Baustelle Geschlechter­gerechtigkeit

Der März ist weiblich im Societaetstheater

Der »Wild Women Circus« mit Barbaren Barbies

»Sie soll sich das Dazwischenrufen abgewöhnen!« Solche und andere, sich zu Glaubenssätzen verhärtende Kommentare, kennt Kathleen Gaube aus der eigenen Biografie. Doch sie hat sich letztendlich nicht die eigene Stimme verbieten lassen. Geboren 1967 in Ostberlin, war sie von 1990 an als Schauspielerin viele Jahre am Neuen Theater Halle. In Dresden wagte sie nach einer langen Kindererziehungszeit den Schritt in die Selbstständigkeit, war zwischenzeitlich Buchhändlerin und kehrte dann wieder auf die Bühne zurück – mit Inszenierungen am Hoftheater, dem Boulevardtheater oder dem Societaetstheater. Hier verantwortet sie nun das erste Mal inhaltlich ein Festivalprogramm.

»frau.macht.theater. Der März ist weiblich« gruppiert sich terminlich um den fast in Vergessenheit geratenen Internationalen Frauentag am 8. März. Das Festival jedoch bespielt mit über 20 Formaten – und zwar auf allen Podien und Bühnen des Hauses – den gesamten Monat März, um zu zeigen, was frau* auf der Bühne und in der Gesellschaft derzeit bewegt. Es versammelt dabei ganz unterschiedliche weibliche Positionen aus den Künsten, der Wissenschaft und dem Journalismus und stellt sich auch Diskussionen um genderfluide Visionen. Frauen – so Kathleen Gaube im Gespräch – ist heute ein politischer Begriff und fragiles Konstrukt und greift unmittelbar in die Gesellschaftsdiskussionen ein. frau* schreibt das Festival deshalb bewusst mit Sternchen, was schon im Vorfeld zu vielen Anmerkungen in Richtung der Theatermacher:innen führte. Kathleen Glaube selbst erklärt, dass sie feministische Themen aus der eigenen Erfahrung bearbeitet und beurteilt, und so ist es auch eine Portion persönliche Neugier, die ihr Engagement am Thema und ihr Interesse an den eingeladenen Personen und Positionen begründet. Biografisch begann das Interesse am Feminismus für sie aus der DDR-Erfahrung heraus.

Sensationell findet sie deshalb auch die Filmdokumentation »Frauen in Landschaften« von Sabine Michel. Diese begleitet Frauen, die sich als berufstätige Mütter, wie es auch ihre Mütter in der DDR waren, auf den Weg in die öffentliche Wahrnehmung und Politik machen, und zeigt sie im Parteibüro, beim Wahlkampf und zu Hause (3. März). In den Neunziger-jahren erwachte auch im Osten das große Interesse am westlichen Feminismus und Alice Schwarzers Positionen und Wirken. Als eine gewichtige Stimme der Frauen hat Kathleen Gaube sie gleich für Anfang des Monats mit »Mein Leben: Lebenslauf und Lebenswerk« zu einer Lesung nach Dresden eingeladen, was nach letzten umstrittenen Äußerungen von Alice Schwarzer nicht allen gefällt und eine heiße Diskussion verspricht (4. März). In der eigenen Beschäftigung mit Theaterstücken sah sich die Theatermacherin Gaube jedoch auch konfrontiert mit der brutalen Tatsache, dass sich die persönlichen Lebensbedingungen von Frauen trotz Feminismus in vielen Bereichen in Deutschland bis heute nicht verbessert haben: Diskriminierung im Job, unbezahlte Care-Arbeit, Gewalterfahrungen …: »Jeden Tag gibt es in Deutschland einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau, fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Die Dunkelziffer vermisster und schwer verletzter Frauen kennt niemand.« Die Lesung »Das Ende der Ehe« mit der Autorin Emilia Roig stellt die Ehe als gewichtige Unterstützung des Kapitalismus infrage und untersucht, ob man Männer lieben und zugleich das Patriarchat stürzen kann (11. März). Keine alleinige Männersache ist der aktuelle Krieg vor unserer Haustür. Eine Installation mit 26 Porträts von Frauen aus der Ukraine zeigt im Foyer »Frauen auf der Flucht«. Sie basieren auf dem Blog der Journalistin Sandy Bossier-Steuerwald, die die Frauen kurz nach Kriegsausbruch persönlich und per Zoom interviewt hatte und zum Gespräch anwesend ist (3. März).

Doch das Spektrum des Festivals ist breit und lädt auch zu lustvollen und humorigen Positionen ein. Die bunte Mischung der verschiedenen Genres zeigt sich gleich zum Festival­auftakt beim »Wild Women Circus« der Barbaren Barbies. Sie »widmen sich mit Verve und Wucht den Vorstellungen von Weiblichkeit, sezieren Männerrollen und Frauenbilder mit tobendem Humor, Lebensfreude und herrlich schockierender Albernheit« (1. März). Am nächsten Abend singt die Frauenband Les Reines Prochaines Lieder, die das Leben ihnen auf den Leib schrieb. »Voll Zorn und Schmach hauen sie auf die Becken und wiegen das Akkordeon« und verstehen es dabei, ihr Publikum mit reinen Seelen zu entlassen (2.März). Einen Bogen in vergangene Zeiten schlägt die Inszenierung »Grace & Die Queen« – Eine Audienz von TheaterschaffT und Theater Aggregate aus Leipzig. Im Transit zwischen 1593 und 2020, zwischen Historie, Machtdiskurs und Feminismus sind zwei Frauenpersönlichkeiten der Renaissance zu erleben (20. März).

Auch internationale Stimmen sind im Programm vertreten. »Die feministischen Themen in Deutschland sind andere als in Iran, in Afghanistan oder in Polen, aber sie haben eines gemeinsam: Die Aktivist:innen sind unbequem, hinterfragen Privilegien, Selbstverständnis und Identität, sie verunsichern und wirken im Zweifel bedrohlich …«, heißt es dazu im Festivalprogramm. Aus traurigem Anlass – gerade wurde bekannt, dass der Putin-Kritiker Alexey Navalny in einer sibirischen Strafkolonie gestorben ist – besonders wertvoll, das Gastspiel »The Last Word« in der Inszenierung des in Dresden gut bekannten, jungen russischen Regisseurs Maxim Didenko. Gemeinsam mit anderen Emigrant:innen beschäftigte er sich mit den tatsächlich letzten Worten von russischen Frauen, die wegen politischer Verbrechen von russischen Gerichten angeklagt und verurteilt wurden. Der Text der Performance von Anna Narinskaya ist eine Montage von Fragmenten dieser letzten Worte vor Gericht. Sie verschmelzen in der Inszenierung, die am Gorki-Theater in Berlin entstand, zu einem einzigen Protesttext und stellen gleichzeitig eine Polyphonie von Frauenstimmen des heutigen Russlands dar, die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen gegen eine totale Gewalt und die patriarchalische Ordnung, die dieses System stützt, erheben. Die Schauspielerin Alisa Khazanova verleiht den Frauen mit Sprache, Gesang und intensivem Spiel verletzliche Gestalt, eingewoben in ein Netz von Videoprojektionen, Performanceaktionen und Texten (8. und 9. März).

Am Ende verweist Kathleen Gaube auf die Hoffnung, bei »frau.macht.theater« mit dem Publikum direkt ins Gespräch zu kommen und gemeinsame Erfahrungen zu tauschen. Das Programm bietet mit Performances, Konzerten, Diskussionsformaten, einem Workshop, Zuschauergesprächen, offenem Erzählcafé und Premieren viele Anregungen aus dem heutigen »Universum frau*«.
IsMa

frau.macht.theater Der März ist weiblich. Festival vom 1. bis 30. März. Societaetstheater Dresden
www.societätstheater.de