Wenn die Bank eine Bank ist

Für die SGD tüten die Eingewechselten den Heimsieg gegen Ingolstadt ein

Foto: SG Dynamo Dresden

Ein Heimspiel verpassen ist die Höchststrafe für einen übervollen Kalender. Und so kam es, wie es kommen musste: Der 2. September war bei mir belegt mit dem Seifenkistenrennen in der Saloppe und dem letzten Folklorum in der Kulturinsel Einsiedel – für beides war seit Monaten fest zugesagt, dass ich auflegen werde. Von 11 Uhr vormittags bis früh 2.30 Uhr war an Beschäftigung mit Fußball kaum zu denken. Kaum? Ganz ohne geht es dann natürlich nicht. Also wurde auf dem Phone geguckt (ohne Ton), weswegen meine Betrachtungen diesmal etwas minimiert wirken. Besonders schmerzlich: Die Atmo ging komplett an mir vorbei, die, wie mir berichtet wurde, einmal mehr überragend war.

Die Personal-Frage vorab war natürlich: Tobias Kraulich oder Lars Bünning? Die Angeschlagenheit von Kevin Ehlers machte den Weg frei für einen der beiden neuen Defender – und es wurde: Kraulich. Sein zeitlich deutlich längerer Arbeitsnachweis im Team inklusive Vorbereitung gab laut Markus Anfang den Ausschlag, und es sei vorweggenommen: Die 33 hat geliefert. Außerdem: Nach seinem Elfertreffer im letzten Spiel kam Dennis Borkowski in die Startelf zurück.

Die erste Halbzeit: Ringen on Fire

Konrad Oldhafer hatte seine Pipe noch nicht so richtig aus dem Mund gezogen, da steigt Stefan Kutschke das erste Mal empor, köpft aber über das horizontale Gebälk. Das Schönste daran war vorab der feine Doppelpass, den sich Claudio Kammerknecht und Luca Herrmann lieferten. Für eine Kusshand war leider keine Zeit. Denn kurz darauf geht Kammerknecht weit vorn schon wieder all in, immer drauf auf den mit Ball herumirrenden Guwara, der es erst verpasst, zum Keeper zurückzuspielen und dann – mit einem leisen „Ach, du Scheiße“ auf den Lippen – den Rasen küsst. Im Fallen will der den Fehler ausbügeln, spielt aber nur das Leder in die Füße von Tom Zimmerschied, der jetzt nur noch einen Gegner und den Torwart (weit draußen) vor sich. Unten rechts lässig einschieben wäre wohl die Lösung gewesen, die Realität zeigt aber unten links vorbei. Na gut, sind noch keine fünf Minuten gespielt. Das mit der Chancenverwertung wird sicher noch. Geredet haben ja alle darüber.

Jetzt zeigt sich auch Niklas Hauptmann. An der linken Seitenlinie kontert er wie ein Berserker, schüttelt dabei den mehrfach klammernden und zupfenden Mause ab, fällt dann aber doch. Sorry Herr Oldhafer, aber das ist eine gelbe Karte, da ging es dem Ingolstädter nur um den Mann. Aber der Referee zeigt nichts, vielleicht hat er ja die Karten beim Skat verlegt. Derweil zeigt Paul Will mal seine Zehner-Qualitäten, indem er superb Herrmann in den Strafraum schickt.

Sprachen wir über die Chancenverwertung? Genau, und über Zimmerschied. Da ist Hauptmann schon wieder ganz links außen und spielt perfekt in den Lauf von Borkowski, der alles in diesen Sprint legt und wunderbar durch den Sechzehner in die Mitte legt, wo Zimmerschied ohne Pressing eine Sekunde zu lang Zeit zum Nachdenken hat: Linker Fuß, rechter Fuß? Ist eigentlich egal, wenn man falsch zum Ball steht. Der für diese Entfernung deutliche Vorbei-„Schuss“ sieht dann doch etwas kümmerlich aus. Und wenn Kutschke fünf Zentimeter weiter vorn gewesen wäre, hätte auch er das Tor machen können/müssen, so aber bleibt ihm nur das Fliegerlied.

Bis zur 25. Minute kann man sagen: Defensiv alles bestens, wenn auch nur ein Ansatz von Gefahr aufzieht, wird alles vielbeinig und in aller Ruhe weggeatmet, wenn überhaupt, fällt nur Meier in der Kette etwas ab, Kraulich und Lewald spielen, als wäre es nie anders gewesen. Das Mittelfeld ist mit Will, Hauptmann und Herrmann sehr gut unterwegs, offensiv sieht allerdings anders aus. Kutschke kaum zu sehen, da meist im Doppeldecker, Borkowski bemüht, Zimmerschied im Pech.

In den 20 Minuten bis zur Pause beruhigt sich das Spiel zusehends, die Oberbayern haben ein paar Stellschrauben bewegt und zeigen sich bis zum Mittelfeld auf Augenhöhe. Man stellt sich schon auf die Pause ein, da passiert noch etwas. Aus einem Gästeeinwurf heraus kontert Borkowski pfeilschnell, legt den Ball noch am Gegner vorbei, wird aber doch gestoppt. Da zückt der Schiri zum Erstaunen aller die rote Karte für FCI-Kapitän Fröde. Häh?! Die Auflösung bekommt man nur im TV: Ein weiter Einwurf von Malone landet am Elfmeterpunkt der SGD, wo Kutschke und Fröde aufeinanderfallen, und sich ein wenig wie Ringer verhakeln. Der unten liegende Kutschke steht zuerst auf, zieht seine Beine unter Fröde hervor, was wiederum die Gehhilfen von Fröde zum Wackeln bringt. Von der Seite, also aus der Sichtachse des Linienrichters aus, mag das wie ein Nachtreten ausgesehen haben, der Schiedsrichter selbst war kein Augenzeuge, da er schon beim Konter mitlief. So vertraut Oldhafer seinem Seiten-Buddy und schickt Fröde in die Kabine. „Werch ein Illtum!“, hätte Ernst Jandl gerufen, denn hier gab es kein Foul, es war eher ein Ringen on Fire, um mal etwas abgewandelt auf June Carter zurückzugreifen.

Vielleicht wäre es für Ingolstadt anders gekommen, hätte der eine Käptn den anderen nicht gar übel beschimpft, denn Kutschke selbst gab nach dem Spiel zu, dass er mit dem Unparteiischen geredet hätte, wenn er nicht so beleidigt worden wäre. Dass sich allerdings FC-Coach Köllner in der Szene gar einen Elfmeter für seine Mannschaft herbeifantasieren wollte, kann nur mit dem Frust erklärt werden. Nun also Überzahl für Schwarz-Gelb, aus der Vergangenheit wissen wir aber aus leidvoller Erfahrung, dass das nichts bedeuten muss.

Sprachen wir über die Chancenverwertung? Genau, und über Zimmerschied. Und der hätte jetzt das Tor des Tages schießen können (von müssen, sagen wir mal lieber nichts). Will macht in der Nachspielzeit den Xabi Alonso und hebt das Leder kunstvoll über Feind zum Freund direkt auf den Fuß der 22. Der nimmt das Ding direkt aus der Luft und hämmert es knapp über den Balken. Ist der drin, hätte Zimmerschied seine Karriere beenden können, weil: Schöner wäre es nimmer geworden. Es müsste längst 2:0, 3:0 stehen. Steht es aber nicht.

Die zweite Halbzeit: Vlachodimos mal so mal so

Bis die Stunde rum ist, passiert kaum etwas. Man kann es nicht Langeweile nennen, aber die Donaustädter machen vor allem hinten dicht, was es der dynamischen Offensive schwerer macht, mal durchzukommen. Es wird geblockt, gegrätscht, zweigekämpft was das Zeug hält. Versuche von Fernschüssen kommen nicht ans und schon gar nicht ins Ziel. Also hilft vielleicht ein Wechsel, besser noch, ein Doppelwechsel. Vlachodimos und Lemmer rein, Zimmerschied und Borkowski raus. Sprich: Hohes Tempo wird auf beiden Flügeln neu gebracht. Ich freue mich für allem für Vlachodimos; endlich bekommt er mal deutlich mehr Spielzeit als ein paar Restminuten.

Aber was heißt denn hier paar Minuten? Der Mann benötigt keine 120 Sekunden, da öffnet er die Dose dieser Partie. Dabei geht es nun Schlag auf Schlag. Schon in den letzten beiden Spielen war zu beobachten, dass das Tool des Distanzschusses vermehrt aus dem Werkzeugkassen geholt wird. Und so probiert es Lewald aus 25,38 Metern, testet aber dabei nur die Konsistenz des Querholzes. Nur Sekunden später gibt Will auf Herrmann, der es aus 17,88 Metern probiert – mit mehr Ach als Krach bekommt Goalie Funk noch die Handschuhe dran, patscht zur Seite, wo nun wiederum Lemmer angerast kommt und einen screen pass (wie der Footballer sagen würde) durch den Fünfer auf Vlachodimos am anderen Pfosten spielt. Der sieht 63 Mann plus Torwart vor sich und hat den Mut zu Lücke, die eigentlich nicht da ist. Einfach mal draufhalten, mit Schmackes. Und weil der letzte Mann im weißen Hemd auf der Linie komplett fehlsteht, geht das Ding rein. Einzunull! Endlich! Παναγιώτης Βλαχοδήμος weitet die Arme, als würde er gleich eine Runde über der Schüssel drehen und zeigt dann mit der flachen Hand auf der D seines Trikots. Man könnte heulen vor Freude mit dem Mann.

Wir wollen aber nicht vergessen, dass der Assist vom anderen gerade Eingetauschten kam, von Jakob Lemmer also, der nur drei Minuten nach der Führung das zweite SGD-Tor auf dem Stiefel hat, den Ball aber an Funk nicht vorbei bekommt. Aber was heißt denn hier, Tor auf dem Stiefel: Das geht noch einen Tick dramatischer. Sprachen wir über die Chancenverwertung? Genau, nun über Vlachodimos. Nur sechs Minuten nach seinem Tor erläuft er einen perfekten hohen Pass von Will kurz vor dem Elfmeterpunkt, ist allein mit Funk, umkurvt diesen. Und trifft! Den Pfosten! Nicht ins leere Tor! Frank Mills Holztreffer von 1986 geistert durch die Köpfe, wenn auch der damals viel mehr Zeit hatte. Zwar kommt Vlachodimos direkt vor dem Schuss leicht ins Straucheln, aber machen muss er den trotzdem. Man könnte heulen vor Ärger mit dem Mann. Doch noch auf der Wiese liegend, muss er schon ein wenig lachen und winkt zu Will den Dank für den Mega-Assist.

Aber der 70. Minute geht es um das Verrinnen der Zeit. Mit wieviel Risiko geht die SGD auf das erlösende zweite, wann geht der FCI ins Risiko für den einen Punkt. Neun Minuten vor Schluss kommt Tom-Kaspar Berger zum Debüteinsatz für den leicht angeschlagenen Herrmann, der zweite Wechsel ist der Klassiker: Schäffler für Kutschke. Bei den anderen kommt mit Testroet ein guter Bekannter.

Drei Minuten sind noch in der Normalzeit zu gehen, da gibt es doch noch fast den Ausgleich. Einen weiten Freistoß boxt der bis hierhin fast arbeitslose Drljaca vom Tor weg, räumt dabei aber seine Vorderleute weg und spielt Malone den Ball in die Füße. Mit drei Mann vor sich am Boden, hat der nun freie Schussbahn, aber Kraulich fängt den ersten Schuss mit Reflex und Können ab, der zweite geht weit drüber.

Jetzt cool bleiben, dann wird alles gut. Die Neunzigste läuft, aber Kammerknecht läuft auch. Ingolstadt hat hinten ausgelöst. Da sieht die 15 Schäffler auf Links in den Strafraum laufen und schickt einen weiten Pass genau auf den Mann. Schäffler nimmt mit dem rechten Fuß an, läuft noch fünf Schritte, guckt Funk aus und wuchtet den Ball wie vor 28 Minuten Vlachodimos von derselben Stelle aus zum Zweizunull ins Tor. Endlich! Nach so langer Treffer-Durststrecke. Man könnte heulen vor Freude mit dem Mann. Dann ist es aus. Tabellenführung.

Was noch sagen wäre

Fünftes Spiel, vierter Sieg. Da wirkt Sandhausen wie eine unnötige Beule in der bisherigen Saison. Aber ganz täuschen lassen sollte man sich nicht. Es wäre jetzt von großem Vorteil, Spiele auch mal durchgehend überlegen zu führen, eine zeitige Führung baldigst zu erhöhen oder nicht so lange kein Tor zu schießen. Noch immer liegt die Krux in der mangelnden Veredlung von Chancen zu Treffern. Alles andere sieht überwiegend gut bis sehr gut aus. Also trainieren wir doch mal eine Woche lang nichts anderes, als in verschiedensten Konstellationen auf (oder besser ins) Tor zu schießen. Klingt naiv? Wenn schon. Und letztendlich ist es vielleicht auch gut, dass es keinen Last-Minute-Transfer gab, der das immer besser zusammenwachsende Gebilde noch mal aufreißt, denn es ist sehr gut möglich, dass es mit dem Personal, das jetzt da ist, gelingen kann. Und wenn wir schon von Personal reden: Ralf Hauptmann und Jan Seifert wurden verabschiedet. Danke für alles!
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. FC Ingolstadt
2. September 2023, Anstoß 14 Uhr
Tore: 1:0 Vlachodimos (62.), 2:0 Schäffler (90.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Ehlers, Lewald, Meier, Will, Herrmann (81. Berger), Zimmerschied (61. Vlachodimos), Hauptmann (90.+1. Bünning), Kutschke (81. Schäffler), Borkowski (59. Lemmer)
Ohne Einsatz: Broll, Lehmann, Oehmichen, Meißner
Schiedsrichter: Konrad Oldhafer
Fans: 28.129
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