Wiederholn ist nicht gestohln

Mit Verve und trotz Behinderungen siegt Dynamo Dresden gegen Essen

Foto: SG Dynamo Dresden

Da rollt er wieder, der Ultra-Trabi – allerdings nur via Choreo durch den K-Block; das Original ist wahrscheinlich noch immer irgendwo auf einem Polizeiparkplatz in „Verwahrung“. Aber nicht nur die Skyline samt Autostrada sogte für ein Fanfest – der lautstarke Support aus beiden Lagern sorgte schon mal für Gänsehaut. Immerhin packten die NRWler den Gästeblock rappelvoll, was leider selten genug vorkommt. Da kam mir wieder meine Idee von vor langer Zeit: Die Vereine, denen Dresden mit Tausenden von Gästen die Kasse füllt, sollten mal einen finanziellen Ausgleich leisten, wenn deren Fans wiederum nur im Dutzend in der Harbig-Schüssel aufschlagen.

Kurz auf den Teamzettel geschaut, der Niklas Hauptmann ist dabei – ein Schelm, wer da wieder an eine Anfang’sche Nebelkerze denkt. Also durften die Osnabrück-Besieger in Gänze ran. Derweil prangt unter der Choreo „Willst Du nach Dresden rein, muss Dein Verein Dynamo sein.“ Das fällt dann an Originalität doch etwas ab im Angesicht der Mühe mit dem Kunstwerk oben drüber. Aber vielleicht war für den Spruch am Ende keine Zeit mehr. Also gehen wir mal rein in das Spiel 1 des 70-Jahre-Jubiläums.

Die erste Halbzeit: Arslan hebt ab, Drljaca am Boden

Ich möchte mir wahrlich nicht schon wieder auf der Pressekonferenz nach dem Spiel anhören müssen: „Die Anfangsphase haben wir irgendwie verschlaffen …“ Das war schließlich in den letzten Wochen nach „Besser werden“ und „Davon können wie uns jetzt schon wieder nichts mehr kaufen“ Platz 3 der dynamischen Trainersprüche. Und es hatte den Anschein, als könnten die Kollegen auf dem Grün da unten das auch nicht mehr hören. Also wurde nicht gepennt, sondern gleich angepackt, angetrieben von ohrenbetäubenden Fangesängen.

Schon in den ersten Minuten gibt es den ersten bemerkenswerten Hauptmann-Lauf, spielen Borkowski und Arslan Hacke-Spitze, macht Kammerknecht den Conteh, rammt Kutschke den gegnerischen Goalie schon mal in den Rasen. Könnte man Ballbesitz wiegen, würden hier schon jetzt Tonnen auf der Anzeige stehen. Gerademal eine Ecke kann sich Essen erspielen, weil Park verhindert, was er verhindern soll. Schon die ersten zehn Minuten sollen Rot-Weiß vermitteln: Ihr. Heute. Nicht.

Damit hinten auch wirklich nichts anbrennt, haben sich Kammerknecht, Lewald, Knipping und auch Park auf einen defensiven Sahnetag eingeschworen – mit einem überragenden Paul Will vor sich, der zwischen Brachialität und Übersteigern immer wieder für Augenreiben sorgt. Dieser Stabilbaukasten ist auch deshalb wichtig, da es mit dem Viele-Tore-Schießen seit dem Halle-Spiel nicht so weit her war.

Es ist noch keine Viertstunden auf der Spieluhr vergangen, da pumpt Park an der Außenlinie den Zuschauern das Adrenalin in die Blutbahn: Er verhindert einen Konter mit einer extraordinären Grätsche, behält das Leder erst im Spielfeld und erobert dann noch den zu einem Roten springenden Ball mit einer weiteren Grätsche am Boden zurück. Das ist ja fast wie der Bodeneinsatz bei Kiddo vs. Die verrückten 88 als Kurzversion. Manchmal ist ein ein Park eben mehr als ein Großer Garten. Doch damit nicht genug: Borkowski sichert den Ball zu Kutschke, der spielt wie ein Zehner raus nach rechts zum anlaufenden Kammerknecht, der mit allem Hüftschwung, den er hat, ein bogenlampiges Schmankerl an die Fünferlinie am langen Pfosten sendet. Zwei Rote ringen um den Muttiheft-Eintrag „Sie haben sich sehr bemüht“, können aber dabei nur Stefan Kutschke einrahmen, während in ihrem Rücken das Spielgerät noch einmal im Gras aufditscht. Eine halbe Sekunde sieht sich Dennis Borkowski schon ein Tor schießen, aber zuvor macht Ahmet Arslan eine halbe Drehung, steht jetzt mit dem Rück zum Tor und: Dann hebt er ab und – völlig losgehelöst vooon deeer Eeerdeee hebt die Dresdner Sechs das Runde per Fallrückzieher ins Eckige. Na da geht doch hier mal alles aus den Stühlen, wenn man denn noch sitzt! Wir denken an Patrick Schmidt gegen Aue, Filip Trojan gegen St. Pauli oder Klemen Lavric in Erfurt (Tor des Jahres 2004) – so oft kommt es eben nicht vor.

Es dauert ein paar Minuten, um sich zu beruhigen, da geht der Puls schon wieder durch das Stadiondach. Eine Allerweltsflanke der Essener schickt Will aus dem eigenen Sechzehner direkt in die Flugbahn von Conthe. Der kratzt den Ball nicht nur von der Außenlinie ins Feld vor sich, sondern läuft auch auf direktem Weg in den Gästestrafraum. Dort will er mit einem Linksmove die zwei Verfolger düpieren und wird von einem einfach nur abgeräumt. Dabei wäre ohne das Foul ein zweikampf um den Ball mit der roten 3 noch möglich gewesen. Aber der Schiedsrichter, dessen Name nicht genannt werden soll, lässt trotz bester Sicht auf das Geschehen die Pfeife irgendwo – nur im Mund ist sie nicht. Gönndste reeneweg verrückt wern. Conteh lässt sich die Suppe aber nicht versalzen, sondern geht nur drei Minuten später wieder durch wie ein warmes Messer in der Butter, aber Kutschke kann den Ball nicht verwerten.

Dynamo ist nun drückend überlegen und das Besondere ist: In wirklich jeder Situation ist der Versuch erkennbar, das maximal Mögliche herauszuholen – und sei es nur ein Einwurf. Und auch wenn sich Conteh dann doch mal in einem Mexican Standoff mit zwei Verteidigern verzettelt, so spielt er deutlich mehr im Team als zuletzt. Wer allerdings nicht ins Spiel findet ist – der „Unparteiische“. Mag man den ersten Fail noch als Drittliga-Unglücksfall abtun, ist das, was in der 28. Minute passiert, schon ein Schauerstück aus dem Fußball-Stadl. Die Essener Golz und Sponsel spielen das berühmte „Nimm du ihn, ich hab' ihn sicher“ – aber übersehen die heranrauschenden Borkowski und Kutschke am eigenen Strafraum. Den Ball im freien Raum erwischt Borkowski, der aus etwas spitzem Winkel einschiebt, währen der RWE-Keeper in Kutschke rauscht. Zweinull! Zweinull! Denkste! Der Referee erkennt auf Foul am Torhüter. Bitte was? Bitte wer? Bitte wo? Alle Aufregung hilft natürlich nicht. Kein Tor. Schwerstverletzt krümmt sich Golz am Boden, aber die Wunderheilung lässt nicht lange auf sich warten.

Aber Borkowski brennt jetzt, versucht es gleich zweimal nach Vorgaben des wieder einmal wuseligen Hauptmann, aber es gelingt nicht. Also jetzt mal ruhig, nur noch fünf Minuten bis zur Pause, gediegener Einwurf zu Drljaca. Bisschen Hintenrum und die Führung mit an den Teetisch nehmen. Als Kammerknecht den Ball zum eigenen Torhüter wirft, sieht man auf links Park winken, wie er schon das ganze Spiel winkt. Er will immer den Ball. Aus der Vogelperspektive der Pressetribüne sieht man aber schon im Ansatz die Absicht von Drljaca, das Spiel mit einem direkten Pass zu beschleunigen, aber man sieht von oben auch, dass das schiefgeht, wenn der Ball flach kommt, denn Berlinski riecht den Braten. So kommt es, wie es besser nicht kommen sollte: Fehlpass, Tor leer, Ausgleich. Warum um Himmelswillen hat er den nicht die Hände benutzt? Der Nacken ist noch gar nicht richtig unten, da patzt Drljaca schon wieder, aber diesmal kann Berlinski nichts draus machen.

Na ja, es sind ja noch 50 Minuten Spielzeit. Und da spielt Conteh auf Hauptmann, der wieder zu Conteh, der lupft in den Strafraum – herrlich sieht das aus –, Borkowski geht in die Endzone und wird per Arm-ins-Gesicht zu Boden gebracht. Nun bekommen wir doch noch den Elfer von vorhin, es gleich sich eben doch alles aus, ist eigentlich Kutschke oder Arslan dran … Aber nein, für den Mann in Schwarz war das schon wieder nix. Gottseidank ist jetzt Pause, das ist alles zu aufregend hier. Das gilt auch für Tim Knipping, der sich fast mit dem Halbzeitpfiff eine Gelbe zum Haareraufen holt.

Die zweite Halbzeit: Wo ein Will ist …

Der Essener Torwart muss jetzt vor den K, das ist natürlich nicht ohne – und schon wenig später erschallt der Klassiker „Das steht ein …“ – you know what I mean. Conteh und Hautpmann schnibbeln sich gleich mal per Doppelpass war, aber zu geil gedacht, zu steil gespielt. Und gleich noch mal Conteh: Er lässt einmal mehr gleich zwei hinter sich und spielt dann einen goldigen Pass durch die Schnittstelle auf Kutschke, dessen Wuchtbrumme Golz aber zur Ecke boxen kann. Die folgende Ecke köpft Knipping leider direkt auf den Mann. Aber das geht doch ganz gut los hier, zumal Drljaca in einem erneuten Einsgegeneins mit Berlinski mit vollen Körpereinsatz die Gästeführung verhindert. Da waren kurz Bayreuther Gefühle unterwegs.

Und auch Borkowski erinnert sich an das „gestohlene“, beendet eine feine Querpassstaffette über Arslan und Hauptmann aber am Außennetz. Doch der Kerl gibt keine Ruhe, er zerrt und stürmt, wird dann zentral gefoult. Aber diesmal findet Arslan aus 20 Metern nur die Arme von Golz. Essen hingegen kontert sich nur noch einmal durch, aber Berlinski „übersieht“ seinen komplett freien Nebenmann und schießt auch noch grottig drüber. Der Nebenmann fordert sowas wie den Einsatz des UN-Sicherheitsrates. Oder so.

Bisschen was über eine Stunde ist gespielt, dann gibt es doch noch den Elfmeter für Dynamo Dresden. Park hatte sich querfeldein durch die Zentrale gepflügt, Hauptmann flegelt sich irgendwie in den Sechzehner, den nach außen springenden Ball will sich nun Park auf der falschen Seite holen, und wird dabei klar (oder klarst oder am klarsten) von den Füßen geholt. Gerechtigkeit im vierten Versuch. Denkste. Ist die Pfeife vielleicht verstopft? Hat der Spielleiter ein Lungenproblem? Da muss doch was sein! Irgendwas?! Eine grobe Fehlentscheidung, na ja. Zwei sind schlimm. Drei sind eine Katastrophe. Vier sind dann einfach vier zuviel. Vielleicht denkt der ja auch, dass der VAR anruft, wenn was nicht stimmt und er weiß nur nicht, dass es den in Liga drei nicht gibt.

Mit jeder Minute steigt jedoch der Druck auf Essen, unermüdlich treiben vor allem Will, Arslan, Hauptmann und Borkowski die Roten vor sich her. Wieder die 27 auf die 9, der an der Kreidekante anzieht und am knäppsten verfehlt. Da guckt der Torwart nur noch hinterher. In der 66. Minute ist es dann aber soweit: Dennis Borkowski bekommt sein Tor und niemand kann es ihm diesmal wieder wegnehmen. Rot-Weiß kommt einfach nicht mehr hinterher bei all den Außenläufen und Seitenwechseln, der Überblick geht sichtbar flöten. Und da hat Arslan einmal richtig Zeit für eine Flanke, darf sogar noch auf links legen, kommt ja keiner. Ein wenig wie bei Kammerknechts Ball vor dem ersten Tor segelt das Runde über alle hinweg bis zu Borkowski, der am Ende der Fahnenstange den Kopf hinhält und das Ding ins Netz schädelt. Was habe ich mit diesem Jungen gehadert in den letzten Wochen, doch heute hat sich niemand dieses Tor so sehr verdient wie er. 2:1. Und auch für den Dennis gilt: Wiederholn ist nicht gestohln.

Nicht zu vergessen: Immer wieder Paul Will. Balleroberer, Ballverteiler, Gegnerzerstörer, Spielaufbauer. So bedient er in Minute 73 Conteh auf links, und der explodiert regelrecht. Durch alle geht er hindurch in den Strafraum und holt einen Hammer aus fünfzehn Metern raus, doch Golz glänzt leider einmal mehr. Nur zwei Minuten später scheitert Kutschke im Nahkampf am Essener Schlussmann. Es ist ein Kampf auf jeder Position, Hauptmann etwa beendet einen Konter der Gäste humorlos mit einem gelbwürdigen Foul.

Dann ist bei Essen die Luft raus, da kommt nichts mehr. Und Park will sich auch noch Gerechtigkeit verschaffen, und sich seinen verweigerten Elfer nachholen. Leider hat der Schiri hier die Augen kurz offen, erkennt auf Schwalbe und zeigt Gelb. Dumm nur, dass es die fünfte dieser Art ist, sodass Markus Anfang auf gegen Saarbrücken links hinten wieder umbauen muss. Doch kaum hat der Referee die gelbe Karte weggesteckt, zückt er schon die Rote – gegen Rother. Der hatte Arslan einfach mal gelegt, ganz ohne Spiel und Ball. Dass der Dresdner dem Essener vorher mal eben im Vorbeigehen auf den Fuß „gewischt“ ist, haben alle anderen gesehen, nur eben der Pfeifenmann nicht. So provozierte Arslan seinen Gegner aus dem Spiel und gab das dann auch noch vor den TV-Kameras zu. Ist das jetzt noch Chuzpe oder schon eher gedankenfrei? Der Rest ist Wildwechsel, Nachspielzeit und Abpfiff.

Fazit

Es bleibt dabei: Ahmet Arslan schießt die Tore oder bereitete sie vor. Aber immerhin gab es auch mal wieder den Treffer eines Stürmers. Trotz des Wundertores der Sechs ist für mich Paul Will der Spieler dieser Partie. Wenn der Rotschopf diese Form beibehält oder sich noch steigert (‚besser wird‘) und auch verletzungsfrei bleibt, wird er zu einem der wichtigsten Faktoren im Endspurt dieser Saison. Dass Park ausgerechnet in Saarbrücken mit seiner megadoofen Gelben ausfällt ist bitter, denn gerade jetzt schien das lange gesuchte Bollwerk hinten gefunden zu sein. Bedauerlich ist aber vor allem, wie ein Unparteiischer derart in das Spiel eingreift, ja es gar streckenweise bestimmt. Die Bezirksliga ist zu gut für diesen Mann.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Rot-Weiss Essen
8. April 2023, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Arslan (13.), 1:1 Berlinski (40.), 2:1 Borkowski (66.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Lewald, Knipping, Park, Will, Hauptmann (85. Akoto), Arslan (90.+2 Ehlers), Conteh (85. Lemmer), Borkowski (85. Meier), Kutschke (89. Schaeffler)
Ohne Einsatz: Broll, Gogia, Kulke, Oehmichen
Schiedsrichter: Der Nicht genannt werden darf
Fans: 30.699
www.dynamo-dresden.de