Von der Zähigkeit des Seins

Beim Remis gegen Saarbrücken verschenkt Dynamo am Schluss zwei Punkte

Was ist fast so selten wie eine Mauritius-Briefmarke? Wenn Dynamo Dresden zwei Spiele nacheinander mit dem exakt gleichen Kader antritt – auf dem Feld und auf der Bank. So geschehen gegen den Fußballclub aus Saabrücken. Noch ein wenig dumpf wirkt es in der Magengrube, denkt man an das Hinspiel mit den zwei Gegentoren in den Nachspielzeiten vor der Pause und dem Abpfiff. Der Trost: Nach dieser bedrückenden Niederlage kam die Siegesserie mit dem Sturm an die Spitze des Drittliga-Tableaus. Trotzdem war ich sehr skeptisch für diesen Nachmittag – bevor ich die Wohnungstür hinter mir schloss, meinte ich zu meiner Frau: „Ich denke, wir gewinnen heute nicht.“ Ach, hätte ich doch nichts gesagt.

Die erste Halbzeit: Zeitlupe in Echtzeit

Auf dem schon wieder ziemlich abgeschrabbelten Harbig-Rasen haben die Saarländer Antoß, Dynamo hat den menschenleeren K im Rücken. Und mal so nebenbei: Ich bin das Gebläke auf dem Feld und von der Seitenlinie nicht langsam, sondern schon lange leid. Das mag mal für eine kurze Zeit interessant gewesen sein, jetzt aber nervt es nur noch. Was auch nervt: diese Spiel. Nach vier Minuten sieht Tim Knipping Gelb, weil er sehr zeitig die Sense aus dem Schuppen holt. Drei Minuten später sollte es eigentlich 0:1 stehen, denn Günther-Schmidt lässt Knipping locker hinter sich, Sebastian Mai muss links raus, um nahe der Grundlinie zu spät zu grätschen, fehlt so in der Mitte, weshalb Jacob von allen verlassen zum Torschuss kommt. Ist es das Glück des Tabellenführers? Unterkante Latte in die Handschuhe von Kevin Broll. Puh, das war knapp.

Was jetzt folgt, ist ein Spielgeschehen voller Zähigkeit, es fühlt sich an wie Zeitlupe in Echtzeit. Die Gäste agieren Einszueins gegen die Heimelf, alles neutralisiert sich überall, die Sechzehner bleiben unberührbare Zonen, weil jeder Versuch, dort einzudringen, vor der Raumlinie zunichte gemacht wird. Und als Daferner dann doch in einen verheißungsvollen Konter abgeht, hebt der Linienrichter die Fahne. Werch ein Illtum, würde Ernst Jandl sagen.

Der beiderseitige Spieldruck zeigt zudem fußballerische Defizite in den Offensiven auf. Mannschaftsübergreifend sind die Pässe in die Spitze mangelhaft, gehen Bälle ins Aus, kommt kein Spielfluss jenseits der Mittellinie in Gang. Also heißt es bei Dynamo wieder und wieder Mai zu Knipping, Knipping zu Mai, Mai zu Ehlers, Ehlers zu Broll … Immerhin, die Defensive steht, die der Weißhemden aber auch. Doch in der Bewegung nach vorn münden die Versuche, keine Fehler zu machen, in Fehlern.

Bis zur Halbzeit passiert eigentlich so gut wie nichts. Man könnte fast meditieren auf der Tribüne unterm Stadiondach. Hosiner und Kade verdaddeln noch Gegenstoßansätze. Kurz vor der Pause leitet Broll mit weitem Abwurf ein, aber niemand macht was draus. Immerhin: Es ist der Wille da, in der Nachspielzeit den Ball zu haben – remember remember, the seventh of november. Und da ist sie, die einzige Halbmöglichkeit für ein dynamisches Tor: Nach einer Ecke sorgt Hosiner für Tohuwabohu um Torhüter Batz, der aber dann den letzten Zugriff hat.

Die zweite Halbzeit: Drehrumbum meets Messi

Im Pausengespräch mit Kollegen war wir uns einig: Pascal Sohm muss für Hosiner kommen. Der Österreicher hatte keinen guten Tag. Und so kommt es auch. Sogleich erzwingt der Neue eine Ecke durch puren Köprereinsatz, gleich danach erpitzelt der bis dahin kaum auffällige Königsdörffer ebenfalls einen Kick von der Fahne. Da darf dann auch mal Mörschel ran. Beide Standards bleiben folgenlos, aber ein wenig Leben scheint nun in diesem Spiel zu sein. Hier hält mal Broll aus spitzem Winkel, dort drischt Daferner aus fast gleicher – und natürlich entgegengesetzter – Position drüber.

In diese leicht hoffnungsschwangere Dresden-Phase kommt der Dämpfer mit der zweiten Ecke für Saarbrücken. Ex-Dynamo Jänicke bringt den Ball kurz vor den Fünf-Meter-Raum, wo Zeitz wie unbedrängt einköpfen kann. Aber was bitte heißt unbedrängt? Wenn es oft nach Standardtoren heißt, die Zuordnung hätte nicht gestimmt, so war diese hier komplett in Ordung, denn gleich drei (!) Spieler – Mai plus Knipping plus Mörschel – sind zur Stelle. Aber irgendwie sind die nur dabei statt mittendrin.

Jetzt ist bei Dynamo mal kurz Verunsicherung drin, wollen die Saarmänner nachlegen. Aber es dauert nur vier Minuten, bis sich die jungen Schwarzgelben einmal mehr als Comeback-Kids erweisen. Ransford-Yeboah Königsdörffer bekommt den Ball kurz vor dem rechten Strafraumeck vollzieht mit seinen zwei „Begleitern“ eine vorzügliche Narretei, die den Titel „Drehrumbum meets Messi“ tragen könnte. Am Ende seiner Moves tunnelt er beim Pass noch zwei, sodass Sohm zentral vor dem Kasten nur locker einschieben muss.

Mit dem Ausgleich wird es nun ein Fußballspiel. Knipping köpft fast das 2:1, Broll muss auch einmal zupacken. Acht Minuten vor dem Ende muss Dresden aber das Ding drehen. In einer ganz starken Kombination geht Meier an die Grundlinie und spielt in den Rückraum zu Kade. Ohne Torwart vor sich, hat er hat nun zwei Optionen: halbhoch über den einzigen Gegner, der schon am Boden ist, oder nach rechts zu Ehlers spitzeln, der nur noch einschieben muss. Aber die 20 zieht in der Hektik die dritte Möglicheit: flach und scharf. Doch ein Beinpaar mit blauen Stutzen fliegt dazwischen. Stor kommt für Daferner.

Dann noch einmal Auftritt Königsdörffer: Erst Doppelpass, dann spielt er genial Meier auf links frei. Der macht einen Schlenker um den Gegenmann und will zum Sieg einschlenzen. Aber Saarbücken haut alles was da ist dazwischen und rettet das Remis über die Latte. Schluss und aus.

Fazit: Ein Beinbruch ist diese Punkteteilung nicht, wenn man im Nachholer gegen Wehen-Wiesbaden den Dreier zieht. Aber ein paar Fragen ergeben sich doch. Vor allem – und zum wiederholten Mal: Traut Markus Kauczinski seiner Bank nicht? Immer wieder wird betont, wie toll die Qualität des Kader ist, wie sich die Spieler ergänzen. Aber außer gegen Meppen hat der Coach sein Wechselkontingent lange Zeit nicht ausgeschöpft. Warum nicht Kwadwo, wenn Knipping mit Gelb herumläuft? Die Gefahr einer Doppelkarte ist schließlch immer da. Was wenn Stark statt Kade die Chance gehabt hätte oder Kreuzer statt Meier? Man könnte auch Stor statt Keuzer bringen und Königsdörffer ins Zentrum als Stümer ziehen? Ja klar, solche Sprüche klopfen kann natürlich jeder, aber liegen diese Fragen nicht nahe? Man könnte auch meinen, es sollten Kräfte für die nächste englische Woche gespart werden, aber in der Vergangenheit hat Dynamo meist nur im Sturm rotiert. Außerdem: Nach der Phase der erfolgreichen Stabiliserung scheint die SGD-Spielweise nun sehr ausrechenbar, der Taktik sollte immer wieder ein Überraschungsmoment beigemischt werden. Aber okay, ist ja schon gut: Das ist Meckern auf hohem Niveau. Hauptsache, man lässt sich am Mittwoch nicht Ver-Wehen.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. 1. FC Saarbrücken 1:1

13. März 2021, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 0:1 Zeitz (58), 1:! Sohm (62.)
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Mai, Knipping, Meier, Königsdörffer, Kade, Will, Mörschel, Daferner (85. Stor), Hosiner (46. Sohm)
Ohne Einsatz: Wiegers, Kwadwo, Kreuzer, Stark, Stefaniak
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Franz Bokop
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