Wo niemals Ebbe ist

Feine Sahne Fischfilet und das größte Konzert der Bandgeschichte

„Dresden, das war der Oberknaller“, ruft Sänger Jan Gorkow– oder einfach nur Monchi – am Ende in knapp 11.000 Glücksgesichter vor der Filmnächte-Bühne. Schon vorher erklärt der schwergewichtige Frontmann, dass sie nie geglaubt hätten, dass es so groß werden würde. „Wir haben mit 5.000 oder 6.000 gerechnet, aber dann war es ausverkauft.“ Ja, ausverkauft und abgesagt, weil Gitarrist und Songschreiber Christoph Sell sich zwei Tage vor dem eigentlichen Termin bei einem Fahrradunfall die Hand brach. Nun also Mittwoch der 21. August statt Sonnabend der 6. Juli.

Und Dresden zeigt sich schon tagsüber von seiner „besten“ Seite: Ein paar Nazis brachten am anderen Elbufer einen wenig originellen Zweizeiler an, in dem sich das Gaskammerngift auf den Bandnamen reimte. Bei den Nordpunks ruft so etwas natürlich weder das sprichwörtliche noch das tatsächliche Arschrunzeln hervor, die sind ganz andere Auseinandersetzungen und Drohungen gewohnt. Ein weiteres Banner dann kurz vor Konzertbeginn faselte von Linksfaschisten und „Dresden bleibt deutsch“. Hui! Der Verfassungsschutz konnte sich da nicht drum kümmern, der hatte vermutlich auf dem Konzertgelände zu tun.

Als ich ankomme, ist das Vorprogramm schon Geschichte, bestritten von Banda Internationale und The Baboon Show. Der Arbeitstag kurz vor Abgabe der SAX-Printausgabe ließ ein zeitigeres Kommen nicht zu. Dafür war es schon beachtlich, dass bereits zur Vorabmusik zwischen The Dead Kennedys oder Knochenfabrik aus der Konserve applaudiert, gepogt und getanzt wurde. Um 20.40 Uhr fiel dann der Vorhang. Vor einer sehr hübschen Seevogel-Kulisse starten Feine Sahne Fischfilet mit „Zurück in unserer Stadt“.

Es geht los, es geht los heute Nacht
Alle treiben sich gegenseitig an
Es geht los, es geht los heute Nacht
Lieber ekelhaft, statt Einzelhaft

Erste Rauchsäulen steigen auf, Bengalos werden entzündet, aber von der Bühne zunächst nur eine einzige Soundpampe. Etwas Stimme, viel Snare Drum und Bass, keine Gitarren oder Trompeten zu hören. Erinnerungen an den furchtbaren Sound der Kraftklub-Show an selbiger Stelle kommen hoch. Dem textsicheren Publikum ist es egal, es ist willens, heute und hier zu feiern: „Woho, wuoho, wuoh-ho-ho-ho-ho …“ Gottseidank gelingt es der Toncrew, nach einigen Songs den Klang so zurechtzuschrauben, dass es okay klingt. Und weiter geht es mit „Alles auf Rausch“, das Menschenmeer ist schon jetzt fast vollständig in Bewegung. „Für diese eine Nacht“ lässt auch die Reihen ganz hinten und oben nicht ruhig herumstehen.

Zu „Mit Dir“ haben sich die Fischfilets wohl gedacht: Rammstein haben ein Schlauchboot, wir haben eine Riesenbanane. Mit zwei Mann bestückt, soll das gelbe Ding über die Menge surfen, doch nach wenigen Metern kentert es. Aber was soll’s: „Komm wir reichen uns die Hand …“ Nun holt Monchi etwas aus zu einer Laudatio für die Menschen, die sich in den Dörfern und Kleinstädten gegen den rechten Mainstream stellen, für einen Zusammenhalt gegen die „AfD-Wichser“. Jenen Aufrechten in schwierigem Umfeld widmet die Band „Angst frisst Seele auf“.

Sie singen davon, wie sie dich töten
Im Herbst schickst du mir dieses Lied
Es trifft dich härter als jeder Stein
Wie oft fühlst du dich allein?
Wenn alle mutlos sind
Halt' ich mich an dir fest
Und schlag' zurück.

Jetzt sind FSF richtig am Rollen: „Solange Es Brennt“ setzt auf das Stimmungshoch auf und vor der Bühne noch etwas drauf. Monchi zeigt Bauch und Titten. Was muss, das muss. Aber dann wird er wieder ernsthaft und spricht über seine Eltern, die am 6. Juli in Dresden dabei gewesen wären, heute aber nicht können. Also wird das Konzert gefilmt und die beiden gucken sich das zu Hause auf dem Sofa an. Im Film „Wildes Herz“ kann man die beiden ein wenig kennenlernen und so etwas nachvollziehen, warum Gorkow sie als „die geilsten Schweine der Welt“ bezeichnet. Die Storys, die Mutter und Vater in der Doku über ihren Hool-Punk-Spross erzählen, hat die Band in „Niemand wie ihr“ verarbeitet mit der finalen Einsicht „Sollte ich mal Kinder haben, Will ich so sein wie ihr“. Den Dresdner Neustadtkneipen, in denen die Musiker schon manches Mal abgestürzt sind, wird „Schlaflos in Marseille“ gewidmet, eine wuchtige Ska-Granate.

Auf die Ansage „Jetzt reißen wir die ganze Scheiße richtig ab“ kann jetzt nur „Wasted in Jarmen“ kommen. Wer bisher noch nicht eingestimmt hat, für den ist nun schlussendlich die Mitsingzentrale geöffnet. Es folgt ein wenig kritische Selbstbetrachtung in „Ich mag keinen Alkohol“ über bittere Stunden, falsche Entscheidungen, Einsamkeit und die selbstzerstörerische und/oder erlösende Forderung: „Wann geht ihr endlich auf mich los?“ Passend dazu im Anschluss „Glitzer im Gesicht“.

Jetzt hat Monchi Pause und Christoph Sell übernimmt den Gesang bei „Alles anders“ allein. Dazu geht ein Stern auf, dessen Licht sich sich langsam über die Bühne ausbreitet. Es wird etwas balladesk zum besungenen zwischenmenschlichen Unglück. Mit Gitarre und Trompete klingt das Lied traurig aus. Inzwischen hat Monchi die Zaungäste auf der Brücke entdeckt. Hat Neil Young diese kürzlich zum Jumpen aufgefordert, ruft der Sahne-Sänger ihnen zu, sie sollten einfach runterkommen. „Wir machen jetzt die Tore für alle auf, wenn es keine Faschos sind.« Doch die Menschen auf der Brücke trauen dem nicht ganz (oder sie sind doch Faschos).

Mit „Dreck der Zeit“ wird es wieder kämpferisch. „Oury Jalloh verbrennt und Dessau schweigt/Menschen sterben vor Europa im Meer“. Vertreter von Mission Lifeline werden auf die Bühne gebeten, hier braucht das alles keine großen Erklärungen. Passend dazu „Zuhause“ über eine grenzenlose Welt und Freundschaft. Eine Regenbogenfahne weht, Pyro leuchtet rot. Es wird dunkel, in eine merkwürdig lange Pause erschallen Alerta-Rufe. Nebel kündet von der „Wut“, die sich im gleichnamigen Song Bahn bricht. Es ist eines der Stücke, dass der Band – neben „Staatsgewalt“ – eine Menge Ärger einbrachte.

Knüppel schlagen Köpfe ein
Wasser peitscht sie durch die Straßen
Niemand muss Bulle sein!
Und der Hass - Der steigt!
Und unsere Wut - Sie treibt!
Unsere Herzen brennen,
unsere Herzen brennen!

Oft darauf angesprochen, haben Feine Sahne Fischfilet immer betont, dass der Song aus dem Erleben von Polizeigewalt entstanden ist, nicht als pauschaler Rundumschlag. Ganz anders „Suruç“, ein Lied über jene Stadt, die in der Türkei direkt  gegenüber von Kobane liegt – beide mehrheitlich von Kurden bewohnt. Monchi war selbst mehrere Mal dort, und als sich in Suruç 2015 ein schwerer Anschlag des IS ereignete, brachte ihn das dazu, noch einmal viele Dinge neu zu denken. „Für die Freiheit, gegen den Tod“ ruft er in die Menge. Von den IS-Faschisten geht es zu den heimischen Nazis: „Nur Applaus“ hat den Umgang des Staates mit dem NSU zum Thema.

Melancholisch wird es bei „Warten auf das Meer“, eine traurige Ballade, zu der jede Menge Feuerzeuge gezückt werden. Dann erinnert Monchi an das erste Dresden-Konzert in der Chemiefabrik vor etwa 100 Leuten – lange ist das her. Nie hätten sie geglaubt, dass so etwas wie heute Abend passieren wird. Der Song dazu ist natürlich „Lass uns gehen“.

Wirklich nie daran geglaubt
Wirklich nie daran gedacht
Das Gerede von *mal rauskommen*
haben wir oft genug belacht
Schauen uns nur ungläubig an
haben wir das hier echt geschafft
Dieser Traum begann, begann
begann erst nach dem Schlaf

Und während fleißig Getränke ins Publikum verteilt werden, kommt der letzte Song, und auch der einzige, der nicht von Feine Sahne Fischfilet stammt. „London Calling“ von The Clash, eine Hymne des britischen Punk, die wie kaum eine andere in die Zeit passt. Die Begeisterung kennt kaum Grenzen, wenn auch die Textsicherheit stark abnimmt – die Ungnade der späten Geburt. Licht aus. Schluss. Natürlich noch nicht.

Die Zugaben bringen ein gigantisches – und auch etwas zu langes – Sänger-Publikums-»Nanana« mit „Wir haben immer noch uns“ – schließlich ist das ja die Zusammenhaltshymne schlechthin. Luftschlangen- und Konfettikanonen nehmen ihre Arbeit auf, ein bisschen Rockshow darf es schon sein. Schließlich noch einmal der der Hinweis auf die #unteilbar-Demo am 24. August in Dresden, denn Parolen bleiben leer, wenn man nichts tut. Und auch der Hinweis, wer in den Gebäuden hinter dem Filmnächte-Areal sitzt, bleibt nicht aus und die Befürchtung, dass „die CDU am Ende doch mit der AfD fickt“. Noch einmal geht es ums Wasser, denn natürlich war Monchi in der Elbe baden. „Danke für nichts, Dresden. Ich lade Euch zur Ostsee ein – das ist ein richtiges Gewässer.“ Es folgt „Wo niemals Ebbe ist“.

Ich lieb' die Wellen und das Meer
Viel zu selten komme ich hierher
Zu viel Maloche macht uns dumm
Ich zieh' lieber mit meinen Freunden rum
Überall steht "zu vermieten" drauf
Gegenüber macht 'ne Spielo auf
Ein großes Maul tut immer gut
Tot sind wir noch lang genug

Am Ende dann selbstredend der Überhit „Komplett im Arsch“. Jetzt ist wirklich Schluss und ein bunt durch Szenen und Generationen gemischtes Volk macht sich glückselig auf den Heimweg. Oder es geht zur Chemiefabrik, wo die Band mit ihren Fans weiterfeiern will. Für mich aber gilt – frei nach Murtaugh: Für diesen „Scheiß“ bin ich dann doch zu alt.
Uwe Stuhrberg

Feine Sahne Fischfilet 21. August, Filmnächte am Elbufer