Unter Druck entstehen Diamanten

Amüsement aus Tradition: Der 25. Hutball lockt wie eh und je

»Der erste Hutball«, Steffen Grosche rührt nachdenklich in seiner Kaffeetasse, »war im November 1995 und hat uns fast pleitegehen lassen.« Dabei schien das neue Format eines bürgernahen Ballvergnügens, welches den Zeitgeist von heute trägt, verblüffend originell. Um alle unter einen Hut zu bekommen, kommen alle nur unter einem Hut hinein. »Wir dachten, wir müssten dem Haus entsprechend agieren und haben beim ersten Ball gleich ganz oben ins Regal gegriffen: Max Raabe.« Dem Verlust in Höhe eines Kleinwagens begegnet Grosche heute mit Ironie: »Wir waren jung und brauchten kein Geld.« Wir, das ist die mittlerweile sechsköpfige Crew von Waterloo Produktion, gegründet 1994, verbunden mit fulminanten Veranstaltungen wie Panzerhof, Filmball, Pichmännel, Seifenkistenrennen, Ost-West-Party und Dresdens charmantester Sommer-Event-Lokation: Saloppe.

Möglich ist diese thematische Bandbreite zum einen durch eigene Werkstätten, Lager, Gafikstudio und einen riesigen Fundus an Material und Requisiten. Zum anderen durch die Zusammenarbeit mit professionellen Bühnenmeistern, Grafikern und Produktionsmanagern.

Das aufwendigste Event, zugleich Herzensprojekt und Aushängeschild von Waterloo ist und bleibt aber der Hutball. Eine Veranstaltung, so einzigartig, überbordend rauschhaft und mannigfaltig an Details, dass Künstler aus ganz Europa sich darum reißen, hier aufzutreten. Legendär: The BossHoss, zufällig an einem Hutballwochenende in der Stadt, entern spontan die Bühne, rocken die Bude in Grund und Boden und trinken hernach den kompletten Bierkühlschrank leer.

Das Konzept, welches Grosche und seine kreativen Geister dem altehrwürdigen Parkhotel vor 28 Jahren geradezu passgenau auf den Leib schneiderten, lautet bis heute: Man illustriere eine ausdrucksstarke Location bis in den letzten Winkel aufs Fantastischste und verquicke musikalisch wie gestalterisch auf zahllosen Floors den Glanz der alten Zeit mit dem Sexappeal des Popzeitalters. Eine Prise Trash darüber gestreut – ferdsch ist die Laube.

Dass die Hutball-Laube pandemiebedingt ganze drei Jahre verwaiste, ist um so bedauerlicher, weil für 2020 das Parkhotel im Stil des Grünes Gewölbes ausstaffiert werden sollte. Der Einbruch 2019 ließ grüßen. Vor allem schürte die Auszeit unter der deutschlandweiten Fangemeinde Ängste um den Weiterbestand ihres Lieblingsevents. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Den allgemeinen Teuerungen und dem gravierenden Personalmangel zum Trotz: Der 25. Hutball findet statt – anders als sonst im April und ohne die thematische Trennung in Ball und Party. Haargenau so wie früher mit der Vielfalt an Bands, DJs und skurrilen Liveacts, welche das riesige Haus bis in die kleinste Ecke (Stichwort Toilettendisco) in einen Cage aux Folles verwandeln. Geblieben ist auch der sagenhaft günstige Eintrittspreis.

Aber wie schaffen es die Tausendsassas um Steffen Grosche immer wieder, sich neu zu erfinden? »Du brauchst amüsierfreudige Freunde«, grinst Grosche und fasst nach. »Es gibt keinen Selbstläufer, man muss immer von Neuem Energie reinstecken. Bühnenbilder entwerfe ich fast ein halbes Jahr lang.« Auf die Frage, wovon er sich Inspiration holt, winkt der Oldtimer-Mercedes-Fan ab: »Wir gucken nicht nach rechts oder links, wir gucken nach vorn.«

Das gilt vor allem für die heiße Phase. Ganze vierzehn Tage haben die Waterloos und ihre Gewerke Zeit, um ein nacktes Parkhotel zum pompösen Feiertempel aufzubrezeln. In dieser Zeit lastet ein enormer Druck auf dem Team. Doch nur unter Druck entstehen Diamanten. Anschließend werden 120 Leute Personal und 80 Künstler die über 4.000 Ballgäste durch zwei Nächte arrangieren. Ein logistisches Wunder, von dem zwei Tage später nichts mehr zu sehen ist, denn genauso wenig Zeit bleibt für den Rückbau. Aber das ist Schnee von übermorgen. Erst mal freut sich Steffen Grosche diebisch auf seine speziell für den Hutball entworfene und gebaute »Flotte Lotte«, einen frivolen Amüsier-Automaten der Sonderklasse ;-)
Mutti

25. Hutball 21. und 22. April, Parkhotel Weißer Hirsch (ausverkauft)
www.hutball.de