Wenn der Steiger nicht kommt

Mit einer furiosen ersten Halbzeit nagelt Dynamo Aue an die Wand

Wenn im Erzgebirge etwas strahlt, dann wird dies meist mit Uran in Verbindung gebracht. Heute jedoch strahlten nur zwei Dinge: Die freudigen Gesichter der schwarz-gelben Sportgemeinschaft und die noch greller scheinende rote Laterne der Holzmichels. Na, lebt er noch? Wer Pavel Dotchevs hilflosen Auftritt bei der Pressekonferenz nach dem Spiel gesehen hat, muss daran zweifeln. Aber hey, wen kümmert’s? Uns kümmern nur: Platz fünf und 34 Zähler.

Halbzeit eins: Kutschke gibt die Kopfball-Bestie

Die ersten zehn Minuten zeigen das, was man gern „Abtastphase“ nennt. Auf jeden Fall sieht es nicht danach aus, dass Dresden hier einen Sturmlauf wie gegen Hannover hinlegen wird. Nur Manuel Gräfe will gleich mal eine Duftmarke setzen und zeigt Dimitrij Nazarov bereits nach vier Minuten die gelbe Karte wegen einer Schwalbe. (Hätte er mal eine Stunde später beim selben Spieler auch so genau hingeschaut!)

Nach fast genau einer Viertelstunde wäre das Unternehmen Auswärtssieg dann fast mit einem Fehlstart losgegangen. Auf der Außenbahn nahe der Mittellinie dribbelt sich Marvin Stefaniak fest, etwas, dass wir an diesem Nachmittag von ihm und vor allem von Niklas Hauptmann noch oft sehen werden. Dem Ballverlust folgt ein für Auer Verhältnisse gescheiter Pass in den Dynamo-Strafraum, wohin Albert Bunjaku angerauscht kommt, aber eben auch Niklas Kreuzer. „Habe ich nicht einen schicken Oberkörper?“, flüstert der seinem Gegner noch ins Ohr, und: „Nimm das!“ – und so macht ein schicker Check dem Bemühen um ein Heimtor den Garaus. Nein, so kommt der Steiger nicht. Ein Absteiger schon.

Denn nur zwei Minuten später gibt es für Aue den ersten Nackenschlag: Kreuzer, gerade noch Retter in der Not, schlägt eine Ecke von rechts genau auf den Schädel von Stefan Kutschke, der im Wortsinne alle überragt und den Ball Richtung Netz wuchtet. Doch Martin Männel bekommt die Patschehändchen noch dran, aber Jannik Müller steht am zweiten Pfosten genau richtig und versenkt zum ersten Tor. Tata! Karnevalstimmung bei allen, die schwarz-gelbe Kostüme tragen. Und das war ja nur der Anfang.

In der 21. Minute geht Lumpi in der Mitte steil, legt im richtigen Moment nach rechts außen, wo Aias Aosman mitgeht. Doch der ärgert sich noch ein bisschen, weil er nur zwei Jahre jünger ist als geglaubt, 19 wäre ja auch cool gewesen, da hätte er im Oktober einen Runden feiern können. So in Gedanken, schubst der das Spielgerät zu Kreuzer. „Mach du mal“, ruft er noch. Und der Niklas macht etwas: Wie Rocket Man donnert er in den lila Sechzehner und ballert mit Kopf, Auge und gutem Fuß den Ball am Männel-Ohr vorbeizischend ins Netz. Ja ist denn heut schon Weihnachten? Irgendwie schon!

Wer jetzt glaubt, die Heimelf würde nun mit dem Mute der Verzeiflung und so weiter ... Nichts da. Dynamo bringt Ruhe rein, hällt die Schachter vom Ball fern und wartet nun auf die nächste Gelegenheit. Nur ein Köpke-Schuss ist zu sehen, der aber deutlich am Tor vorbei geht. Stefaniak macht es leider auf der anderen Seite nicht viel besser. Und dann muss Aue auch noch doppelwechseln – einmal aus taktischen und einem aus gesundheitlichen Gründen.

Als es schließlich auf die Halbzeitpause zugeht, darf wieder gejubelt werden. Der Minutenzeiger ist zum 39. Mal auf dem Weg zur Zwölf, da gibt es wieder einen Eckball, den diesmal Philip Heise absenden darf. Und wer ist der Adressat? Stefan Kutschke natürlich. Der steht so allein auf weiter Flur, dass er noch sein Handy sucht, um via Tinder noch einen Gegenspieler zu finden, aber da ist niemand. Also macht er das eben wie im Training: hoch den 1,94-Body, Schädel abnicken, rein das Ding. Jubel, Trubel, Heiterkeit kennen im Gästeblock der Auer Baustelle nun keine Grenzen mehr.

Gräfe gibt zwei Minuten Overtime. Was macht man in einer so kurzen Zeit? Am besten noch einmal dass, was gerade so schön geklappt hat. Allerdings will jetzt auch Stefaniak seinen Assist, weshalb er zur Eckfahne schreitet. Und diesmal versuchen die Erzgebirgler mit gekreuzten Hämmern und allem, was sie sonst noch haben Kutschke am Kopfball zu hinden, aber es will einfach nicht gelingen. Links unten rein. Der Pausenpfiff übertönt gerade so das Weinen von Martin Männel.

Halbzeit zwei: Bremsen bis zum Standfußball

Eigentlich könnte die Geschichte dieses Spiels an dieser Stelle enden, denn die zweite Hälfte war weit weniger ein Vergnügen. Das Vorhaben war offenbar, das Spiel weiter zu kontrollieren, ohne dabei sinnlose Risiken einzu gehen. Doch geworden ist daraus fast das Einstellen des Spiels. Immer wieder zerstören Fehler und ungute Pässe das Aufbauspiel, während die Heimmannschaft jetzt doch hin und wieder vor das dynamische Gehäuse kommt. Immer wieder versucht Hauptmann, sich gegen zwei, drei Gegner durchzusetzen, was ihm ein ums andere Mal misslingt. Aber auch Lumpi und Stefaniak haben nicht ihre besten Tage, der eingewechselte Erich Berko kann auch nicht wirklich viel bewegen. Denn an Bewegung mangelt es. Uwe Neuhaus wird sich nach dem Spiel genau darüber aufregen, zu Recht. Allerdings hätte er dann auch ein paar seiner Faulpelze eher auswechseln können. Aber was solls: Gegen diesen Gegner reicht es eben.

Und der bekommt dann sogar noch ein Tor geschenkt: In der 60. spitzelt Marco Hartmann im eigenen Strafraum den Ball von Kvesics Füßen, der gestenreich darniedergeht, als hätte man ihn erschossen. Gräfe fällt drauf rein, Nasarov verwandelt, obwohl Marvin Schwäbe in die Ecke segelt. Da ist das spätere ebenso unabsichtliche wie nichtgeahndete Handspiel von Kutschke eben ausgleichende Gerechtigkeit. Leider kassiert der Hartmann noch seine fünfte Gelbe und fehlt somit am Freitag.

Am Ende kann Aue glücklich sein, dass Dynamo das Dutzend nicht voll macht. Erst köpft Kutschke nach einer geniale Flanke von Stefaniak direkt auf Männel, dann versemmelt der eingewechselte Pascal Testroet eine Tausendprozentige. Allein geht er auf den Keeper zu und könnte auf den mitgelaufenen Berko querlegen. Aber kurz vor Spielende und drei Toren Vorsprung sei etwas Stürmer-Egoismus auch mal erlaubt. Der Paco also umkurvt den Martin, aber dann bekommt er den Körper nicht richtig gedreht und schießt ans Außennetz. So wird das nichts mit der Startelf.

Am Ende verraucht der Ärger über diese zweite Halbzeit ziemlich schnell (beim Trainer wohl eher nicht). Ein Derbysieg im Wald – endlich mal wieder. Schicht im Schacht!
Uwe Stuhrberg

Erzgebirge Aue vs. Dynamo Dresden
27. Februar 2017, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 0:1 J. Müller (16.), 0:2 Kreuzer (21.), 0:3 Kutschke (39.), 0:4 Kutschke (45.), 1:4 Nazarov (60., Elfmeter)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, Modica, J. Müller, Heise, Hartmann, Lumpi (58. Berko), Hauptmann, Aosman, Stefaniak (85. F. Müller), Kutschke (78. Testroet)
Ohne Einsatz: Wiegers, Konrad, Teixeira, Starostzik
Schiedsrichter: Manuel Gräfe
Zuschauer: 10.000
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