Wenn der Ofen nicht mehr bollert

Die Stille in den Klubs wird immer lauter

Die Dresdner Klublandschaft hat wahrlich etwas Besonderes. Und ich sehe es als Privileg, nicht nur als Journalist, sondern mit unserer Reihe »SAX Konzerte« auch als Veranstalter vor sowie hinter den Bühnen regelmäßig Gast sein zu dürfen. Der Beatpol mit seinem herrlichen Ex-Kinosaal und den begnadeten Backstage-Köchen. Die GrooveStation mit diesem Rock’n’Roll-Feeling, das selbst bei HipHop-Acts durchschlägt. Die Scheune, das alte Schlachtross Dresdner Livekultur, das sich im September zum Umbau vorerst verabschiedet. Das Alte Wettbüro mit seinem Mix aus »Schicki-Micki-Fraß« (siehe »Der beste Koch der Welt«), konzertgerecht hergemachtem Tanzflur und dem Nahkampf-Gartenhaus. Das im Wortsinne geschlauchte Blue Note mit einer Künstlernähe de luxe und im Pandemiefall eigenem TV-Studio. Und – neben einigen anderen – ist da noch der Ostpol.

Der Klub auf Kö47 ist etwas Besonderes: Denn er vereint auf sehr originelle Weise Kneipenhistorie und zeitgenössische Popkultur. Vorn eine richtige und im besten Sinne Kaschemme alter Schule. Hinten, durch Schwingtüren davon abgetrennt, ein kleiner Konzertsaal mit Dielen auf dem Boden, ein paar ollen Kinoklappstühlen an der Rückwand und zwei Kohleöfen. Ja, richtig gelesen: Kohleöfen.

Kommt man als Veranstalter in den Ostpol, ist es fast ein Ritual. Erst kommt der Lichtmann, dann die Band, dann der Tonmann. Sind die Musiker erstmals hier, ist das Erstaunen immer wieder groß: Dass es so was noch gibt! Wer aber glaubt, dass es auch technisch antiquiert zugeht, wird schnell eines Besseren belehrt: PA und Beleuchtung sind top, die Qualität der Shows kann mit jedem anderen Klub mithalten. Eine Treppe hoch dann der Backstage, ebenfalls kuschelig brikettbeheizt. Währenddessen wird in der Küche – fast immer – Pasta mit einer vegetarischen Sauce zubereitet. Bandmitglieder schaufeln dann aus zwei Töpfen ihre Teller voll, bevor es auf die kleine Bühne geht, die eine perfekte Höhe hat.

Unvergessen die erste Ostpol-Show der SAX-Konzerte-Serie: I’m Not A Band. Ausverkauft. 120 Menschen im Tanzschwitzmodus. Ein Wahnsinn. Später kamen mit uns Jens Friebe, Christine Owman, Helgen, Poems for Jamiro, Too Tangled und viele andere; besonders in Erinnerung ist uns natürlich die Buchpremiere zum Gedichtband des verstorbenen SAX-Gründers Bernhard Theilmann. Auch die heute so erfolgreichen Steiner & Madlaina gaben hier ihr erstes Dresden-Konzert – im kommenden Jahr werden sie am 6. November im Beatpol zu Gast sein. Und genau das ist die so reizende »Lotterie« der kleinen Klubs: Manche Acts starten von hier aus die große Karriere, andere spielen hier Jahr für Jahr – und auch das ist gut so.

Man könnte sich an diesem Punkt regelrecht in Begeisterung schreiben. Doch: Die Öfen im Ostpol bollern nicht, keine Band fläzt sich gemütlich auf dem Backstagesofa, niemand steht an den vorsintflutlichen Videospielen, keine Pasta mit vegetarischer Sauce auf dem Tisch. Und dann ist da diese unheimliche Stille im Saal. Wer aufmerksam hinhört, wird schnell merken, dass jene Stille zunehmend brüllend laut wird – wie auch im Beatpol, in der Scheune, der GrooveStation, der Tante Ju, im Blue Note, dem Puschkin, dem Alten Schlachthof, im Wettbüro, der Strasse E, im Bärenzwinger, allen anderen Studentenklubs …

Es ist nun wichtiger denn je, gerade in der Zeit der abnehmenden Solidarität der Menschen untereinander, dass nicht vergessen wird: Es war die Kulturbranche, die erst die eine, dann die andere Wange hingehalten hat. In der Diskussion, wie es denn nun in den kommenden sehr schwierigen Monaten mit den Hilfen weitergehen soll, muss das stets im Fokus sein. Sonst gehen viellleicht bald überall die Öfen aus.
Uwe Stuhberg

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