Viktoria: Dresden

In Köln ging die Siegesgöttin mit Dynamo fremd

Etwas Wichtiges zuerst: Herzlich willkommen zurück im Team, Justin Löwe. Nach langer körperlicher Pein und stressender Reha durfte der 21-Jährige mit nach Köln fahren, und auch ohne Einatz an diesem Nachmittag dürfte das ein wichtiger Schritt zurück in den Fußballer-Alltag für ihn gewesen sein. Auf dem Rasen tauscht Trainer Markus Kauczinski (Hey Magenta: sprich Kautzinski, nicht Kautschinski!) nur wenig Grund, nach dem Heimsieg gegen Verl etwas zu ändern – er tauscht nur die Außen: Königsdörffer kehrt für den kaum überzeugenden Diawusie zurück und Sohm muss nach okayer Leistung wieder auf die Bank, damit die Hosiner-Daferner-9-Tore-Offense wiedervereint ist.

Auf der Gegenseite hat der erfahrene Trainerfuchs Pavel Dotchev seine Elf ordentlich durchgeschüttelt. Sieben neue, darunter mit Holthaus und Klingenburg zwei Ex-Dynamos, die in ihrer Dresdenzeit nicht so die Erwartungen erfüllen könnten. Immerhin ist ersterer mit der SGD aufgestiegen, mit letzterem ging es runter. Da mit Bunjaku, Risse und Wunderlich gleich drei Säulen wegbrechen, durfte man gespannt sein, welches Gericht die Kölner auf der Pfanne haben. Immerhin ist der Saisonverlauf der Rheinstädter bis jetzt so, wie der der Dresdner bis vor sieben Spielen. Derweil lunschen vier beinharte schwarzgelbe Fans aus Solingen als halblegale Gäste von außen durch den Maschendrahtzaun des Sportparkt Höhenberg – ohne Maske und Abstand wohl eine freiwillige Infektionsgemeinschaft.

Die erste Halbzeit: Elfmeter fürn Arsch

Anstoß Dresden. Warum wird eigentlich in allen Ligen der Welt zu 90 Prozent am Beginn der gleiche Spielzug hezeigt? Pass vom Mittelpunkt zurück, von dort ein langer Ball nach vorn, der meist danach verloren geht. Wie wäre es mal mit einer Überraschung? Zu seinen Drittligazeiten hat der Verein, dessen Namen wir hier niemals ohne zwingenden Grund nennen, es einmal so versucht: Fast alle Spieler rennen in den gegnerischen Strafraum, ein langer Pass geht dahin; durch die so entstandene Konfusion und die hohe Zahl an Akteuren auf engstem Raum, kam der Ball zu einem Angreifer, der ins Tor trifft. Oder man macht es so oder so. Oder ganz anders.

Ransford-Yeboah Königsdörffer jedenfalls scheint mit Spaß in dieses letzte Punktspiel des Jahres zu gehen, dann nach einer Minute veranstaltet er mit drei Kölnern an der Außenlinie ein Symposium zum Thema Hackespitzeeinszweidrei, um hernach dem verdutzten Zuseherdreieck noch zu zeigen, wie man den Ball dann auch zum Mitspieler bringt. Yannick Stark setzt sofort zum Slalom an gen Kölner Strafraum, wird aber gelegt. Freistoß, erster Auftritt Patrick Weihrauch. Aber ach, viel zu kurz, viel zu niedrig. Rausgeköpft – und in vier Zügen steht die rote Elf blitzschnell am Dresdner Strafraum. Doch der finale Pass missrät, weil geblockt durch Jonathan Meier. Dann ein Pfiff. Elfmeter! Bitte? Ellenbogen am Ball zeigt Schiedsrichter Sven Waschitzki an. Nur ging der Ball überhaupt nicht an das besagte Körperteil, sondern an Meiers Hand, die komplett angelegt am Hintern weilte. Ein Elfmeter fürn Arsch sozusagen. Und was für ein Déjà-vu zum Spiel gegen Verl. Broll rollt nach links, Cueto schießt in die Mitte, Einsnull nach drei Minuten. Könntste bleede wern. Aber ist ja noch Zeit.

Direkt danach ein schlechter Pass von Ehlers in Kölner Füße, den folgenden Konter kann die 39 nur per Foul am Ex-Kumpel Klingenburg stoppen. Schon nach ganz kurzer Zeit ist also klar. Während Verl versucht hat, mit tonnenweise Ballbesitz die Dinge gegen Dynamo zu regeln, sucht die Viktoria ihr Heil im fixen Umkehrspiel. Nächser Versuch in Minute 7: Kade vertüdelt sich im Vorwärtsgang, auf rechts startet Koronkiewicz, der an der Grundlinie noch Ehlers zum Statisten degradiert, aber am kurzen Pfosten nur eben den trifft – nun heißt es: Noch einmal mit Gewühl, aber Broll hat den Handschuh drauf, bevor etwas Schlimmeres passiert.

Die SGD wirft nun ein paar spielerische Downers ein, bekommt etwas Ruhe und etwas mehr den Ball. Nach zwölf Minuten bedient Weihrauch den rechts startetenden Becker, der den Ball fünf Meter vor der Grundlinie bekommt, an einer Lehmmulde, in der der das Leder fast steckenbleibt. Der Passversuch jedoch wird geblockt. Im Strafraum. Von Stellwagen. Mit erhobener Hand. Zur Erinnerung: Das ist ein Kölner Spieler. Kein Pfiff. Der Blick geht zum Himmel: „Fußballgott, warum hast du uns verlassen!“, möchte man hinaufrufen. Aber: Wie kann das sein? Natürlich darf dem Schiri mal die Sicht verdeckt sein, aber auch der Linienrichter hat Augen, der muss das sehen. Aber es gibt es eben solche Sideman, die nur dann die Fahne heben, wenn auch der Chef etwas pfeift. Besondes ungern sehe ich das bei Einwürfen: Fahne hoch erst dann, wenn der Chef Einwurf und Richtung anzeigt.

Aber immerhin: Becker hebt nur kurz die Hand und spielt reaktionsschnell weiter, tankt sich fast bis an den Pfosten durch, doch einen Wimpernschlag vor der Torlinie bekommt Philipp Hosiner das Zuspiel nicht kontrolliert ins Netz gedengelt. Doppelt Pech. Reißt heute die Glückssträhne? Schon wieder ein Kölner Konter und Stark bekommt sehr zeitig Gelb. Dynamo spielt einfach zu viele Fifty-Fifty-Bälle nach vorn, da ist eine Menge Stückwerk im Passspiel und auch in der Luft geht einiges verloren.

Ein Weile wird dann nur rumgelaufen, viel Halbes, nix Ganzes auf beiden Seiten. Klingenburg hat mal was auf dem Stiefel, Hosiner köpft mal drüber. Nach 36 Minuten verliert Weihrauch einen Zweikampf und in der Gefahrenabwehr kassiert nun auch Ehlers an fast exakt der gleiche Stelle wie zuvor Stark den gelben Karton. Vor der Pause dann doch noch mal Herzklopfen kostenlos hier wie da. Zunächst bekommt Klingenburg zentral keinen Pfund in den Innenrist und streichelt den Ball links weit vorbei. Dann zielt Daferner nach einer Weihrauch-Ecke ins Kurze, aber der langjährige Werderaner Mielitz packt zu. Pause.

Die zweite Halbzeit: Sohm ein Tag, Sohm wunderschön ...

Und weiter geht’s. Gleich nach drei Minuten endlich ein sehr schöner Spielzug über das komplette Feld, ausgehend bei Stark, aber am Fünfer wird zur Ecke geblockt. Die gibt Weihrauch in die Mitte – und siehe da: Ehlers offensiv! Doch sein Köpfer geht über den Balken. Das bleibt aber nur eine Momentaufnahme, denn Rot zieht wieder an. Broll spielt einen langen flachen pass direkt in deren Füße, so kommt Holzweiler zentral zum strammen Schuss, Broll fliegt, aber der Pfosten rettet. Dann spielt Becker einen Rückpass auf seinen Torwart, doch der gerät so quer, dass der Keeper ins Laufduell mit dem Jamaikaner Seaton muss. Und weil der Kevin es ja auch mit dem Fuß kann, schlägt er mal wieder einen Haken und hat Bahne frei Kartoffelbrei. Trotzdem: Das zweite Tor für Viktoria liegt in der Luft. Das fällt auch, fast. Denn Seaton – Rache fordernd für die gerade erlittene fußballtechnische Demütigung – kommt seitlich frei vor das Tor und will in den Knick schlenzen, scheitert aber knappst.

Nach einer knappen Stunde dann mal wieder der Referée. Ehlers geht in den Fight mit Klingenburg, der nach ein paar Schritten ohne Einwirkung hinfällt. Das war nix, winkt Waschitzki. Direkt danach, die Domstädter noch voll im Aufregemodus, buchstabiert Daferner mal eben das Wort „Präsenz“ ins Stammbuch der Kölner. In der Luft lässt er Fritz einfach mal so abprallen wie ein Gummihühnchen, am Boden bekommt er von Hosiner den Ball perfekt in den Lauf zurück, geht noch ein paar sehr lange Schritte und aus 18 Metern haut er den Ball einfach mal rein. Damit hat Mielitz offenbar nicht gerechnet (Womit denn eigentlich?) und lässt passieren: Ausgleich. Die SGD jubelt, die Viktoria tobt. Aber: Selbst, wenn da vielleicht bei Ehlers etwas war und der Aircheck von Daferner ziemlich heftig geriet, so hat der Fußballgott – siehe die Elferfehler in Durchgang eins – das Spiel wieder ausgeglichen. Der Schiedsrichter ist nun wieder ein Unrparteiischer. Am Rande: Marvin Stefaniak steht umgezogen bereit zur Auswechslung, wegen des Tors will Kauczinski nun aber noch abwarten.

Aber Köln hält wieder dagegen. Lorch zieht mit einem Hammer nach links unten die ganze Länge von Broll, der das Ding mit Ach und Krach abwehrt. Aber in der 65. passiert es dann doch: Ein an sich ungefährlicher Schussversuch wird – nicht zum ersten mal in dieser Saison – direkt zurück zum Gegner geblockt, der überragende Cueto zirkelt nun in die Mitte unter die Latte, wo Kevin Broll – eben noch der Held – das Leder durch seine Handschuhe flutschen lässt. Schon mal bemerkt, was fast alle Torhüter nach herben Patzern machen? Sie greifen zur Trinkflasche und nehmen einen Schluck aus der Pulle – dann muss man nämlich ein paar Sekunden niemanden hingucken.

Nun wird dieses Spiel ziemlich vogelwild (ein putziges Wort, oder?). Königsdörffer zwingt aus spitzem Winkel Mielitz in die Waagerechte, Koronkiewicz will gegen Knipping kurz darauf den nächsten Elfer schinden. Es gibt zwar einen Strafstoß, allerdings auf der anderen Seite – es wird der erste in dieser Saison für die Sportgemeinschaft sein. Zur Hand ging diesmal Holthaus – und es ist mehr als deutlich. Ein Schuss von Weihrauch geht an den ausgestreckten Arm, ergo: klare Verhinderung einer Torchance – es gibt nicht einmal Gelb. Aber hey: Immerhin wurde auf den Punkt gezeigt. Hosiner macht keine großen Faxen und tut es Cueto gleich – also mit Punch in die Mitte. 2:2. Wie im Fiaker kurvt der Österreicher im Abgang an Mielitz vorbei und flüstert ihm in der Vorbeifahrt noch etwas. Möchte man den Wortlaut wissen?

Jetzt kommen Stefaniak und Sohm für Hosiner und Weihrauch. Und wenn das Spiel schon ab der 65. Minute in Richtung Schwarz-Gelb zu kippen begann, zeigt Team Dresden nun die breite Brust. Auf der Kölner Bank wächst derweil der Frust zu Gelbrot für den Sportchef. Und dessen Puls wird nur wenige Minuten später wieder in die ungesunden Werte gehen. Ein Pass über 40 Meter kommt an der Strafraumkante auf die Stirn von Daferner, der mittig Sohm bedient. Noch zwei Rote vor sich, nimmt er mit rechts an, nimmt mit links mit, legt sich auf rechts zurück und schiebt wunderbar am Torwart vorbei. Die Kölner Abwehr nach dem Motto „Nimm du ihn, ich habe ihn sicher“. Kauczinksi vor der Bank guckt ebenso erfreut wie ungläubig: Hat der Sohm da wirkliche gerade …? Hat er! Dotchev hat nur Regen im Gesicht.

Dynamo geht nach fünf Toren erstmals in Führung, und das ist der Neckbreaker für die Heimelf. Lange hatten sie gehofft und gekämpft, nur, um dann doch noch vom schwarzgelben Bus umgefahren zu werden. Ja, es kommt noch schlimmer. Stefaniak „zwingt“ Seaton fast zum Eigentor, Königsdörffer kann einen verfehlten Torschuss nicht ins leere Gehäuse bugsieren, dann ein feiner Chip auf links zu Stefaniak. Der hat in der letzten Normalzeitminute sehr viel Rasen vor sich, läuft und guckt, läuft und guckt noch einmal und hebt den Ball über die Abwehr perfekt zum frei stehenden Sohm. Der nimmt in aller Ruhe an, geht noch drei Schritte und vollendet mit Wucht und Auge zum vierten Dresden Treffer. Köln kann nicht mehr, hat nichts mehr. Nur Lorch geht noch in den Trash Talk mit dem Schiedsrichter und kassiert Rot. Ende Gelände.

Fazit: Mit einem Quartett an Stürmertoren hat sich die Offensive lautstark zurückgemeldet, nachdem gegen Verl das Mittelfeld einnetzen konnte. Großartig auch Stark und Ehlers, die trotz gelber Karten in der ersten Halbzeit, ihr Spiel diszipliniert und taktisch meisterten. Am Ende stand Viktoria-Coach Pavel Dotchev ziemlich konsterniert da und konnte es kaum fassen, wie er gegen Dresden doch noch verlieren und auch noch vier Tore kassieren konnte. Dass aber die Kölner in ihrem Schiri-Frust die erste Halbzeit einfach mal so ausblenden, ist nicht gentlemanlike. Denn Bevorteilung und Benachteiligung wurden sauber geteilt. Dynamo hingegen – und da muss ich mich leider wiederholen – kann sich gegen Darmstadt am kommenden Dienstag nicht schon wieder eine so lange Einstiegsphase in das Spiel leisten. Da ist man zwar mal nicht der Favorit, aber angesichts der Finanzlage wird die Weiterkommenskohle dringlichst benötigt. Zwar spielt der Pokalgegner aus Hessen eine inkonstante Saison, hat aber zuletzt zweimal in Folge gewonnen. Aber freuen wir uns nun erstmal auf 30.000 Luftballons – da kann Nena nur neidisch gucken.
Uwe Stuhrberg

FC Viktoria Köln vs. SG Dynamo Dresden: 2:4

19. Dezember 2020, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Cueto (3. Elfmeter), 1:1 Daferner (59.), 2:1 Cueto (65.), 2:2 Hosiner (72. Elfmeter), 2:3 Sohm (78.), 2:4 Sohm (89.)
Dynamo Dresden: Broll, Becker, Knipping, Ehlers, Meier, Stark, Kade (90.+1 Großer), Weihrauch (73. Stefaniak), Königsdörffer, Hosiner (73. Sohm), Daferner
Ohne Einsatz: Wiegers, Kulke, Diawusie, J. Löwe
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Sven Waschitzki
www.dynamo-dresden.de