Zwischen Stimme und Echo
Die Jüdische Woche Dresden zeigt sich im Oktober neu aufgestellt
Die Jüdische Woche in Dresden zeigt sich diesmal etwas verknappt vom 23. bis 26. Oktober. Nur vier Tage. Auch das steht auch für einen Neuanfang, nachdem 2024 ausgesetzt wurde. Ebenso neu: Fast alle Veranstaltungen finden an einem Ort statt, dem Societeatstheater. Hier beginnt im Vorfeld, am 8. Oktober, das Ausstellungsprojekt »Wie geht es dir?«. Die Schau zeigt im Societeatstheater Werke einer Gruppe von Comic-Zeichnern*innen, die auf den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 reagieren und ebenso das Leid thematisieren, das die anhaltenden Angriffe des israelischen Militärs auf den Gazastreifen über die Menschen bringt. Sie sind erschüttert, dass sich jüdische Menschen in Deutschland isoliert und bedroht fühlen, dass zugleich auch Muslimfeindlichkeit und rassistische Diskriminierungen zunehmen. Die Vernissage findet am 6. Oktober um 15 Uhr statt. Ab dem 9. Oktober ist auf dem Jorge-Gomondai-Platz die Wanderausstellung »#Stolenmemory« der Arolsen Archives zu sehen. Die 1948 gegründeten Arolsen Archives bewahren noch heute den letzten Besitz von rund 2.500 KZ-Häftlingen auf. Ihre Sammlung umfasst Dokumente mit Hinweisen zu mehr als 17,5 Millionen Opfern und Überlebenden des NS-Regimes. Mit der Ausstellung suchen die Arolsen Archives nach den Familien der Verfolgten, um von den Nazis gestohlene Erinnerungsstücke zurückzugeben. Anhand von Fotos persönlicher Gegenstände erzählt sie von den bewegenden Lebensgeschichten ehemaliger Häftlinge, deren Verwandte noch gesucht werden. Außerdem lädt sie Freiwillige ein, sich an der Suche nach den Familien zu beteiligen.
Das Eröffnungskonzert am 23. Oktober bestreitet dann die polnische Künstlerin Maria Ka. Die Lyrikerin, Komponistin, Sängerin und Pianistin, die originelle jiddische Musik macht, verschmilzt mit ihrer Arbeit Jiddisch mit den Genres Alternative, Elektro, Punk und Elektropop. Sie integriert Frauengeschichten und -perspektiven in die historische Haupterzählung. Die Soloshows von Maria Ka sind dabei expressiv und einzigartig – es lohnt sich, auf arte.tv die Reportage in der Reihe »Tracks East« anzuschauen.
»A physical theater journey« ist der Untertitel des Theaterstückes »Grounded« von und mit Shai Cohen, das am 24. Oktober gezeigt wird. Es wird die Frage gestellt: Was passiert, wenn alles, was Sie verdrängt haben, wieder auftaucht? »Grounded« entstand aus Bildern aus der Familiengeschichte der Performerin Shai Cohen, Fragmente wiederkehrender Träume und Erzählungen, mit denen sie aufwuchs. Zum Beispiel von den eineinhalb Jahren, die sich ihre Großmutter während des Holocausts in Polen in einem Loch versteckte, oder dem Schmuggel eines Funkgeräts in einem Kartoffelsack durch das Ghetto von Łódź durch ihren Großvater, bevor er nach Auschwitz deportiert wurde. Diese ererbten Geschichten und ihr intergenerationelles Gewicht machen »Grounded« zu einer vielschichtigen, fragmentierten Erzählung.
Ebenfalls am 24. Oktober findet der traditionelle »Besondere Schabbat« statt, diesmal im nahe liegenden Theaterrestaurant Melina. Hier wird zudem der 10. Geburtstag des Gefilte Fest Dresden e. V. gefeiert. Es wird auf jeden Fall ein Abend, der zum Verweilen einlädt – offen, warmherzig und voller Geschmack. Für das leibliche Wohl sorgt an diesem besonderen Abend die israelische Köchin Hemdat Goldberg, die eigens aus Jerusalem anreist. Unter dem Motto »We are here« präsentiert sie ein mehrgängiges Menü mit bekannten jüdischen Gerichten aus aller Welt. Die Tickets hierfür (75 Euro) sollte man zeitnah erwerben.
Am 25. Oktober stellt der aktuelle Stadtschreiber Alexander Estis das Festivalmotto ins Zentrum: »Zwischen Stimme & Echo«. Der Autor lädt zu einer öffentlichen Chawruta ein. Im Zentrum stehen hier jedoch keine religiösen, sondern literarische Kurztexte. In kleinen Gruppen lesen die Teilnehmenden gemeinsam, diskutieren, interpretieren und erleben so, wie vielschichtig ein Text sein kann.
Künstler*innen und Mitwirkende des Programms der Jüdischen Woche Dresden 2025 vereinen sich am selben Tag zur »Lebendigen Bibliothek«. Sie sitzen den Gästen buchstäblich gegenüber und können von ihnen befragt werden, aber auch zurückfragen. In intensiven Eins-zu-eins-Begegnungen taucht man in die Lebensgeschichten jüdischer Menschen ein.
Das Tanzsolo »Love & Loneliness in the 21st Century« von Nir de Volff setzt das Programm der jüdischen Woche am 25. Oktober fort. Ein Körper als Träger einer Fülle von Lebenserfahrungen, Erinnerungen, Liebschaften, Bedauern und Trauer über den Verlust von Zeit. Ein Körper voller Widersprüche, Enttäuschungen, Fragen, Verletzungen und Narben. Nir de Volff performt Nir de Volff und hinterfragt in surrealistischen Kommentaren zu seiner eigenen komplexen Realität seine Beziehung zu Gott und seine Beziehung zu Deutschland und Israel.
Für »Lomir Tantsn!« geht es dann ins Haus der Brücke auf der Rähnitzgasse 8. Tanzmeisterin Yeva Lapsker bittet hier zu Freylekhs, Bulgar, Zhok und vielen weiteren Tänzen aufs Parkett. Begleitet vom Quintett KlezmArt, kann man ausgelassen tanzen. Und wem das noch nicht genug ist, der huscht gleich danach wieder ins Societaetstheater, wo Yuriy Gurzhy an den Turntables bei jüdischen Beats aus aller Welt zum »freitanzen« bittet. Damit ist der 26. Oktober mit einem vollen Programm in der Nacht auch beendet.
Der Abschlusstag bringt gleich zweimal das Ensemble Youkali ins Societaetstheaer. Um 11 Uhr gibt es das Programm »Halt dich an Wunder«, dass Texten der jüdischen Lyrikerinnen Mascha Kaléko und Lili Grün neues Leben verleiht. 17 Uhr dann »Ich fühlw was, was du gleich hörst«. In dem interaktiven Familienkonzert erzählen Youkalí mit Witz von der Gefühlswelt kleiner und großer Menschen. Dabei verschmelzen Swing, Jazz, Klezmer und klassische Einflüsse, gepaart mit Ironie und theatralischen Elementen.
Dazwischen trifft Stadtschreiber Alexander Estis auf die jüdisch-ukrainische Schriftstellerin Iryna Fingerova aus Odessa zur Lesung und Diskussion »Die jüdische Nase ist ein Klischee, aber ein großes!«. Es geht darum, was es heißt, Jude in Deutschland und Dresden zu sein, über Migration, über Flucht, über Kriege (ja, nicht nur einen!), über jüdischen Humor, über Stereotype und natürlich über Nasen aller Art. Währenddessen zeigt das Programmkino Ost »Der Brutalist«.
Zum Finale gibt es noch einmal eine besondere Performance: »Jews! Jews! Jews! – Ein Minori-Tease Cabaret Burlesque«. Die Berliner jüdisch-amerikanischen Künstler*innen Lolita Va Voom und Nana Schewitz wollen Deutschland »wieder jüdisch machen«. In ihren augenzwinkernden Shows zelebrieren sie jüdische Feiertage und Traditionen auf neue und alte Weise. Mit Stand-up-Comedy, Zauberei und Musik verbindet der glamouröse und sicher nicht jugendfreie Abend die Kämpfe und Triumphe heutiger jüdischer Menschen mit denen anderer marginalisierter Gruppen. Zudem ist noch die »radikale Grand Dame der polnischen Burlesque« dabei: Betty Q. Humor, Protest und pure Gegenwart zum Abschluss der diesjährigen Jüdischen Woche!
Jüdische Woche Dresden 23. bis 26. Oktober, Societaetstheater, Haus der Brücke, Programmkino Ost
juedische-woche-dresden.de
