Um Harisbreite verloren?

Gut gespielt und doch geschlagen: Ein Rückblick auf Dynamo vs. Nürnberg

Was wäre wenn? Eine Fragespiel, dass wohl jeder Fußballbegeisterte im Kopf oder am Biertisch startet, wenn es nach einer Niederlage des so geliebten Vereins an die unvermeidliche Ursachenforschung geht. Was also wäre gewesen, wenn Haris Duljevic nicht einen Tag vor dem ersten Saisonfight die Brocken bei Dynamo hingeschmissen hätte? Im Einsgegeneins oft überragend, schnell und wendig. Aber andererseits egozentrisch, defensivschwach und mit gerademal vier (!) Punktspieltoren nicht eben ein Goalgetter. Es bleiben also nur Mutmaßungen und Kaffeesatzleserei. Cristian Fiel verbat sich nach dem Spiel solcherlei Gedanken. Verständlicherweise. Angefressen war er sowieso.

DIe erste Halbzeit: Vorwärts immer …

Der Blick auf den Kaderzettel ging natürlich zur Torwartposition: Kevin Broll. Wie sich aber herausstellen sollte, ist das noch keine endgültige Entscheidung, denn der Cheftrainer will (noch) keinen der drei Keeper endgültig auf die Bank oder die Tribüne setzen. „Jetzt bekommt jeder immer zwei Spiele“, sagte Fiel nach dem Spiel, ohne zu verraten, wie lange dieses Experiment andauern soll. Man darf gespannt sein. Dass mit Kevin Ehlers ein 18-jähriges Eigengewächs im defensiven Zentrum auflaufen würde, konnte fast erwartet werden, aber wie eindrucksvoll der Junge das Vertrauen zurückzahlen würde, wohl eher nicht. Apropos jung: Kapitän Niklas Kreuzer war mit 26 der Senior im Dresdner Team.

Fiels „Rasselbande“ legt sofort los. Schon nach vier Minuten hat sich Schwarz-Gelb erstmals zum fränkischen Sechzehner durchgespielt, am Ende verpasst Moussa Koné nur knapp den Ball. Überhaupt entfachen Atik, Kreuzer, Horvath und Burnic ein solches Kurzpassfeuerwerk, dass einem schon vom Hinsehen schwindelig werden kann. Von hinten heraus drücken Ehlers, Müller und Nikolaou das Spiel nach vorn, reißen immer wieder Löcher in der Mitte auf. Und wie sich nach einer durchwachsenen letzten Saison Linus Wahlquist präsentiert, lässt einen „Alter Schwede!“ rufen –  nicht nur wegen seines Distanzkrachers in der 14 Minute. Einzig Chris Löwe macht einen überwiegend verhaltenen Eindruck.

Schwarzgelb hat hier das Geschehen im Griff, kontert mehrfach aus aussichtsreichen Positionen, aber der Fluch des letzten Passes ist aus der letzten Saison auch in dieses Spiel geflutscht. So hängt Koné weitestgehend in der Luft, versucht deshalb immer mal, sich in der Tiefe oder auf der Seite den Ball zu holen, was aber kaum gelingt. Und wenn er dann doch mal gefährlich vor Mathenia auftaucht, geht an der Seitenlinie das Fähnchen hoch.

Auffällig sind die Ecken. Die ersten neun von insgesamt zwölf Eckbällen im ganzen Spiel werden baugleich ausgeführt. Kreuzer und Löwe schieben sich kurz den Ball zu, dann folgt die Flanke. Der Plan war wohl, auf den ersten Pfosten zu spielen, um die gefühlt 2,50 Meter großen Defender des Gegners außen vor zu lassen, aber das Vorhaben misslingt, da das Runde immer wieder genau bei den Riesen in der Strafraummmitte landet. Etwas mehr Variantenreichtum statt sturer Wiederholung desselben Versuchs wäre vielleicht angebracht gewesen.

Erst nach knapp 40 MInuten meldet sich der Club auch mal offensiv. Hack enteilt auf links, sein Pass auf Doevadan wird jedoch abgewehrt, dies aber direkt auf den Kopf von Ishak, der aber so schnell nicht platziert reagieren kann. Meist werden die ballführenden Clubberer am Strafraum gedoppelt oder gar gedrittelt, eine Art der kollektiven Verteidigung, die ein Durchkommen schwer macht.

Kurz vor der Pause Durchpusten hüben wie drüben: Erst bekommt Löwe einen gut getimten Rückpass hinter die Nürnberger Abwehr, kann aber von der Strafraumgrenze nur mit dem schwachen rechten Fuß abziehen. Dann taucht Ishak frei vor Broll auf, aber nach einem irrlichternden Tänzchen der beiden geht der Ball drüber. Pause.

Die zweite Halbzeit: Einmal nicht auf der Höhe

Hälfte zwei beginnt mit Gelb für Müller, eine etwas übertriebene Entschiedung. Und schon kommt der nächste Dynamo-Konter angerollt, Koné trifft diesmal den Pfosten, läuft aber ein weiteres Mal ins Abseits. Nur fünf Minuten später wird es dann bitter: Auf rechts erhält Sorg den Ball und kann in aller Seelenruhe Auschau halten, wohin er ihn spielen kann. In der Mitte läuft Dovedan in den Strafraum, zeigt das auch deutlich an, aber nur Kreuzer klebt an ihm dran – nur leider auf der falschen Seite. Kein Müller, kein Ehlers nirgends. Und es kommt wie es kommen muss: Unbehindert hebt Sorg auf den Kopf von Dovedan, der an Broll vorbei ins Netz vor dem K köpft. Haareraufen galore!

Die SGD antwortet sofort, fast im Gegenzug hat Nikolaou den Ausgleich auf den Fuß, doch die vielbeinige Abwehr fälscht ab, Mathenia boxt das Runde um den Pfosten. Röser kommt für Burnic, Taferner für Horvath. Koné trifft. Doch auch dieser wunderbare Spielzug wird per der Abseitsregel zunichte gemacht. Wahlquist fasst sich jetzt ein Herz und geht über den ganzen Platz wie ein Messer durch die weiche Butter – am Ende verliert er aber den entscheidenden Zweikampf. Nun macht sich auch etwas Verzweiflung breit. Fernschussversuche misslingen, die Kräfte lassen bei einigen sichtlich nach, wenn auch der Wille sichtlich vorhanden ist. Dann rennt Petrak auch noch allein auf das Dresdner Tor zu, doch Jannik Müller (der bereits Gelb sah) rauscht heran und präsentiert eine Jahrhundertgrätsche – punktgenau auf den Ball. Ein Wahnsinn!

Klingenburg ersetzt jetzt Löwe. Nun werden auch „richtige“ Ecken gespielt, der kantige Ruhrpottler erwischt auch eine, köpft jedoch drüber. Wuschelkopf Taferner versuucht es mit einem weiten Heber vom linken Strafraumeck, verfehlt den Knick aber knapp. Minute 85 zeigt dann das ganze dynamische Offensivdilemma komprimiert: Ein eigentlich perfekter One-Touch-Spielzug bringt den Ball zu Koné, der etwa acht Meter zentral vor dem Tor goldrichtig steht. Aber der Stürmer schießt einfach in die Mitte, wo das Leder erst abgefälscht und dann von Mathenia geklärt wird. 

Jetzt ist die Luft endgültig raus. Auch die fünf MInuten Nachspielzeit bringen nichts mehr, Nürnberg agiert clever und schindet die Minuten runter. Somit ist der FCN-Sieg pefekt – 447 Tage nach dem letzten Auswärtserfolg. Einmal mehr „hilft“ die SGD anderen beim Beenden von Negativserien. Und sonst noch so? Kein Videobeweis. Und: Megasupport auf beiden Seiten.

Fazit

Das System Fiel ist klar erkennbar, ist schön anzuschauen und lässt hoffen. Es bleibt aber (vorerst) dabei: Der Gegner weiß, dass er sich nur drei oder vier Situationen vor dem Dynamo-Tor erspielen muss – einmal klappt es schon. Und da Dresden das Toreschießen (noch) abgeht, reicht das eben am Ende. So fehlte trotz guter Leistung das, was man wohl das Quentchen nennt. Oder jemand wie Duljevic. Eben eine Harisbreite.
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. 1. FC Nürnberg
27. Juli 2019, Anstoß: 13 Uhr
Tore: 0:1 Dovedan (53.)
Dynamo Dresden: Broll, Wahlquist, Kreuzer, Müller, Ehlers, C. Löwe (78. Klingenburg), Burnic (76. Röser), Nikolaou, Horvath (71. Taferner), Atik, Koné
Ohne Einsatz: Boss, Ballas, Hamalainen, Ebert, Möschl, Atilgan
Schiedsrichter: Felix Zwayer
Zuschauer: 29.753
www.dynamo-dresden.de