Oops! We Did It Again

Dynamo Dresden gewinnt bei Hansa Rostock das Spiel und verliert einen Spieler

So, jetzt mal in alle Notizbücher: Neeeeiiiiin! Das ist keeeeiiiin Derby! Mit einer Entfernung von roundabout 500 Kilometern geht das nicht. Nur, wenn man den ganzen Osten nach wie vor als eine homogene Zone betrachten will, sieht man die Partie Hansa versus Dynamo als Derby. Aber der Beitritt liegt nun schon 31 Jahre zurück, da sollten sich die An- und Draufsichten langsam ändern. Denn schon vom Dialekt her trennen Drönbüddel und Dräsdner Welten. Einigen wir uns also auf die Bezeichnung Traditionsduell (mit reichlich ostdeutscher Vergangenheit). Dass es inzwischen auch fast ein Traditionsergebnis gibt, hat dieser Abend eindrucksvoll aufgezeigt.

Nun also nach zehn Jahren mal wieder #hansadynamo in Liga 2. Und siehe da: Es steht ein … Kolke im Tor. Kam da vor zwei Tagen eine Nebelkerze von der Ostsee, als vermeldet wurde, der Kapitän der Blauhemden wäre verletzt und fällt wohl aus? Letztlich egal, denn genutzt hat es nichts, bittere Verluste gab es dann aber doch – auf beiden Seiten, aber schlimmer für die SGD. Kein Wunder bei einem Kampfspiel das genau so zu erwarten war.

Die erste Halbzeit: Der neue Fußballgott muss raus

Wer an diesem Abend nicht pünktlich dabei war, hatte ein Problem. Denn schon nach 38 Sekunden fällt ein Tor. Nach einer ersten – von sehr vielen folgenden – endlosen Kopfballstaffette von Freund zu Feind und wieder zurück spielt Daferner im Fallen den Ball an der Mittellinie genau in den Lauf des startenden Königsdörffer. Der sonst so pfeilschnelle Stürmer wird dann aber fast noch eingeholt, stoppt kurz ab und schießt dann doch, als man fast glaubt, er wolle den Gegenmann ausspielen. Kolke macht sich lang, patscht aber nur in die Mitte, wo Mörschel samt blauem Anhang heranprescht. Im Heinzer Sturzflug geht es rein ins Gewühl, via Pingpong mit Kolke prallt die Kugel vom gelben Trikot Richtung Tor ab und kullert gemütlich aber uneinholbar über die Linie. Hastenigesehn, wirsteblöde, wasnhierlos! Einsnull. Und noch nicht mal eine Minute rum. Im Interview mit dem Sportradio Deutschland wenige Minuten vor dem Anpfiff orakelte ich noch von einem hart umkämpften Remis mit keinen oder wenigen Toren. Ein feiner Experte bin ich.

Aber in einem hatte ich Recht: Im Fazit nach dem Hannover-Sieg meinte ich, dass dies das schwierigste Spiel der bisherigen Saison sein würde. So kam es auch. Denn was jetzt auf dem Ostsee-Rasen an Kampf abgefackelt wurde, trieb den Betrachtenden bis zur Schnappatmung. Mann gegen Mann um jeden Halm, um jeden Zentimeter wurde gerungen, gekämpft gerannt, gegrätscht. Mamba will Broll prüfen, aber dieses Schüsschen lächelt der Kevin locker weg. Dann bricht Mörschel im Luftduell Rizzuto – natürlich ohne Absicht – die Nase und sieht dafür Gelb. Das Blut fließt, das Ex-Veilchen muss raus, Schumacher kommt.

Was auffällt: Dynamo spielt ungewöhnlich viel Langholz, aber zu selten kommen die Pässe an, Hansa hat hinten drin viel Köpfchen. Aber auch Dresden lässt defensiv nichts anbrennen, fängt alles ab, was da unterwegs ist. So auch Tim Knipping, der nach einer Viertelstunde einen scharfen Ball von Mamba zur Ecke klärt. Nur bliebt er dabei im Gras hängen, und die schreckliche Bewegung, die sein Bein dabei macht, lässt sofort Schlimmes erahnen. Zwar will der Innenverteidiger weiterspielen, läuft bis zur Bank noch halbwegs normal, doch dann wird das Knie dick. Diagnose: Kreuzband und Innenband sind durch, der Meniskus beschädigt. Knipping wird für Monate ausfallen. Dabei hätte dies die Saison seines bisherigen Lebens werden können. Das Gute im Schlechten: Der Kader gibt Ersatz her. Sebastian Mai ist rechtzeitig wieder gesund, Kevin Ehlers ist nah dran und auch Paul Will kennt sich hinten gut aus. Nun aber übernimmt natürlich Mai den Platz und die Binde von Knipping, dem bisherigen Saison-Fußballgot.

Es mag sein, dass die offensichtlich schwere Verletzung von Tim Knipping manchen SGD-Spielern schwer in die Klamotten gefahren ist, denn die Kogge bekommt jetzt etwas Oberwasser. Da hat man Glück, dass Verhoek in der 19. Minute einen Knoten in seine Beine binden will, statt zu schießen. Bahn senst Schröter um und sieht den hellen Karton. Die Intensität nimmt minütlich zu. Den Ball etwas prallen lassen, nicht gut annehmen, zu weit vorlegen, zu lange behalten – und er geht verloren. Immer ist jemand da, überall Stress, oft auch Nervosität.

Aber immerhin: Die Null hinten steht. Mai steht in Sachen Übersicht und Lufthoheit Knipping kaum nach, dass die Spielpraxis noch etwas fehlt, sieht man aber hin und wieder. Dann vertüddelt sich Chris Löwe ungewohnt in der 27. Minute, verliert das Duell, was eine saftige Heringabe und einen Schuss von Schumacher zur Folge hat. Das war schon eher eine Prüfung für Broll in seiner grashüpfergrünen Kleidung.

In dieser Phase bis hin zur Pause will der Rostocker Trainer eine drückende Überlegenheit seiner Mannschaft gesehen haben, was eher eine exklusive Sicht ist. Denn die Ostseestädter ziehen zwar immer mehr an, kommen aber kaum einmal bis zum Sechzehner der Gäste durch. Auf der anderen Seite ist es ebenso, wobei es vor allem bei Königsdörffer immer wieder kleine Annahmefehler sind, die einen Erfolg vereiteln. Dann zeigt sich auch mal Sollbauer von der kantigen Seite und schickt Verhoek zu Boden. Kein Foul sagt der Schiri, was den Rostocker Arzt so erregt, dass er sich selbst gleich ein Downer-Rezept ausstellen muss. Ach ja, und Gelb bekommt er auch noch.

Und immer wieder diese vielen Kopfbälle zwischen den Strafräumen? »Ball runter«, würde der Trainer im Jugendfußball rufen. Die SGD will jetzt wenigstens ohne Gegentor in die Pause, agiert nach vorn eher vorsichtig. Das sollte sich rächen. Als zwei Minuten vor dem Tee der Ball noch einmal hoch auf die rechte Dynamo-Seite gespielt wird, agieren Akoto und Königsdörffer beide, nun ja, irgendwie nicht. Einer verlässt sich da wohl auf den anderen, Akoto macht sogar noch etwas Platz, damit Schumacher den Ball in aller Ruhe mit der Brust (und den Händen?) annehmen kann. Dabei weiß Akoto, was passieren kann, wenn man zuviel Platz hat, er selbst hat so das erste Tor gegen Hannover vorbereitet. Da kann die Rostocker 13 in aller Ruhe gucken, flanken, Verhoek verlängert an den langen Pfosten, wo Mamba von allen guten Geistern verlassen frei herumsteht, gekonnt annimmt und aus nächster Nähe an Broll vorbei wuchtig einschießt.

Das ruft jetzt auch wieder Dresdens Offensive auf den Plan und Akoto will seinen Fehler sofort auswetzen, köpft aus guter Position am Kolke-Kasten vorbei, dazu noch aus dem Abseits. Pause. Durchpusten.

Die zweite Halbzeit: Butter bei die Fische

Heinz Mörschel hat sich beim Harakiri-Einsatz zum Blitz-Tor dann doch wehgetan und muss zum zweiten Durchgang passen. Wer kommt: Panagiotis Vlachodimos natürlich. Zuerst zeigt sich aber Schröter, der mal aus der Entfernung versucht, den Ball aus dem Stadion zu dreschen. Auf der anderen Seite spielt Mamba Schumacher an, der frei, aber aus spitzem Winkel das Tor nicht trifft. Akoto sieht Gelb für ein Handspiel, das mehr Hüfte dabei hatte als einen Teil vom Arm. Und dann mal wieder Königsdörffer. Er zieht an zum Strafraum, wird von hinten gelegt, steht auf, hat den Ball, wird von hinten wieder gelegt, steht wieder auf, wird ein drittes Mal gelegt und verliert den Ball. Herr Cortus stopft sich vielleicht gerade eine Pfeife, pfeifen wird er jedenfalls nicht. Das wiederum bringt Alexander Schmidt auf die Palme, der für seine Erregung Gelb sieht.

Noch einmal versucht sich Rostock daran, in Führung zu gehen. Verhoek zu Schumacher, den Sollbauer, Akoto und auch Mai nacheinander nicht stoppen können. Erst Löwe blockt den gefährlichen Torschuss am Fünfer ins Eckenaus. Das bringt Ruhe, denn in Sachen Standards droht von der Heimelf keine Gefahr. Nach einer knappen Stunde bringt Dynamo mit Hosiner mehr Erfahrung aufs Feld, für Königsdörffer endet der Arbeitstag. Und der Österreicher benötigt keine Minute, um sich einzufühlen – eine Vlachodimos-Hereingabe drischt er volley aufs Tor, aber eben auch auf Kolke. Immerhin: Da ist neues Leben in der Box. Lebhaft ist auch ein Disput, den sich Löwe und Mamba fast Nase an Nase liefern. Wahrscheinlich ging es darum, dass Mamba das neue Lied von Helene Fischer gut fand und Löwe eben nicht. Da kann man sich aber auch gut drüber aufregen. Um das zu beenden, ledert Stark Behrens um und sieht auch Gelb. Apropos Stark: Diesmal nicht ganz so leadermäßig drauf wie gegen Hannover, aber wieder megasolide und aufgeräumt beim Abräumen. Wie allerdings Youngster Kade – er könnte ja Starks Enkel sein – von Spiel zu Spiel anwächst, ist eine wahre Freude. In den ersten beiden Spielen noch mit Wackeligkeiten, wächst der »Neuzugang« mehr und mehr über sich hinaus. Taktisch klug nach hinten und nach vorn, körperlich präsent trotz seines Hänflings-Äußeren und megacool in seinen Aktionen.

Eine Stunde und bisschen was sind rum, da will Dynamo Butter bei die Fische. Ein kleines Dreieck Schröter–Hosiner–Akoto–Schröter an der linken Außenbahn gespielt, da wickelt Schröter am Ende im Liegen das Leder am Gegner vorbei zu Daferner, der die Kunst der scharf getretenen Bogenlampe versteht. Eine Vorführung? Bitte sehr, so geht das. Kurz Kopf hoch und dann ab dafür genau mittig vor das Tor, am besten zwischen Elfmeterpunkt und Fünferlinie. Dort müsste dann jetzt nur noch Daferner mit dem Kopf ... Ach nee, der ist ja auf Außen. Wir sehen stattdessen das gelbe Hemd mit der Nummer 7. Aber Vlachodimos mit Kopf? Jaaaa, Vlachodimos mit Kopf!!!! Geradeso erwischt er die Kugel – nach hinten den Köper durchgestreckt – und nischelt so sanft wie platziert die Kugel unhaltbar am Kogge-Keeper vorbei ins Netz. Ob Neidhart gerade auf der Suche nach sich selbst war oder den Drehrumbum aus dem DDR-Kinder-TV nachstellte, ist nicht überliefert. Anwesend war er in dieser Szene nur insofern, dass er zu sehen war. Einszwei! Zumreenewegverriggtewern! Die werden doch nicht schon wieder das mit dem 1:3 machen?

Ja, irgendwie schon. Denn nachdem Stark mal wieder einen Hansa-Konter in eine gefahrfreie Ecke umgemorpht hat, macht Schwarz-Gelb 20 Minuten vor Schluss den berühmten Sack zu. (Ich würde den ja gern mal sehen, also diesen Sack.) Die SGD treibt den Ball wieder nach links, wo Kade in Bedrängnis einen butterweichen Pass in die Füße von Löwe spielt. Fast zu butterweich, denn im ersten Moment schient es, als käme er zu kurz. Aber nicht mit Insel-Chris! Der nimmt das Leder soft mit, lässt den Blauen ins Leere grätschen, geht ein paar Schritte und spielt in den Fünfer, wo Hosiner mit dem Kopf heranfliegt. Aber da ist schon wieder Kolke, der das Ding wegpatscht. Huh, ohh, nee, auf den Rängen. Haare raufen. Doch Julius Kade ist ja auch noch da: Rebound, Rebound! Mit dem linken Innenrist versenkt der 22-Jährige das Runde genau zwischen Pfosten und dem verzweifelnden Torwart. Nennen wir es Maßarbeit. Nennen wir es: scheißegeil!! Dreieins. Danke, Union! Kolke frisst seine Verteidiger.

Bei Rostock kommt Ex-Dynamo Meier, bei Dynamo Will für Schröter. Es ist nicht so, dass sich Hansa geschlagen gibt, aber irgendwie ist die Luft raus und bei einigen auch der Kopf unten. Daferner hat noch einen hübschen Freistoß für Kolke, Mamba ein schwaches Ding für Broll, Sollbauer köpft eine Vlachodimos-Ecke knapp vorbei, Löwe hat noch eine Grätsche im Bein und sieht Gelb. Und dann, in der 90. Minute wäre es fast passiert, hätte Daferner alle Storys über die merkwürdige 1:3-Serie der Dresdner in Rostock zerstört. Einen Pass von rechts leitet Hosiner mit leichtem Toch zu Daferner weiter, der blank vor Kolke sofort abzieht. Auf den Mann. Gehalten. Die Ergebnisserie lebt weiter. Aus dem Gästeblock schallt es »Auf Wiedersehen!« Was hatte ich gleich im Sportradio getippt? Na toll, feiner Experte.

Fazit

Oops! We Did It Again! Zum vierten Mal en suite gewinnt die Sportgemeinschaft auswärts bei den Hanseaten mit 1:3. Nur die ruhige Sozialisation als Mittelsachse hindert Jens Härtel daran, vor der Kamera zu kotzen. Während die schwarz-gelbe Mannschaft und ihr Staff – mit putzigem Abstand – vor dem Gästeblock feiern, ziehen die Koggisten frustriert vom Platz. Wir wissen aus eigener Erfahrung: Nichts ist schlimmer, als feiernde Gegner auf dem eigenen heiligen Rasen. Selbst die Niederlage an sich tritt da in den Hintergrund. Aber bei allem Frohsinn war auch zu sehen: Gegen Rostock musste Dynamo alles reinwerfen, was man hatte: spielerisch, mental, taktisch, personell. Wahrscheinlich ist die Erzählung vom tollen Team, in dem alle zusammenhalten, in dieser Saison keine Mär. Der Grundstein dafür wurde bereits in der vergangenen Spielzeit gelegt, weil das Gerede darüber, nur Spieler zu verpflchten, die auch charakterlich passen, wohl nicht nur Gerede war.

Nun kommt Paderborn, schon wieder. Es wird interessant sein, ob die Trainer einander mit Neuigkeiten in Sachen Startelf und Taktik überraschen werden. Ich vermute mal Hosiner und Vlachodimos in der Startelf. Aber das soll nichts heißen – ein Experte im Vermuten bin ich ja offensichtlich nicht.
Uwe Stuhrberg

FC Hansa Rostock vs. SG Dynamo Dresden 1:3

21. August 2021, Antoß: 20.30 Uhr
Tore: 0:1 Mörschel (1.), 1:1 Mamba (43.), 1:2 Vlachodimos (63.), 1:3 Kade (70.)
Dynamo Dresden: Broll, Akoto, Sollbauer, Knipping (17. Mai), C. Löwe, Stark, Schröter (78. Will), Kade, Mörschel (46. Vlachodimos), Königsdörffer (58. Hosiner), Daferner
Ohne Einsatz: Mitryushkin, Diawusie, Aidonis, J. Löwe, Sohm
Schiedsrichter: Benjamin Cortus
Fans: 14.500
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