Mutig

Wie Dynamo in Schwarz den Rothosen die Raute verbog

Spiele im Volksparkstadion waren für die Sportgemeinschaft in der Vergangenheit meist wie Zähneziehen: Es tat weh, vor allem, weil die Niederlagen knapp und unglücklich waren. Der einzige Punktspielsieg für Dresden überhaupt datiert aus dem Jahre 1991, ein 3:0 zu Hause, dann kam der furiose Pokalfight aus dem letzten Jahr. Nun sah man sich wieder, diesmal in derselben Liga, weil der HSV drei Jahre ein Folge sein Saisonziel verfehlte, während Dynamo seines (vor-)erfüllte. Aber mit den Aufstiegsmannschaften ist das so eine Sache. Man behält den Großteil des Kaders, aber ob der höherklassig tauglich ist, muss erst bewiesen werden. Der deutliche Auftaktsieg gegen Ingolstadt war schon mal gut für das Gefühl, aber ein wirklicher Lackmustest sollte dieser auswärtige Auftritt in Hamburg sein.

Gut: Die neue Kluft für die Fremde. Das gediegene Allblack erinnert an neuseeländische Teams und löst endlich das beschissene BFC-Weinrot ab (das ich viel schlimmer fand als bläuliche Trainingsklamotten). Schlecht: Trotz 17.100 zugelassener Fans hatte der HSV kein Herz für das fahrende Dynamo-Volk. Ich selbst wiederum hockte am Spieltag in einem kleinen Hotel in der Prignitz, wo ich mit gottseidank ausreichend WehLahn im Garten hinterm Haus das Spiel verfolgen konnte.

Die erste Halbzeit: Brolletarier aller Länder …

Beide Elbe-Teams liefen mit #ärmelhoch auf den Rasen, beide mit exakt den gleichen Aufstellungen wie bei den jeweiligen Siegen am ersten Spieltag, Trainer Schmidt rotierte nur etwas auf der Bank. Dann stieß Hamburg an und sofort entbrannte ein Fight um jeden Grashalm. Keine fünf Minuten sind gespielt, da taucht Daferner, begünstigt durch einen Anschuss, allein vor Heuer Fernandes auf, doch irgendwie war da eine Hand im Spiel, und versenkt hat der Stürmer die Kugel auch nicht. Aber so kann es gehen. So geht es leider nicht. Denn auf ihrer linken Seite tringaulieren die Rothosen mal eben Herrmann und Schröter aus dem Geschehen, dem Königsdörffer aus sicherer Entfernung zusieht – nur dabei statt mittendrin. So kann Wintzheimer einen Schrittvorteil nutzen und scharf in den Sechzehner spielen, wo der Ball – vorbei an allen sich streckenden Füßen – letztendlich im rechten Rückraum landet. Dort steht Helge Schneider und singt „Es gibt Reis, Baby“, da ebenjener Reis ohne jeden Gegenspieler stramm abzieht und Broll überwindet. Nun sieht das zwar blöd aus, wenn das Runde direkt am Keeper vorbei ins Eckige geht, aber genau diese Bälle sind schwerer zu halten, als jene, die einen Meter vom Torwart entfernt aufs Tor kommen.

Direkt im Anschluss muss Königsdörffer zum Schmidt-Rapport, denn dem Dynamo-Coach schwant schon, was jetzt gleich benötigt wird – mehr Defensivpower. Und er sollte Recht behalten. Beflügelt von der zeitigen Führung, stürmt Hamburg nun mit Mann und Maus und zudem mit Köpfchen. Immer wieder lassen die Nordlichter die anlaufenden Dynamos ins Leere laufen und bekommen so rund um die Mittelkreis die Hoheit, drücken über außen auf den Gast-Strafraum. Da wissen Herrmann, Schröter und selbst Löwe manchmal nicht, wohin sie zuerst laufen sollen. Dafür haben Stark, aber vor allem Sollbauer und Knipping den Kopf stets oben – blocken, grätschen, hauen hinten raus. Die Offensive Line rückt derweil mehr und mehr nach hinten, um die anrauschenden Hamburger Wellen möglichst schon vorn zu brechen. Das gelingt oftmals nicht, wodurch Kevin Broll wieder und wieder in den Fokus rückt. Wir wollen nicht alles aufzählen, aber was der Mann in Halbzeit eins fischt und fliegt und faustet ist unfassbar und treibt den Rauteträgern wieder und wieder einen Mix aus Verzweiflung und Verwunderung ins Gesicht. Wier erheben uns in Ehrfurcht und rufen allen Fans zu: Brolletarier aller Länder, verneigt Euch!

Kein Quatsch: Ohne Kevin wären wir allein zu Haus und längst mit zwei, drei Toren im HIntertreffen. Zumal es bis zur 20. Minute dauert, dass Daferner mal aus der Drehung auf den Kasten zielt (gehalten), dass Schröter mal durchbricht (gefoult) oder mal eine Art Kombination zustande kommt (27. Minute). Da hießt es nur noch: Das Ding mit dem knappen Rückstand irgendwie in die Pause bringen, um das alles mal zu durchdenken. Dass sich Daferner kurz vor dem Break noch Gelb holt, weil er Schonlau mal eben ohne Not gelbwürdig umschubst, ist aber wohl eher dem Frust geschuldet.

Die zweite Halbzeit: Knipping knippst

Alexander Schmidt hat die Pause genutzt und mit seinem Team etwas ausgeheckt. Und er korrigiert. Vlachodimos und Mörschel kommen für den blassen Borello und den überforderten Kade. Und siehe da: Die ersten Minuten nach dem Wiederanpfiff finden komplett in der HSV-Hälfte statt, Königsdörffer schlängelt sich sogar aussichtsreich in den Strafraum, sein Schuss wird jedoch abgewehrt. Und auf einmal ist sie dahin, die weiß-rote Offensiv-Herrlichkeit, weil Dynamo als Ganzes Mut und Herz findet – vom Rasen bis zur Bank.

Und es wird gekontert. In der 52. macht sich Vlachodimos nach feinem Königsdörffer-Pass auf und davon, muss es allein machen und kann erst in letzter Sekunde daran gehindert werden, den Ball platziert auf die Kiste zu bringen. Wenig später wieder drei gegen drei, aber Daferner probiert es überhastet aus der Distanz. Es ist jetzt derart Adrenalin auf dem Grün, dass Herrmann deutlich überdreht, als er im Mittelfeld in Meffert hineinspringt. Er hat zwar dabei keine Stollen voraus, aber Ellenbogen und Knie waren schon in der Luft dabei, sodass der Hamburger erst zu Boden geht und dann sichtlich angeknockt vom Platz muss. Der Neu-Dresdner sieht Gelb. Bei Dresden kommt Akoto für den ausgepowerten Löwe und spielt seine ersten Zweitliga-Minuten.

Was zu erwähnen ist: Bei Hamburg ist für Meffert nun Rohr im Einsatz, und schon nach wenigen Minuten steht der Mann bereits im Mittelpunkt. Erst holt er sich in der 66. Gelb für ein Foul an Königsdörffer, 120 Sekunden später ist er beim Ausgleich im Wortsinne nicht auf der Höhe. Eine der rar gesähten SGD-Ecken tritt Herrmann von der rechten Fahne vom Tor weg, Knipping weiß genau, wo der Ball hingeht, trippelt einige wenige Schritte zum ersten Pfosten, überspringt Rohr und köpft ebenso scharf wie platziert am Langen ins Netz. Wer dafür ein Wort sucht, findet „mustergültig“. Denn so hat kein Torwart der Welt den Hauch eine Chance. Dass der Ausgleich auch noch der erste dynamische Pflichtspieltreffer von Tim Knipping ist, kommt noch on top dazu (zudem war es der erste IV-Treffer seit Mais 1:0 im Drittligaauftakt der letzten Saison).

Wer aber nun glaubt, Dresdens Bank würde Beton anrühren, um den Punkt zu sichern, der kennt den Kollegen Schmidt nicht. Hosiner wird für Königsdörffer eingewechselt und mit Aidonis, er Schröter ablöst, darf ein weiterer Neuzugang debütieren. Das nenne ich Mut im Spiel, Vertrauen zum Kader und einen guten Weg für den Teamspirit. Zudem gehen beide Mannschaften hier auf den Sieg, aber der HSV bekommt seine Angriffe nicht so durch wie in den ersten 45 Minuten und Dynamo spielt seine guten Konter nicht konzentriert zu Ende. So dauert es bis zur 81. Minute, dass die Heimelf mal wieder eine dicke Möglichkeit hat, aber auch diesmal zieht Broll Kinsombi den Nerv. Es wird nun hitzig. Hamburg drückt, Dresden lauert. Was wäre wenn, ja wenn Hosiner den Steckpass zu Daferner durchbekommt? Dann wäre die 33 zwei Minuten vor Schluss allein auf den Hoyer Fernandes zugelaufen … Und auch Knipping köpft noch eine Ecke, bevor Broll Kinsombie schon wieder das Leder vom Stiefel klaut.

In den knapp sechs Minuten Zeitzulage geht es nur noch um den Dynamo-Strafraum drumherum, aber jedes Bein, jeder Körper, jeder Kopf der SGD will jetzt diesen Punkt retten. Am Ende sind es ein weiteres Mal die Handschuhe von KevIn Broll, die jede Mühe der Gastgeber begraben. So ist es am Ende amtlich: Die SGD bleibt unter Schmidt in den Punktspielen ungeschlagen.

Fazit
Man darf diese Begegnung durchaus eine Feuertaufe nennen, die erste Halbzeit auch gern eine Lehrstunde. Aber wie Dynamo im Stil und Sinne einer Sportgemeinschaft auf diese bedrohliche Situation reagiert hat, sich selbst korrigiert und gesteigert hat, nötigt großen Respekt ab. Jetzt kommen Paderborn und Hannover nach Dresden. Sie werden die Heimelf nicht unterschätzen.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Hamburger SV 1:1
1. August 2021, Anstoß 13.30 Uhr
Tore: 1:0 Reis (5.), 1:1 Knipping (68.)
Dynamo Dresden: Broll, Schröter (71. Aidonis), Sollbauer, Knipping , C. Löwe (61. Akoto), Stark, Herrmann, Kade (46. Mörschel), Königsdörffer (71. Hosiner), Daferner, Borrello (46. Vlachodimos)
Ohne Einsatz: Mitryushkin, Kulke, Kühn, Sohm
Schiedsrichter: Martin Petersen
Fans: 17.100
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