Zum Punkt genullt

Nach einem torlosen Spiel gegen Hansa bleibt Dynamo Spitzenreiter

Ich träume eigentlich nie vom Fußball. Und mit träumen meine ich das Kopfgeschehen während ich schlafe. Aber in der Nacht von Freitag auf Sonnabend war es dann soweit: Ich hatte vollkommen vergessen, dass das Spiel Dresden gegen Rostock schon begonnen hatte und war deshalb auch nicht im Stadion. Verzweifelt suchte ich auf dem Rechner den Stream beim MDR, bis mir einfiel, dass es ja nur beim Telefonriesen zu sehen ist. Kurz vor der Halbzeit loggte ich mich ein – es stand 4:0 für die Nordlichter. Panik, Rechner aus, Mitte der zweiten Halbzeit wieder an: 5:1. Aufwachen mit Schrecken, keine Ahnung vom Endstand. Aber mein Unterbewusstsein wollte mir wohl mitteilen, dass mich da etwas sehr beschäftigt. Und was, wenn sich der Albtraum in der Wirklichkeit manifestieren sollte? Nie mehr schlafen vor dem Spiel? Gottseidank kam es anders. Träume sind eben doch – meistens – Schäume.

In der Wirklichkeit und im Stadion angekommen: Sonne satt, der Rasen etwas derangiert. Plakate, Spruchbänder, Aufregung in der Hansestadt wie auch hier vor und im Harbig-Rund. Von „100 % für Dynamo“ oder „Grundsteinlegung für Liga 2“ war zu lesen. Währenddessen hat der Stadion-DJ leider von der winterlichen Härte zum poppigen Einheitsbrei zurückgefunden. Schade irgendwie, aber Nebensache. Mit dem Aufwärmen zwischen Kegelläufen und Torschusstests waren die Blauweißen deutlich eher fertig als die Schwarzgelben. Hat das etwas zu sagen? Fühlen die sich besser? Markus Kauczinski spielt jedenfalls mit Yannick Stark und Philipp Hosiner etwas mehr die Erfahrungskarte als zuletzt in die Startelf, weshalb Julius Kade und Pascal Sohm ihr Sitzfleisch nähren müssen. Dass aber der in den letzten Partien doch nachlassende Heinz Mörschel wieder beginnt, lässt die Frage aufkommen: Wie grottenschlecht muss Marvin Stefaniak wohl trainieren? Kann man sich kaum vorstellen.

Was noch? Die Furcht vor dem Serienriss: Seit 1983 hat Hansa in Dresden nicht mehr gewonnen – das muss ja irgendwann mal passieren. Hatte ich das nicht geträumt? Und dann das Gerede vom gemeinsamen Aufstieg. Ja, schon, aber doch nicht heute schon. Die Maggies haben jedenfalls dafür gesorgt, dass keines der an diesem Nachmittag spielenden Teams auf den dritten Platz rutschen kann. Wird das der Frühling der Ex-Dynamos? Baris Atik hilft uns, wo er kann und Justin Eilers traf für Verl auch schon dreimal. Nun aber zurück ins heimische Geschehen

Die erste Halbzeit: Alles irgendwie so fast

Vieles, was diese 92 Minuten betrifft, könnte man via copy/paste aus dem Spiel gegen die 1860er rüberholen. Eine etwas bessere erste Halbzeit für die einen, eine etwas bessere zweite Hälfte für die anderen. Die Verteidigungsreihen stehen hier wie da aufmerksam und vielbeinig, richtig gute Chancen sind Mangelware, das Geschehen spielt sich zu 99 Prozent zwischen den Sechzehnerlinien ab, ein Spiel, das von der Spannung lebt, etwas für Taktikinteressierte … Blablabla.

So sind es eher die Beiläuifigkeiten, die das Interesse wecken wie auch die sehr rar gesäten Highlights. So dauert es bis zur 27. Minute beziehungsweise 29. Minute, dass mal eine Halb- und eine dicke Chance für Dynamo auf den Tisch kommt. Erst ist es eine Hosiner–Meier–Daferner-Kombi, die kein happy ending bekommt, dann eine ganz starke Dreiecksbeziehung von Stark, Daferner und Hosiner. Und mit letzterer Aktion zeigt Dresden auch, wie man eine starke Abwehr auseinandernimmt: mit Schnelligkeit, direktem Spiel, Überraschungsmoment und einstudierten Komponenten. Denn einen fußgenauen Pass von Stark auf die linke Seite zu Daferner bringt dieser sofort mit dem Kopf an den langen Pfosten, wo Hosiner angerauscht kommt – nur der Winkel ist etwas zu spitz für die Finalisierung. Leider ist es über das gesamte Spiel hinweg die einzige derartige Aktion, was auch daran liegt, dass Dresden quasi ohne 10 spielt, denn Mörschel hat an diesem Tag irgendwie einen Tauchlehrgang gebucht. Dafür feiert Stark ein gutes Comeback, spielt ruhig, hat stets ein Auge für die Situation und kassiert – wenn es sein muss – auch mal einen gelben Karton.

Apropos Schiedsrichter: Gebucht wurde für das Spitzenspiel des Unterunterhauses der sehr erfahrene Patrick Ittrich, der als Leiter der Veranstaltung eine sehr gute Figur machte. In einem sehr körperbetonten Fight bewies er stets Gespür dafür, was man pfeifen sollte und was nicht. So konnte zu keiner Zeit Hektik aufkommen, selbst wenn es einmal krachte. Zudem scheint er sich gern zu unterhalten, denn mehrfach führte er längere Gespräche mit den Rasenkünstlern.

Bis zur Pause versuchen es noch Stark aus etwa 18 Metern und Daferner aus Nahdistanz, können aber den wie immer starken Kolke nicht überwinden. Dessen Gegenüber Broll war bis zum Halbbzeitpfiff fast beschäftigungslos.

Die zweite Halbzeit: Ende bisschen gut, alles bisschen gut

Hälfte zwo war ja gegen München nicht so unser Freund – und diesmal scheint es ebenso zu sein. Nicht einmal fünf Minuten sind gespielt, da hat Bahn freie Bahn und zieht aus wenigen Metern ab. Kevin Broll ist dabei, die Ball-Flugbahn zu brechen, da sieht er in einer Hundertstelsekunde, dass Ehlers abfälscht. Mit einem unfassbaren Move in die Gegenrichtung zu seinem eigenen Körper verhindert der Torwart den Einschlag. Jetzt wollen die Ostseeler mehr, aber der Defensivverbund von Daferner bis Mai hat wieder die Lage im Griff – vor allem in der 63. Minute. Verhoek steht plötzlich frei vor dem Dresdner Tor, der Jubel liegt einigen Hanseaten schon auf den Lippen, da zeigt der Dresdner Kapitän eine perfekt getimte Monstergrätsche, geschmückt mit Fairness, Grandezza und dem verdutzt-enttäuschten Gesicht des Hansa-Stürmers: „WTF, wo kam der denn her? Es ist doch noch gar nicht Mai!“

Es folgt nun wieder so ein Hin-und-Her, viel Halbes, nichts Ganzes. Sohm kommt für Hosiner, was schon jetzt anzeigt: Von seiner Wechselstrategie, immer den Sturm zuerst auszutauschen, geht der Dynamo-Trainer auch diesmal nicht ab. Und nur Sekunden, bevor Stor für Daferner kommt und Kade für Mörschel, passiert es dann doch noch – fast. Mit der Hacke vefehlt Löhmannsröben den linken Broll-Pfosten nur um Zentimeter.

Das sollte schon der Schlussakkord sein. Kreuzer, Stefaniak und Chris (!) Löwe bleiben auf der Bank, wie so oft lässt Markus Kauczinski zwei Wechselmöglichkeiten verpuffen, während Rostock (wie fast alle anderen Gegner) stets die fünf erlaubten nutzen. Zudem kamen zwei der drei Wechsel einmal mehr nur wenige Minuten vor Schluss. Und Schluss ist dann auch. Hernach bewegen sich alle Beteiligten in einer Blase aus „Hätten-schon-gern“ bis „Ist-aber-auch-Okay“. Tomas Oral wird es gegraust haben.

Das Fazit

Es ist natürlich nur ein Gedankenspiel: Wäre es – vor allem nach hinten raus – ein anderer Kampf gewesen, wenn Magdeburg vs Ingolstadt zeitgleich oder später stattgefunden hätte? Natürlich möchte jede Mannschaft gewinnen, aber geht man wirklich ins letzte Risiko, wenn man weiß, dass ein Remis wenigstens einen Punkt Abstand bringt?

Auf der Pressekonferenz merkte Coach Kauczinski an, seine Mannschaft stehe schließlich noch immer auf der Pool Position. Ich hoffe natürlich, er meinte die Pole Position, es sei denn, intern wird die Eistonne „Pool“ genannt. Aber – Spaß beiseite – im Kern hat er natürlich Recht: Ein Punkt Abstand mehr zu den Audistädtern, dazu eine komfortable Tordifferenz von 27. So kann der kommende Spieltag ordentlich Bewegung reinbringen: Hansa hat die enorm wiedererstarkten Bördianer zu Gast und Ingolstadt die kleinen Bayern mit einem neuen Trainerteam. Dresden muss zum abgeschlagenen Letzten nach Unterhaching.

Um jetzt aber im saisonalen Endspurt den Abstand nach unten möglichst zu vergrößern, sollten einige Dinge auch gegen die sogenannten Tabellenkinder besser werden: mehr Überraschungspotenzial respektive weniger Ausrechenbarkeit. Mehr Abwechslung bei den Standards, denn inzwischen weiß jeder, wo Will hinwill. Eine Wiederbelebung des Flügelspiels, das bei Meier und Königsdörffer inzwischen sichtlich nachlässt. Und vielleicht noch die eine oder andere Chance für Kreuzer und Stefaniak, wenn es die Stammelfler nicht so richtig gebacken bekommen. Es nutzt ja auch nichts, wenn die gegnerischen Teams schon im Vorhinein wissen, wer wann ausgewechselt wird. Und wenn man bedenkt, dass der Siegtreffer gegen Wiesbaden bereits in der 12. Minute fiel, dann ist Schwarzgelb bereits seit knapp drei Spielen ohne Treffer. Und ohne Tore …
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Hansa Rostock 0:0

4. April 2021, Anstoß: 14 Uhr
Tore: -
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Mai, Knipping, Meier, Königsdörffer, Stark, Will, Mörschel (85. Kade), Daferner (85. Stor), Hosiner (66. Sohm)
Ohne Einsatz: Wiegers, C. Löwe, Kreuzer, Stefaniak
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Patrick Ittrich
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