in der Vorteilsauslegung zeigte er sich schwankend. Und auch seine Wingman sprühten nicht vor Entschlossenheit, zeigten bei Ballaus oft erst mit der Fahne die Richtung an, wenn es der Mann in Schwarz beurteilt hatte. Nicht überzeugend.

Überzeugt war man auch vom Spiel nicht, von Beginn an stellte sich kein Wohlbehagen ein, dafür das Gefühl, baldigst in Rückstand zu geraten – auch, weil die Kurpfälzer Broll immer wieder auf die Probe stellten, während Dynamo nur in der 30. Minute eine dicke Chance hatte, als Kulke Diawusie ins Rennen schickte, dessen Hereingabe aber nicht bei Vlachodimos ankam, sondern von Marx in höchster Not an den eigenen Pfosten abgelenkt wurde, von wo aus der Ball ins Toraus trudelte.

Und weil das Bauchgefühl oft nah an der Wahrheit schlummert, fällt dann auch drei Minuten vor der Pause das 0:1. Ferati sieht, dass Christiansen meilenweit allein steht, spielt den genauen Pass, Sebastian Mai kommt zu spät. Broll hat die Handschuhe am strammen 16-Meter-Schuss dran, lässt ihn aber rein. Kevin allein im Tor – sieht nicht gut aus, er wurde aber auch ordentlich im Stich gelassen.

Mit Schuhspitze zum Punkt

Nach dem Pausentee kommt Philipp Hosiner für Horvath. Man spürt auch das Bemühen, es nun besser zu machen, aber auch Hosiner führt sich mit einer vergebenen Chance ein – irgendwo zwischen Torschuss und Pass geht der Ball am Kasten vorbei. Während Vlachodimos nach wie vor racktert, fällt auf der anderen Seite Diawusie in ein Loch und ward bis zu seiner Auswechslung kaum mehr gesehen. Zweimal versucht er, den Ball am Gegner vorbeizulegen, bekommt aber nicht den nötigen Speed in die Schuhe. Zudem wird er defensiv mehr und mehr zum Risikofaktor, was dem Neuling Kulke auf seiner Seite kaum hilft.

Überhaupt sind wird mit Mut zur Lücke gespielt. Selbst in den Meterräumen am scharzgelben Strafraum dürfen die Waldhofer ungestört das Passpiel trainieren. So könnte es nach 70 Minuten auch 1:3 stehen, wenn die Gäste vor dem Dynamo-Tor konsequenter wären. Daferner wiederum hätte sich fast für seine aufwändige Anlauferei belohnt, als er Bartels den Ball vor der Kiste wegblockt, doch der Torwart hechtet gerade noch so nach dem Leder. Zeitige erste Pfiffe gab es auch schon.

Für die letzten Minuten kommen Königsdörffer für Diawusie und Hartmann für den diesmal unauffälligen Stark. Königsdörffer hat auch gleich zwei Szenen, agiert aber zu ungenau. Hartmann hat auch zwei Szenen, es sind Fehlpässe. Dafür zeigt er aber auch eine seiner genialen Balleroberungen, mit denen er dem eigentlich schon vorbeigelaufenen Gegenspieler mit langem Bein und riesigem Fuß den Ball wegzieht.

Dann noch mal Weihrauch von der Strafraumgrenze, gut gespielt, aber zu nah am Tormann, der das abgefälschte Ding wegfaustet. Doch die Aktion ist der finale Weckruf. Das Anrennen wird deutlich, wenn auch nicht frei von Hektik. Langholz und Mai vorn drin. Dann spielt Löwe einen bogenlampigen Ball an die Sechzehnmeterlinie, der Kapitän steigt in die Höhe und köpft nach links, wo Hosiner und Daferner zum Ball gehen. Im letzten Moment antizipiert Daferner aber: Er hebt den Ball zu Hosiner, der das Spielgerät irgendwie zum Pfosten bringt, wo Daferner mit dem breiten Rücken zum Tor lauert und mittels Schuhspitze den verduzten Bartels überlupft. Ausgleich! Aus gleich.

Danach heißt es: Rien ne va plus. Ein Remis wie ein Sieg, aber nur ein Punkt. Und Markus Kauczinski erläutert ohne Unterlass: Ich hab es ja gesagt. Dazu allerorten die Rede vom Schuss vor den Bug. Das kann aber nichts daran ändern, dass es bei diesem Spiel offensichtlich auch ein Problem mit der mentalen Einstellung gegeben hat, denn dass man Kampfgeist an den Tag legen kann, auch wenn man Grütze spielt, hat das Spiel in Kaiserslautern gezeigt. Wehret den Anfängen.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. SV Waldhof Mannheim 07

18. September 2020, Anstoß: 17.45 Uhr
Tore: 0:1 Christiansen (42.), 1:1 Daferner (87.)
Dynamo Dresden: Broll, Kulke, Mai, Knipping, Meier, Stark (78. Hartmann), Weihrauch, Horwath (46. Hosiner), Diawusie (72. Königsdörffer), Vlachodimos, Daferner
Ohne Einsatz: Wiegers, Kade, Meier, Sohm
Zuschauer: 10.035
Schiedsrichter: Martin Thomsen
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