Riesenklein & Klitzegroß

Das Filmfest Dresden im 30. Jahrgang

Zum 30. Geburtstag des Dresdner Filmfestes ist es mal wieder an der Zeit, an die Ursprünge des Festivals zu erinnern. Im Vorwende-Frühjahr 1989 (für die jüngeren Leser: ja, noch zu DDR-Zeiten) wurde es, damals noch als »1. Filmfest Dresden Süd« aus der Taufe gehoben, initiiert und organisiert von ein paar »jungen Wilden« um den 24-jährigen Jörg Polenz, Absolvent der Fachschule für Klubleiter Meißen und angestellt beim Rat des Stadtbezirkes Dresden-Süd. Ein ambitioniertes Projekt, das schon bald auf heute kaum noch nachvollziehbare Widerstände stoßen sollte. Die Enthusiasten hatten neben Filmen aus dem einzigen DDR-Filmverleih Progress auch polnische, ungarische, französische und sowjetische in das Programm aufgenommen, besorgt bei den entsprechenden Kulturzentren und Botschaften in Berlin. Ein Hauch von Glasnost und Perestroika lag in der Luft, zu viel für die Staatsmacht. Es folgten Auftritts- und Redeverbote, ein Dutzend Filme durften nicht gezeigt werden. Das Filmfest fand dennoch statt, die verbotenen Streifen liefen nachts. Und Jörg Polenz verlor seinen Job.

Ein Jahr später war die Zensur Geschichte. Die Filmfest-Organisatoren, die sich im Wende-Herbst ’89 erneut zusammen gefunden hatten, konnten nun aus dem Vollen schöpfen – mit über 150 Filmen sowie 20 Theateraufführungen und Konzerten in reichlich zwei Wochen. 70 Prozent der Filme in dem überschäumend bunten Programm waren DDR-Erstaufführungen. 1991 gab es dann bereits den ersten Wettbewerb mit maximal 45-Minuten langen Filmen unterschiedlicher Genres aus Ost- und Westdeutschland, den ersten Animationsfilmwettbewerb im Jahr darauf. In den Folgejahren entwickelte sich das Filmfest zu einem Animations- und Kurzfilmfestival mit einem internationalen Wettbewerb, 1998 erhielten die deutschen Filme einen eigenen Nationalen Wettbewerb.

Festivalchefin von 1996 bis 2001, einer Zeit der Profilierung, war Sylke Gottlebe. Nach vielfältigem Engagement für den Kurzfilm – unter anderem in der Kurzfilmsektion des Festival del Film in Locarno und als langjährige Geschäftsführerin der AG Kurzfilm – kehrte Sie im letzten Juli auf den Chefinnensessel des Dresdner Filmfestes zurück. Das hat sich mittlerweile von einem reinen Publikumsfestival auch zu einem geschätzen Forum für Film-Profis aus aller Welt entwickelt. Die Sektion »etc. - events. trainings. connections« vereint Meisterklassen, Workshops, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Empfänge und richtet sich sowohl an akkreditierte Fachbesucher als auch an die interessierte Öffentlichkeit.Kern des Festivals sind vom 17. bis 22. April natürlich weiterhin die Wettbewerbe. Von den über 2.200 eingereichten Produktionen schafften es dieses Jahr 27 in die 5 Programme des Nationalen und 42 in die 7 Programme des Internationalen Wettbewerbs. Die Themen und Handschriften sind dabei so vielfältig wie die Lebenswelten und Erfahrungen der Filmemacher und Filmemacherinnen aus 29 Ländern.

Das gilt für den Realfilm genauso wie für den Animationsfilm, der hier dank der langen Dresdner Trickfilm-Tradition einen hohen Stellenwert genießt und das Dresdner Filmfest damit von anderen deutschen Kurzfilmfestivals abhebt. Auch 2018 bewerben sich die Filme und ihre Schöpfer wieder um mehr als ein Dutzend Preise, insgesamt dotiert mit 67.000 Euro. Neben denen für den besten Kurz- und Animationsfilm sowie den Preisen von Jugendjury und Publikum – jeweils in den Kategorien National und International – gibt es unter anderem den Filmförderpreis der Sächsischen Staatsministerin, für den 20.000 Euro ausgeschüttet werden, den »DEFA-Förderpreis für Animation« und den »arte-Kurzfilmpreis« sowie – neu in diesem Jahr und auf Initiative der »LAG Jungen- und Männerarbeit« eingeführt – den »Goldenen Reiter* für GeschlechterGerechtigkeit im Kurzfilm«. Die Verleihung findet am 21. April im Kleinen Haus statt.

Ebenso umfangreich wie spannend geben sich auch diesmal wieder die Sonderprogramme. Traditionell dabei sind der »Regionale Focus« mit Filmen aus Sachsen und Mitteldeutschland und die Präsentationen von Film-Ländern und Regionen – Georgien, Greichenland oder Québec. Der »Schwerpunkt Europa« ist mit drei Programmen den Umwälzungen und Verwerfungen der letzten drei Jahrzehnte auf dem europäischen Kontinent gewidmet – von der Euphorie aber auch der Agonie nach dem Ende des Kalten Krieges (Programm 1: »Der Freiheit eine Gasse«) über das Europa der gescheiterten Utopien und den Zerfall Jugoslawiens (Programm 2: »Grenzgebiete«) bis zu Populismus und aufkeimendem Nationalismus in der heutigen »Festung Europa« (Programm 3: »Europe is falling apart«).

Ein Pionier des Anmationsfilms und künstlerischer Grenzgänger wird mit dem DIAF-Sonderprogramm »Latente Bewegung – Piotr Kamler, die Materie und die Zeit« und einer gleichnamigen Ausstellung in den Technischen Sammlungen gewürdigt. Der heute 82-jährige Filmemacher, der nach einem Vierteljahrhundert in Frankreich 1986 in seine polnische Heimat zurückkehrte, wird dem Filmfest einen Besuch abstatten.

In der Retrospektive »Die gestohlene Revolte – 1968 in der DDR« laufen vier zeitdokumentarische Filme aus den Jahren 1964-1968, zwei DEFA-Augenzeugen aus jenen Jahren und die mit der Silbernen Taube in Leipzig prämierte Dokumentation »Wir wären so gerne Helden gewesen« (1995/96) von Barbara Metselaar. Im Anschluss an die Aufführung am 19.4. in der Schauburg gibt es eine Podiumsdiskussion mit Filmemachern, Künstlern und Historikern.

Mit Unterstützung des »jungen Kuratoriums«, einer Gruppe von 7-17 Jahre alten Filmbegeisterten aus Dresden und Umgebung, wurden fünf Kinder- und Jugendprogramme (3 für 5-13-Jährige und 2 für 13-18-Jährige) zusammengestellt – unter Titeln wie »Riesenklein & Klitzegroß«, »Was ist Heimat« oder »Zwischenräume«. Für die Kids ist außerdem eine »Sandwerkstatt« im Angebot, ein Workshop mit der Animationsfilmkünstlerin Alla Churikova.

Als Festivalkino fungiert auch in diesem Jahr wieder (und obwohl noch nicht fertig umgebaut) die Schauburg. Zu den weiteren Spielstätten zählen das Thalia, das Programmkino Ost und das Clubkino im Lingnerschloss. Mit dem nun schon traditionellen Open Air ist das Filmfest zudem erneut auf dem Neumarkt zu Gast. Zum Filmball wird in das Parkhotel geladen und im Anschluss an die Preisverleihung am Samstag gibt es eine Festivalparty mit den Top 100 der Eurodance-Klassiker der Filmfestcrew im Alten Wettbüro.
Angela Stuhrberg

Filmfest Dresden
17. bis 21. April,  www.filmfest-dresden.de
Der Festivalkatalog kostet 5 Euro, und wer sich genauer über die 30-jährige Geschichte des Filmfestes informieren möchte, sollte 15 Euro für das 92-seitige Jubiläumsmagazin locker machen.