Viel-Chancen-Tournee

Auch in Dortmund zeigt sich Dynamo Dresden siegreich mit Abschlussschwächen

Foto: SG Dynamo Dresden

Wenn in der Familie ein Geburtstag ansteht, dann geht die Familie natürlich vor. Und so kam es, dass ich diesen Auswärtskick nur mit halbem Auge, teils ohne Ton und die letzten 15 Minuten erst nachträglich gesehen habe. Deshalb fällt der Lesestoff deutlich kürzer aus als gewohnt. Aber zu sagen (schreiben) gibt es trotzdem ein bisschen was.

Die erste Halbzeit: Einmal ist einmal

Für den Anfang stellt Markus Anfang Tom Zimmerschied und Jakob Lemmer in die Elf seiner Wahl, Dennis Borkowski und Robin Meißner müssen erstmal sitzen bleiben. Ein kleine wenig hatte ich gehofft, dass Panagiotis Vlachodimos mal eine Chance bekommt, aber es sollten für ihn am Ende wieder nur die „üblichen“ drei Minuten plus Nachspielzeit werden. Zimmerschied hingegen scheint die Chance der Wiederkehr von der ersten Minute weg nutzen wollen. Aber als Zuseher hat man bis zur sechsten Minute, in der das erste Tor fallen wird, zunächst einige Probleme. Alle Fans in Schwarzgelb. Okay. Aber auf dem Rasen sind es die Falschen in unseren Farben. Und müssen wir jetzt für die Weinroten sein? Na ja schon irgendwie.

Aber spätesten mit der besagten sechsten Minute hat man sich eingewöhnt. Paul Will, der heute Freiheiten und Räume genießt wie sonst selten, spielt einen extraordinär schönen Steckpass durch drei Dortmunder genau in die Füße des schnellen Zimmerschmied, der einen Meter links vom Fünfer flach nach innen spielt, wo Stefan Kutschke wie eine Dampframme angerauscht kommt und den Ball aus Nahdistanz ins Netzt schmettert. Alles, was Gelb trägt, hebt hilflos die Arme, kein Wunder, das Erlebnis Gegentor kannten die Westfalen bis dahin noch nicht in dieser Saison. Ah, so fühlt sich das also an. Nicht gut. Dynamo hingegen: Tabellenerster!

Na das geht ja gut los, der BVB-Nachwuchs zeigt bereits jetzt Auslösungserscheinungen. Da sind doch bis zur Pause noch drei, vier Dinger drin. Gemütliches Spiel, einfach zurücklehnen und genießen, Ruhepuls im grünen Bereich. Ha, denkste. Das zweite Tor will einfach nicht fallen.

Lemmer auf Kutschke, knapp geklärt. Ecke Herrmann, Kopfball Kutschke, auf der Linie hinter dem Torwart geklärt, Nachschuss Zimmerschied weit drüber. Ecke Meier, Kopfball Meier auf den Goalie. Will aus 20 Metern volley, Keeper boxt über die Latte. Allein das alles zwischen dem Führungstor und der 15 Minute. Und immer so weiter. Von hinten raus über das Mittelfeld sieht alles fein aus und Dortmund sieht keinen Stich. Nur vorn, also ganz vorn geht immer irgendwas schief. Dazu kommt, das muss gesagt werden: Marcel Lotka in der Kiste der Hausherren hat einen sehr guten Nachmittag.

Es ist ausgerechnet der Kapitän, der dann in der 21. Minute für den Moment sorgt, das einen Mix aus An-die-Stirn-Klatschen und Abschmunzeln sorgt: Eine hohe Flanke von Herrmann fliegt Richtung langer Pfosten – und hier vertut sich Lotka mal. Eine klassische Szene aus der Schublade mit dem Etikett „Nimm' Du ihn, ich hab' ihn sicher“, denn da springen Lotka und sein Kollege Blank am Ball vorbei, während Kutschke dahinter lauert. Er muss nur noch einköpfen, wählt aber den anderen Pfosten als Zielmarke und verfehlt das Tor um Zentimeter. Das sieht extrem doof aus, allerdings war der Gedanke des Stürmers richtig. Da die Flanke relativ soft war, wäre auch der Kopfball nicht highspeed gewesen und zwei Gelbe waren auf dem Sprung zur Torlinie. Einer von denen hätte vielleicht einen Versuch auf die Kurze abgefangen. Wir werden es nie erfahren.

Wir erfahren aber, wie schnell es gehen, dass sich die Verballerei rächt, als Stefan Drljaca irgendwie einen Ball aus der Halbhocke soweit klären kann, dass er weggeschossen wird. Ansonsten versuchen sich noch Zimnmerschmied, Lemmer, Herrmann, Hauptmann, Will aus guten Situationen heraus (nah und fern), aber geblockt, daneben, Abseits oder gehalten. Auf der anderen Seite ist es Ex-Dynamo Franz Pfanne, der – sichtlich motiviert – seine Youngster mitzureißen versucht, der aber eher am Mitreisen interessiert scheinen.

Es ist fast schon Pause, da hat Kevin Ehlers vor dem Sechzehner einen Aussetzer im Fuß: Ein Querpass gerät eher schräg 45 Grad nach halbvorn direkt zum Gegenspieler, die nun drei gegen zwei auf dem Weg zum Ausgleich sind. Aber Drljaca riecht den Braten und schmeißt sich in den Schuss von Michalke. Auch Lotka zeigt sich auf der anderen Seite, als er dem direkt folgenden Konter den Erfolg verwehrt und Lemmers Schuss im Fluge klärt. Halbzeit.

Die zweite Halbzeit: Geschenk ohne Schleife

Zweite Hälfte, the same procedure as erste Hälfte. Lewald und Lemmer bekommen aus bester Position das Gerät nicht ins Netz, dazu immer wieder Lotka. Da muss man sich in Dortmund nicht sorgen, wenn Kobel und sein Vize mal gleichzeitig ausfallen. Dazu kommt: Dynamo ist zwar noch immer überlegen, aber nicht mehr so eine Domina wie in den ersten 45 Minuten. So nach einer Stunde kontert sich die Zweitvertretung über die Meierseite allen vor Drljaca, aber der begräbt den Ball und die Ausgleichshoffnung gleichermaßen.

Dresden wirkt nun auch etwas undynamischer, der bis hierhin überragend agierende Zimmerschied hat wohl sein Pulver verschossen, auf der anderen Seite geht es Lemmer wohl ebenso, letzterer wird für Dennis Borkowski ausgetauscht. Und dem hat die Ersatzbank offensichtlich Hummeln in den Hintern gejagt. Den nun doch etwas stärker werdenen Borussen setzt er immer wieder temporeich Entlastung der Dresdner Defensive entgegen. Er erläuft lange – manchmal auf Verdacht gespielte – Pässe in den Raum, macht die Bälle fest, schließt ab, sorgt für Unruhe.

Und dann mal wieder Hauptmann, der diesmal nicht ganz so auffällig wirkt wie zuletzt gegen Mannheim. Aber er ist eben dann doch ein entscheidendes Element, um von diesem Spiel das Label Zitterpartie herunterzureißen. 76. Minute, 25 Meter vor dem Tor lässt Hauptmann in einer einzigen flüssigen Bewegung erst einen Gegner staunend zurück und spielt dann nach rechts zu Borkowski, der ein paar Schritte geht und an der Strafraumlinie einen Haken schlägt. Derweil ist Hauptmann weitergelaufen, Borkowski seiht und der eben erwähnte Haken gibt ihm die Freiheit, Hauptmann am Fünfer anzuspielen. Die beiden finden sich wie beim Zaubertor gegen Mannheim. Die 27 bekommt links und rechts gelben Begleitschutz, wobei der Fuß von Bueno ebenso ungeschickt wie regelwidrig zum Einsatz kommt. Elfmeter zeigt der alles in allem sehr umsichtige Florian Heft an, Proteste vom BVB kommen nicht.

In der letzten Saison hatten sich Kutschke und Arslan beim Strafstoßschießen abgewechselt (letzterer saß übrigens bei den Nichthüpfern am Sonntag 90 Minuten auf dem Seitenmöbel). Der Dresdner Kapitän hätte also wieder zugreifen können, beweist aber ein gutes Gespür für die Situation. Als klar ist, dass Borkowski es sich zutraut, überlässt der dem noch torlosen Stürmer den Ball – ein Geschenk ohne Schleife, aber mit Mannschaftsgeist. Und die 29 enttäuscht nicht, schickt Lotka nach links, schießt stramm und voller Überzeugung nach rechts: 0:2. Das war es. Selbst wenn hier noch der Anschluss fällt, zwei Tore machen die Heimelfen nicht mehr. Oehmichen kommt für Herrmann, Kutschke geht für Schäffler, ach nee, für Meißner. Nur Minuten später dann Vlachodimos für Hauptmann und Bünning für Zimmerschied.

Danach gibt es noch drei beachtenswerte Szenen für den BVB: Pfanne prüft Drljaca, ein Freistoß fliegt knapp neben das Tor und in der Schlussminute zeigt der kurz zuvor beim eingewechselte Bamba einen guten Fuß und schlenzt den Ball fast in den Knick rechts oben. Aber auch Vlachodimos ist kurz vor Schluss noch mal zu sehen, als er macht, was er eben so gut kann: Auf außen den Gegner austanzen und den Ball in den Strafraum bringen – diesmal ist es Meißner, der am Torhüter scheitert. Dann ist Schluss. Dritter Sieg und Dresden grüßt in der Tabelle von oben. So soll es ja auch sein. So soll es ja auch bleiben. Und hoffen wir mal, dass diese Viel-Chancen-Tournee bald zum Ballermann führt.
Uwe Stuhrberg

Borussia Dortmund II vs. SG Dynamo Dresden
26. August 2023, Anstoß 14 Uhr
Tore: 0:1 Kutschke (6.), 0:2 Borkowski (76., Elfmeter)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Ehlers, Lewald, Meier, Will, Hermann (78. Oehmichen), Zimmerschied (87. Bünning), Hauptmann (87. Vlachodimos), Kutschke (78. Meißner), Lemmer (66. Borkowski)
Ohne Einsatz: Broll, Kraulich, Berger, Schäffler
Schiedsrichter: Florian Heft
Fans: 3.873
www.dynamo-dresden.de