Sujets entrückt von Raum und Zeit

Der israelische Maler und Illustrator Hillel Eflal

Stopp mal! Was macht der denn da? Passagiere der Linie 13 staunten diesen Sommer nicht schlecht. Völlig unverhofft werden sie Zeuge einer Momentaufnahme des Schaffens von Hillel Eflal. Eine Hausfassade an der Görlitzer Straße wechselt unter der Hand des Künstlers vom einschläfernden Beige ins überbordende Bunt. Hoch oben auf einer Leiter stehend, geht der 38-jährige Maler unter den Augen der Passanten hochkonzentriert seinem Tagwerk nach. Per Beamer zieht er die Linien der Gemälde-Skizzen auf die Wand, nun geht es per Pinselstrich weiter.

Wenn Menschen hinter Hillel innehalten, Bewunderer nach seiner Nummer fragen und Kinder staunend Komplimente an ihn verteilen, wird das Freiluft-Atelier zur Bühne, auf welcher der Mann mit der blauen Schirmmütze ein wenig schüchtern Audienz hält. Hillel Eflal ist alles andere als eine Plaudertasche und doch weiß der zurückhaltende Künstler diese Art von Aufmerksamkeit, das direkte Feedback auf seine Arbeit zu schätzen: »Ich fühle mich gesehen. Es macht etwas mit meiner Motivation.«

Hillel Eflal ist in der Neustadt längst kein Unbekannter mehr. Seit er vor gut zwei Jahren in Dresden strandete, mutieren banale Hausfassaden unter seinen kunstfertigen Händen zu fantastischen Zauberwelten. In ihnen tummeln sich feingliedrige Feenwesen wie der stolze König der Nachtfalter und die anmutige Bienen-Ballerina. Bei Hillel Eflal wachsen Streichhölzer auf Hauseingangsgröße an, wetteifern symbolhaft Flora und Fauna mit grafischen Mustern um die Gunst des Zuschauers. Und erst die Farben! Regelrecht magisch kommt das mystische Feuerwerk aus Grün-, Blau- und Violett-Tönen daher – auffallend und geheimnisvoll zugleich, und damit ihrem Erschaffer so ähnlich.

In einer ländlichen Kollektivsiedlung, einem Kibbutz, in Israel aufgewachsen, bemerkt der kleine Hillel recht bald sein Ausnahmetalent fürs Malerische. Künstler zu werden, wird sein großer Traum und motiviert ihn, Unterricht zu nehmen. Dem einjährigen Studium an der Kunsthochschule in Jerusalem folgen lange Jahre des Reisens. Insbesondere New York zieht den jungen Mann in seinen Bann. Zehn Jahre lang wird der Künstler Hillel in seinem Schaffen pausieren, aber der Mensch Hillel findet neue Freunde und seine zweite große Leidenschaft, die für Tallbikes.

Jene aus zwei Fahrradrahmen bestehende Alternativform des Hochrades schaut nicht nur ziemlich durchgeknallt aus, sie gilt auch als der heißeste Scheiß im Big Apple. Hillel lernt Schweißen, verdingt sich als Kunsthandwerker, baut verrückte Räder und radelt mit Zelt und Schlafsack durch die Staaten. Umtriebigkeit, unersättliche Neugier und die Lust am Hochradeln lassen den Mann mit dem gepflegten Bart auch nach der Rückkehr in die Heimat weiter radeln. Dass ihm gleich an seiner ersten Station in Ramallah das Kleingeld fürs Hostel fehlt, erweist sich als purer Glücksfall. Findet der Maler doch erst so zurück zur Kunst. Die Idee, im Gegenzug für drei Monate Kost und Logis die Fassadengestaltung der Herberge zu übernehmen, erweist sich zudem als pfiffiges Geschäftsmodell. Es ermöglicht Hillel Eflal fortan, seine drei Leidenschaften – Malen, Reisen, Fahrrad – miteinander zu verquicken. »Malen ist der optimale Beruf für Reisende«, gesteht der Hobby-Gitarrist zwischen zwei Schluck Bier. »Es gibt mir zu tun, denn es ist relativ einfach, Aufträge zu finden.«

Als Hillel Eflal vor drei Jahren in Deutschland einreitet, hat er eine monatelange Tallbike-Tour von Istanbul über den gesamten Balkan und Tschechien hinter sich. Überall hinterlässt er kreative Spuren, bemalt Bauwagen, Lastwagen, Pkws und immer wieder Wände, Wände, Wände … Sein erster Stopp in Dresden: Lollis Homestay, ein Hostel auf der Sebnitzer Straße. Die Freundlichkeit der Leute begeistert ihn. Bei Kaffee und selbst gedrehten Zigaretten kommt die internationale Gästeschar rasch ins Benimm, hier kann jeder nur ein paar Brocken Deutsch. Die Lässigkeit des Szeneviertels, die menschliche Wärme lassen den Maler heil durch seinen ersten deutschen Winter kommen. Denn auch hier funktioniert »Bezahlen per Bemalen«. Vorerst in Lobby und Treppenhaus von Lollis Homestay, später auf der Außenfassade.

Deutschland gefällt Hillel, hier würde er gern länger bleiben. Doch den radelnden Maler und Illustrator zieht es weiter. Und so begibt er sich auf die Suche nach der perfekten Stadt, testet ein paar Monate Berlin und Leipzig. Wieder zurück an der Elbe, überwältigt das gute Gefühl für die malerische Stadt im Tal. Neue Kontakte, Aufträge, sogar eine Wohnung sind schnell gefunden. »Es war wie Vorsehung.« Hillel nickt, um seine Worte zu unterstreichen, dann bekennt er zufrieden: »Ich bin jetzt ein Dresdner.«

Um Aufträge muss sich der Mann mit den vielen Farbklecksen auf dem Baumwollhemd keine Sorgen machen: Mal wird die Illustration eines Wimmelbilds gewünscht, mal das Aufpeppen eines Bäckereigeschäfts oder Werbung für einen Waldkindergarten. Insbesondere die Gestaltung von Plattencovern für die israelische Jazzband Apifera nimmt seit einiger Zeit Hillels Aufmerksamkeit in Anspruch. Ihren sphärischen Sounds entsprechend, kombiniert der Wahldresdner dabei fiktive Szenerien und märchenhafte Gestalten im schwelgerischen Dialog. Wie so oft, wähnen sich seine Sujets entrückt von Raum und Zeit, stets mit einem Fuß in der Jugendstil-Abteilung. Mucha lässt grüßen.

Der nächste Auftrag, die werbewirksame Wandgestaltung eines Biergartens, wartet schon. Auch die Görlitzer Straße ist noch nicht ganz fertig. Es lohnt also, beim Neustadt-Flanieren die Augen offen zu halten – nach einem Mann auf einer Leiter, umgeben von zahllosen Farbbüchsen, den Pinsel gezückt, der Welt entrückt und tief in seiner Arbeit versunken …
Mutti

Hillel Eflal

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