Wenn ein Schwan stirbt

Die geglückte Revanche der SGD in Zwickau

Knapp 20 Jahre ist es her, dass sich Dynamo und der FSV in einem Punktspiel gegenüberstanden, obwohl die Dresdner 2017 und 2019 hier jeweils ein Pokalspiel absolvierten, als den Gegnern Dassendorf und Koblenz keine Heimspielstätten zur Verfügung standen. Aber von denen, die damals dabei waren, steht an diesem Gastspiel in der Ex-Trabant-Stadt niemand mehr im Kader.

Eher – und noch recht frisch – im Gedächtnis ist die Heimpleite in der Hinrunde, die bislang einzige Niederlage auf heimischen Rasen. Doch inzwischen haben sich die Vorzeichen geändert. Befand sich Dynamo damals noch in der Findungsphase Kategorie „holpriger Start“, ist man nun souveräner Tabellenführer trotz zweier Spiele Rückstand. Nichts weniger als eine Revanche erwartet also der schwarzgelbe Teil der eene Bande, jener Fanfreundschaft, die ihren Ausdruck in über 16.000 Geistertickets findet. „Mit Abstand beste Freunde“ zeigen dann auch die Kapitäne beider Teams vor dem Anpfiff per Banner an.

Startelftechnisch war vor allem spannend, was die beiden Geburtstagskinder (gibt es einen Begriff für Erwachsene?) betrifft: Wird Markus Kauczinski an seinem 51. Niklas Kreuzer an seinem 28. wieder spielen lassen – nach dem euphorisch gefeierten Comeback gegen Lübeck? Nein, wird er nicht. Platzhirsch Ransford-Yeboah Königsdörffer kehrt nach seiner Sperre auf die rechte Außenbahn zurück. Entsperrt hingegen war noch immer nicht Sebastian Mai, der bei seinem Ex-Verein ob der Spielabsagen ein letztes Mal zusehen musste. Ebenfalls beachtlich: Pascal Sohm spielt auch diesmal für Philipp Hosiner, der trotz ausgewiesener Torgefahr wieder an der Seite sitzen muss. Da darf man gespannt sein, wie es in der kommenden englischen Woche weitergeht.

Die erste Halbzeit: 20 Zentimeter

Dynamo hat den Ball und schon nach 120 Sekunden erkämpft Königsdörffer die erste Ecke. Paul Will, diesmal für alle Standards in des Gegners Hälfte zuständig, tritt diese gut herein, aber Schiedsrichter Patrick Kessel sieht einen widerrechtlichen Angriff auf Schlussmann Brinkies, obwohl dieser eher vom eigenen Mann niedergestreckt wird. Es ist nicht die einzige Zweikampfbewertung, die in diesem Spiel fragwürdig sein wird – auf beiden Seiten.

Die ersten 15 Minuten laufen unter der Rubrik „Abchecken“, aus der Distanz probieren es Schröter dort und Kade hier, Mörschel und Königsdörffer versuchen sich im Slalomlauf. Zwickau muss früh wechseln, Möker erholt sich nicht von einem Duell mit Christoph Daferner. Überhaupt gibt es viele Unterbrechungen, kleine Fouls, nichts Bösartiges, eher robustes Arbeiten. So kommt Starke für den FSV nach einem Kade-Foul an Schröter zu einer guten Freistoßsituation, ballert aber meterweit über den Broll-Kasten.

Vorher war mal Mörschel verheißungsvoll an der Zwickauer Grundlinie und Königsdörffer hatte einen tollen Lauf, aber ersterer brachte es im Nahkampf nicht zu Ende und zweiterer die Flanke nicht an den Mann. Königsdörffer und Hereingaben – ein wiederkehrendes Thema in meinen Betrachtungen. Auf der Habenseite der Gastmannschaft ist der Schädel des Kapitäns. Tim Knipping lässt da niemandem eine Chance und köchelt den gefüchteten Ronny König wieder und wieder in die Verzweiflung. Und wie er in der 19. Minute aus nächster Nähe das heranbrausende Leder über den eigenen Balken köpft, benötigt Können und Selbstbewusstsein.

Kurz bevor die halbe Stunde rum ist, rucken die Dynamischen an, man will nun offensichtlich Ernst machen. Zunächst scheitert Sohm im Strafraum, weil ein Zwickauer Fuß den Torschuss zur Ecke lenkt. Direkt im Anschluss schickt Kade einen Rebound an den langen Pfosten – von Daferner mit dem Scheitel verlängert, muss Brinkies alle Flugkünste aufbieten, um den Einschlag zu verhindern. Und nur Minuten später versucht sich Will an einer Reprise seines Premierentors vom letzten Spiel an gleicher Position, vertüddelt sich dann aber mit zuviel Drall nach Links. Derweil zeigt sich Kevin Broll mit einer Kopf-Brust-Einlage, um ein Vielleicht-Missverständis mit Knipping aus dem Weg zu räumen. Ansonsten ist auch heute die Defensive ein zuverlässigen Räderwerk. Ehlers und Kwadwo agieren mit einer bemerkenswerten Ruhe und Konzentration an den Seiten des Chefs, da hat der Coach die Qual der Wahl, wenn Sebastian Mai wieder spielberechtigt ist.

Dann mal wieder Ecke, Mörschel hatte Königsdörffer geschickt, dessen Passversuch aber vom Schuh des Gegners geblockt wird. Will schreitet zur Tat und bringt den Bogen an die Fünferlinie, wo Sohm und Knipping eine Zwei-Personen-Traube bilden, die schon ob ihrer puren Masse und Kraft nicht zu verteidigen ist. Nur einen Tick eher ist Sohm mit der Stirn dran, schickt den Ball an den Innenpfosten, von wo dieser knapp aber klar hinter die Linie kullert. Gutes Auge vom Linienmann, aber auch keiner der Zwickauer protestiert. Wir legen uns fest: 20 Zentimeter.

Nun hat Paul Will endlich auch einen Assist, und feiert das drei Minuten nach der Führung mit einem ausgiebigen Hasch-mich-Tanz an der Torauslinie. Das bleibt zwar brotlose Kunst, zeigt jedoch, wie motivert und spielfreudig der Mann in diesen Tagen ist. Aufmerksamkeit ist allerdings vonnöten, wie der 17-Meter-Kracher von Schikora kurz vor der Pause zeigt – knapp vorbei.

Als alle schon den Pausentee herbeisehnen, passiert doch noch etwas. Ein langes Ding geht von Ehlers auf die Reise genau auf den Kopf von Daferner am FSV-Sechzehner; der legt akkurat ab in den Lauf von Sohm, der rechts heranrauscht und wieder in die Mitte zurückspielen möchte – ein Arm in weißem Hemd verhindert das. Sofort pfeift der Referee Elfmeter, Prosteste der Zwickauer allerorten. Sagen wir mal so: Ja, die Distanz war kurz, ja, der Arm von Nkansa war angelegt. Aber auch ja, der Arm war gewinkelt und die Hand stand ab, wo sie passabweisend ihre Wirkung entfaltete. Als jemand, der es mit Schwarzgelb hält, sage ich zudem: Wir haben schon ganz andere Dinger fressen müssen. Das Ende vom Lied: Daferner donnert den Strafstoß mittig, Brinkies fliegt eckig: 0:2. Interessanterweise unterschieden sich die Beurteilungen bei Magenta TV und MDR konträr: Bei der Telekom hieß es „total fasche Entscheidung“, beim Heimatsender „klarer Elfmeter“. Was soll’s: Have a break ... Und Jansa tritt das Atmo-Mikro.

Die zweite Halbzeit: Durchgebracht

Ganz ehrlich: Dieser Durchgang ist kaum berichtenswert. Nicht, weil es schlecht gespielt war, sondern eher ereignisarm. Dresden bringt das Ding mit Überlegenheit und Überzeugung durch Zeit und Raum. Daferner hat nach Pässen von Will und Kwadwo noch Möglichkeiten, Köngsdörffer die vielleicht beste, verschießt aber kläglich aus wenigen Metern. Es gibt noch ein paar Ecken und eine feine Kombination mit Hackenbeteilung zehn Minuten vor Schluss. Aber Meier spielt in die Hande des Torwarts.

Zwickau hingegen hat nur noch ein paar Verzweiflungstaten aus der Distanz auf der Pfanne und langsam schwindet auch der Glaube an das Wunder. Erst fünf Minuten vor dem Ende dann doch die Anschlussgelegenheit, aber Wolfram verfehlt ebenso wie der für Daferner eingewechselte Hosiner auf der „richtigen“ Seite. Apropos Wechsel: Zwei von fünf möglichen zieht der Dynamo-Coach, davon Stefaniak für Mörschel erst in der Nachspielzeit. Werden hier Körner für die kommenden zeitengen Spiele gespart oder fehlt dann doch das Vertrauen in die Bank? Es ist ja nicht das erste Mal, dass Markus Kauczinski sehr sparsam mit Einwechslungen umgeht, viele davon auch nur in den Schlusssekunden. Abpfiff.

Fazit: Im Zwickauer Stadtwappen – und somit auch in dem des FSV – sind drei Schwäne zu sehen. Einer davon ist heute gestorben, die restlichen zwei werden den Westsachsen zum Klassenerhalt reichen. Sehr wahrscheinlich wird es eine Weile nicht mehr zum Derby kommen, und wenn doch, dann hoffentlich nur, weil Zwickau uns eine Liga höher gefolgt ist. Denn, da lege ich mich fest: Wenn Dynamo von den ausstehenden 15 Spielen mindestens (!) sechs gewinnt, wird das reichen, weil das fröhliche Jeder-schlägt-Jeden in Liga 3 munter weitergeht. Schalke wird dann schon warten.
Uwe Stuhrberg

FSV Zwickau vs. SG Dynamo Dresden

20. Februar 2021, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Sohm (38.), 2:0 Daferner (45.+1, Elfmeter)
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Knipping, Kwadwo, Meier, Königsdörffer, Kade, Will, Mörschel (90.+1 Stefaniak), Daferner (81. Hosiner)
Ohne Einsatz: Wiegers, Kreuzer, J. Löwe, Großer, Stor
Zuschauer: 16.825 Geister
Schiedsrichter: Patrick Kessel
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