Schachtmatt

Dynamo Dresden dominiert die Bergmänner deutlicher als es das Ergebnis aussagt

Traditions-Derby, Spitzenduell, Kutschke against Männel, Gold gegen Uran, Dorf gegen Metropole – was wurde nicht alles bemüht im Vorfeld dieses Spiels. Schließlich sind diese speziellen Partien auch dafür da, das Gemüt zu erhitzen. Lila Schweine waren allerdings nicht zu erwarten, denn das Vieh wurde ja für den FSV Zwickau versilbert. Dafür gab es eine Choreo. Das Banner mit dem Schriftzug „August hat’s hervorgebracht – in Dresden liegt die wahre Macht“ fand ich jetzt nicht so einfallsreich, als jedoch die einmal mehr beeindruckende Blockfahne hochgezogen wurde, war es dann doch irgendwie geil.

Auch fein: Der Stadion-DJ bemühte überwiegend härtere Klänge von etwa Metallica oder The Offspring. Und als in der ausverkauften Schüssel der rappelvolle Gästeblock mal was ansagen wollte, wurde das ganz schnell vom K weggeatmet. Ein erstes Extra-Buuuuuhhhhhh gab es beim Verlesen der Gastmannschaft, als der Name Stefaniak genannt wird. Pavel Dotchev holte ihn in die Startelf, weil er sich wohl etwas versprach. Auf unserer Seite war trotz aller Befürchtungen Niklas Hauptmann dabei – die elf von Lübeck sollten es also richten. Erstmal.

Die erste Halbzeit: Zimmerschied, Zimmerschied, Zimmerschied …

Aue stößt an, und gleich jemanden um. Einer liegt. Eckfahnengedöns mit Abseitsfinale. Jakob Lewald bedient Tom Zimmerschied, aber der schießt blind in Defense-Beine. In der fünften Minute dann ein Superpass von Tobias Kraulich auf Zimmerschied, aber die Ballannahme ist suboptimal, der Ball kullert ins Toraus. Nur Sekunden später bekommt Zimmerschied die Annahme hin, scheitert aber bei der Strafraumverwertung. Zwischendurch taucht Jakob Lemmer auf der anderen Seite auf, doch auch er ohne Fortune. Die Uhr steht in der siebenten Minute, da spielt Luca Herrmann einen Sahneball in die sogenannte Schnittstelle auf – natürlich Zimmerschied. Bei seinem dritten Versuch passt dann aber alles: Laufweg, Speed, Auge. Von links mit Schmackes vors Tor und reingestochert zum 1:0. Alle bejubeln Stefan Kutschke, aber Vukancic hatte mit dem Dresdner Kapitän einen Tandemflug gebucht und war eine Fußspitze eher dran. Eigentor. Aber sagen wir mal: Der Kutschke hat das erzwungen. So ein frühes Tor in so einem Spiel ruppt natürlich alle aus dem Sitz, sofern man nicht sowieso steht. Ein Wahnsinn – es ist so ohrenbetäubend, dass sogar mein Tinitus für eine Weile entschwindet.

Und Zimmerschied will gleich nachlegen, doch seinen ganz gut getimten Schlenzer aufs lange Eck patscht Männel in Minute zehn weg. 120 Sekunden später wieder Aufregung am linken Pfosten. Die Schachter bekommen den Ball nicht weg, und plötzlich steht Jonathan Meier allein vorm Keeper, aber der kleine Martin macht sich ganz groß und die Kurze dicht. Es ist einfach atemlos, was hier in nicht einmal einer Viertelstunde passiert. Man mag kaum etwas notieren, weil man etwas verpassen könnte. Etwa den nächsten Schnittstellenpasse von Herrmann, der leider in die falsche Richtung geht. Den Defensiv-Fauxpas-Klassiker erläuft sich Bär, semmelt aber deutlich drüber. Hatte Stefan Drljaca eigentlich seine Handschuhe schon an?

Vielleicht sitzt den Schwarzgelben nun doch etwas der Schreck in den Gliedern, denn der Vorwärtsdrang wird etwas verhaltener, die Erzgebirgler kommen öfter an den Ball, ohne jedoch so etwas wie Gefahr zu entwickeln. Im Mittelfeld tobt ein energischer Kampf als ginge es um Mittelerde. Da hebt der Kutschke plötzlich den Ball mit Grandezza auf Zimmerschied, der einen aussteigen lässt und frei vorm chancenlosen Männel das 2:0 nicht macht. Vorbei, vorbei, knappst vorbei. Wie geht das denn? Aber er bleibt dran, versucht alles, bleibt aber drei Minuten später hängen. Vielleicht will er es jetzt zu viel?

Wollte Hauptmann nicht in dieser Saison weniger Gelbe Karten sammeln. Die zweite hat er jetzt schon mal. Wobei man die nicht zwingend geben muss. Eigentlich wurde mit Harm Osmers ein erfahrener Bundesliga-Referee für diese Partie verpflichtet, doch der Mann pfeift, als gäbe es im Oberhaus keine Zweikämpfe. Seine Mann-gegen-Mann-Bewertungen sind teilweise absurd, ebenso sein Umgang mit den Farbkartons. Aber dazu später mehr.

Lange nichts mehr von Zimmerschied gehört? In der 34. Minute scheitert er wieder an Männel. Wenig später spielt Paul Will Lemmer frei, der bis zur Grundlinie rauscht, aber in der Mitte gerät Kutschke in Bedrängnis und verzieht denkbar knapp. Dynamo ruckt vor der Pause noch mal an. Hauptmann geht auf Außen in den Sprint, wird gezogen und gezupft, geht aber erst spät zu Boden. Das klare taktische Herumfoulieren wird jedoch nicht mit Gelb belohnt. Häh?

Die Nachspielzeit beginnt, da kontert Zimmerschied (ja, der schon wieder) über den halben Platz, aber im Zwei-gegen-Zwei setzt er den mitgelaufenen Kammerknecht zu spät und zu deplatziert ein, sodass dieser daraus auch nichts mehr machen kann. Der Pausenpfiff kommt, und es beschleichen einen Lübecker Gefühle. Wird das wieder so ein Zittern und Bangen, wohl wissend, dass die Bergarbeiter ihre Tore meist am Ende schießen? Allein Tom Zimmerschied hätte sich zum Derby-Helden krönen müssen, es sollte längst 4:0 stehen. Steht es aber nicht.

Die zweite Halbzeit: Der Steiger geht

Noch bevor Harm Osmers die Pfeife in den Mund nimmt, »steht ein Arschloch im Tor, ja ja …« Ein Männel vor dem K eben. Dann gleich wieder big trouble im Aue-Sechzehner, aber bei dem Gewurschtel kommt nix rum. Dann veranstalten Kutschke und Lemmer an der rechten Eckfahne ein kleinen Kurzpasstraining mit Hacke und Spitze und EInszweidrei. Immerhin hübsch anzusehen ist das. Schön, dass manche Spieler auch an den Entertainment-Faktor denken. Aber trotzdem muss nun bald das zweite Tor her, doch leider kommt in der 54. die Flanke von Lemmer etwas zu sehr in den Kutschke-Rücken, der Kopfball-Versuch hat so zu wenig pressure for goal. Und auch Zimmerschied will noch mal, findet bei seinem an sich guten Schuss wieder in Männel seinen Meister.

Von Minute zu Minute wird es nun schwieriger, vorn einen punch zu setzen. Die Überlegenheit ist noch immer da, aber es ist nicht mehr die der ersten Halbzeit. Immerhin: Hinten brennt es nicht, ein vor Selbstbewusstsein strotzender Kraulich tanzt sogar vor dem eigenen Torwart den Gegner aus. Nach einer Stunde kommt Robin Meißner für Herrmann und hat gleich zwei unglückliche Aktionen, verletzt sich gar dabei. Überhaupt wird es jetzt hektisch. Osmers bekommt die vielen Fouls nicht in den Griff. Auch Will wird niedergestreckt.

Nach 71 Minuten gibt es im Rund ein letztes Buh für Marvin Stefaniak, er wird ausgewechselt. Herausragendes hat er nicht vollbracht und bestätigt, was man bei seiner Rückholaktion 2020 schon konstatieren musste: Die große Luft ist raus bei ihm, warum auch immer. Dabei konnte er mal sowas.

Kutschke hat eine Viertelstunde vor Schluss noch einen Schuss auf der Pfanne, hat danach aber Feierabend, doch nicht Schäffler kommt für ihn, sondern Dennis Borkowski. Tom Berger ersetzt Hauptmann, der wieder massiv und wichtig unterwegs war, aber diesmal auch einige Fehlpässe dabeihatte. Dann – kaum auf dem Rasen – Gelb für Berger. Er dreht sich in einen Schachter rein, ohne ihn vorher sehen zu können. Ein Foulchen ja, aber niemals Gelb.

Es sind 82 Minuten gespielt, da reiht sich Borkowski in die offensiven Ungenaugkeiten ein, indem er einen an sich gut angelegten Konter nach Aue-Patzer verhungern lässt. Der Unruhepuls geht schon wieder in ungesunde Regionen, da darf man den Glücksgefühlen doch noch freie Bahn gewähren. Ein langer Ball von halblinks offenbart einmal mehr die Kopfballschwächen der Gäste (das kann man im Schacht ja auch schlecht trainieren). So fällt die Kugel auf der anderen Seite Lemmer vor die Füße, der mit einem extraschweren Pfund die Latte fast bersten lässt. Es bleibt keine Zeit, „Menno!“ zu rufen, denn am linken Pfosten lauert Borkowski. Mit der Brust annehmen, nach unten abtropfen lassen und dann mit links am heranstürzenden Männel vorbei ins Netz. 2:0!!!! Das ging für Lila alles viel zu schnell und Borkowski weiß eben doch, wie es geht, wenn er cool bleibt.

Für die letzten fünf Normalminuten kommen Bünning und Oehmichen für Zimmerschied und Lemmer. Jetzt ruhig runterspielen, zwei Tore schießen die heute nicht mehr. Von den fünf sind drei Minuten vorbei, da erwischt Berger einen Schachter am Fuß: Gelb und Rot. Das ist in der Summe Quatsch, das weiß auch Markus Anfang, der sich für seine berechtigte Aufregung auch gleich Gelb holt. Überhaupt: Gelbe Karten im Minutentakt.

Sechs Minuten Overtime. Dynamo in Unterzahl hinten drin mit viel Befreiungsschlägen, aber alles mit Kontrolle. Noch zwei Minuten zu gehen, da passiert es doch noch: Ein Block von Will springt Bär vor die Füße, der den Anschluss erzielt. Das Gute: Keiner bei Dynamo zeigt Nervosität oder Hektik. Die letzten Sekunden wird das Geschehen vom eigenen Tor ferngehalten, vor allem der quirlige Oehmichen zeigt sich dabei sehr aktiv. Dann ist Schluss. Die Auer wurden schon wieder Schachtmatt gesetzt und Dynamo konnte sein Wismütchen kühlen. Der Steiger geht.

Was noch?

Wieder musste man lange auf die Erlösung warten, konnten beste Chancen nicht genutzt werden. Dass das der Mannschaft nicht zum Verhängnis wird, liegt auch an der starken Defensive, bei der Kraulich einen richtig guten Tag hatte. Trotzdem muss Markus Anfang Trainingsmechanismen finden, wie die Torabschlüsse effektiver werden können. Und auch die Standards – meist von Meier getreten – waren wieder weitestgehend mangelhaft. Trotzdem war der Derbysieg eigentlich nie in Gefahr, weshalb die Aussagen des sichtlich enttäuschten Stefaniak, der ein Spiel auf Augenhöhe gesehen haben will, an Realitätsverlust grenzen. Ganz anders sein Trainer: Pavel Dotchev räumt die verdiente Niederlage unumwunden ein, wenngleich sie ihn natürlich wurmt. Überhaupt muss man mal sagen: Dotchev isn gudder Typ, irgendwie originär. So, und jetzt nach Essen.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Erzgebirge Aue
24. September 2023, Anstoß 19.30 Uhr
Tore: 1:0 Vukancic (7. Eigentor), 2:0 Borkowski (84.), 2:1 Bär (90.+4)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Kraulich, Lewald, Meier, Will, Hermann (60. Mießner), Zimmerschied (85. Oehmichen), Hauptmann (75. Berger), Kutschke (75. Borkowski), Lemmer (85. Bünning)
Ohne Einsatz: Broll, Menzel, Vlachodmos, Schäffler
Schiedsrichter: Harm Osmers
Fans: 31.834
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