Bergwerk auf der Opernbühne

Zur Uraufführung der Oper »Rummelplatz« in der Kulturhauptstadt Chemnitz

Foto: Nasser Hashemi

Das Warten hat ein Ende. Seit Monaten ist ganz kräftig auf die Uraufführung der Oper »Rummelplatz« am Chemnitzer Opernhaus eingestimmt worden. Sie sollte der Höhepunkt im Europäischen Kulturhauptstadtjahr 2025 werden, Regional- und Zeitgeschichte auf die Opernbühne bringen, den vielleicht berühmtesten aller verbotenen deutschen Nachkriegsromane erstmals fürs Musiktheater adaptieren.

Literatur- und Opernkenner ahnen es, die Rede ist von Werner Bräunigs Roman »Rummelplatz«, den der Komponist Ludger Vollmer auf ein Libretto von Jenny Erpenbeck als Oper umgesetzt hat. Ein Auftragswerk der Oper Chemnitz, dessen Uraufführung für ein gewaltiges Publikums- und Medieninteresse gesorgt hat. Skepsis lag in der Luft, ob eine solch opulente, über 600 Seiten starke Buchvorlage im Musiktheater überhaupt umsetzbar ist. Und ob man das in der DDR verbotene und erst 2007 posthum erschienene Romanfragment kennen muss, um die Oper zu verstehen?

Hilfreich wäre es gewiss. Denn die Geschichte spielt von der DDR-Gründung 1949 bis zum 17. Juni 1953, neben dem Uran-Abbau in der Wismut AG geht es um Kalten Krieg sowie um Ost-West-Konflikt - für packendes Musiktheater also viel zu umfangreich. Jenny Erpenbeck hat das Buch folglich kräftig eingestrichen und auf deutlich weniger Personen sowie inhaltliche Kernpunkte wie die qualvolle Arbeit im Bergbau und rauschhaft ausgelebtes Freiheitssehnen mit Schnaps, Swing und Rummelplatz gesetzt. Die Nähe zur diesjährigen Kulturhauptstadt Chemnitz ist durchaus von Relevanz für die Oper, denn es scheint fraglich, ob das Opus ohne den unmittelbaren Ortsbezug überhaupt funktionieren kann. Vieles ist da ja hinter- bzw. in mehrfacher Hinsicht untergründig, nicht nur wegen des Bergbaus. Der titelgebende Rummelplatz befindet sich auf einem einstigen Friedhof, was zugeschüttete Vergangenheit suggeriert. Darüber aber gibt es Aufbruch, junge Leute, die sich in der Wismut bewähren sollen. Peter Lohse, weil er einen Sack Kartoffeln geklaut hat, Christian Kleinschmidt, der als Professorensohn nicht studieren darf. Neben dem einstigen KZ-Häftling und Altkommunisten Hermann Fischer aber auch Drei Riesen, die die überkommene Brutalität der Nazizeit verkörpern sollen. Als Pendant dazu Drei grelle Mädchen und als quasi positiven Lichtblick die Bahnhofskellnerin Ingrid sowie Fischers selbstbewusste Tochter Ruth.

Diese Hauptrollen agieren inmitten von Chor, Kinder- und Jugendchor sowie Statisterie, da wird gefeiert, in fünf Hohlräumen der Unterbühne nach Uranerz gegraben, da wird getanzt - verbotenerweise auch „westlicher“ Swing, was zu einem Auftritt der Staatsmacht. Vor allem soll der Frust über die mühsame Plackerei weggesoffen werden, um dann völlig enthemmt die Rummel-Schaukel zu entern und neue Rekorde aufzustellen. Entgrenzung ist das Stichwort dafür, verbunden allerdings mit Lebensgefahr, die es ja beim Uran-Abbau auch gibt, das Zeug strahlt radioaktiv, löst Krebs aus, und soll zum Bau sowjetischer Atombomben gewonnen werden. Angeprangert wird die gleich nach dem Krieg einsetzende Aufrüstung: »Wenn wir die Höllenmaschine, die mit unserem Erz gebaut wird, einsetzen wie der Urmensch die Keule, löscht sie uns alle aus“, so der Intellektuelle Kleinschmidt.

Um die inhaltliche Vielgestalt von Bergbau und Bombe, von Lebensgefahr im Kleinen wie im Großen und dazu als Gegenpole Rummel und Rausch, Gewalt und Liebe auf die Bühne zu bringen, gehen Musik und Text Hand in Hand. Vollmer hat süffig komponiert, fordert Orchester und Gesangsensembles zitatenreich mit sogenannten Klangsymbolen, lässt freilich zum Schluss viel Sprechtext ohne Musik erklingen.

Jenny Erpenbeck, die dem Stück einen Epilog zur Auflösung der Wismut nach 1990 anfügt, komprimiert den Text mal poetisch, mal derb bis vulgär. Dieses Material nutzt die Regie gekonnt mit einem Trick: Regisseur Frank Hilbrich lässt die gut zweieinhalb Stunden fast durchweg in Zeitlupe spielen. Das stärkt die Konzentration, wirkt surreal und fokussiert die Doppelbödigkeit der Handlung. Volker Thiele schuf dazu einen trist-grauen Bühnenraum, unter dessen Schlacke die Bergwelt gähnt. Videos von Stefan Bischoff sollen für den Rausch auf der Schaukel sorgen, was leider nur begrenzt funktioniert. Gabriele Rupprecht kontrastiert mit Kostümen in knalligen Farben - die Optik sorgt also für spannende Abwechslung und lenkt mitunter davon ab, dass Solisten und Chöre oft nur Theater an der Rampe bieten.

Die musikalische Leitung dieser Uraufführung liegt bei Benjamin Reiners, seit dieser Spielzeit Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz und Chefdirigent der Robert-Schumann-Philharmonie, in besten Händen. Er ist mit Vollmers Musik bestens vertraut und führt souverän durch diesen sehr klangstarken Abend. Orchester und Chöre sind brillant. Die Solisten legen sich schonungslos ins Zeug, sowohl spielerisch als auch sängerisch.

Der mit allen Wassern gewaschene Peter Loose etwa, der sich im Bergbau bewähren soll, wird von Thomas Essl mit souveränem Bariton und vollem Körpereinsatz umgesetzt, den Intellektuellensohn Christian Kleinschmidt, der nicht studieren darf, verkörpert der faszinierende Countertenor Etienne Walch, schon stimmlich ein Fremdkörper in dieser so brachialen Welt. Beide finden in der Kellnerin Ingrid sowie in der geradezu revolutionär auftrumpfenden Ruth adäquate Partnerinnen, denen Marlen Bieber mit vorzüglichem Mezzo und Menna Cazel mit extremer Höhe Ausdruck verleihen. Jaco Venter als tragisch endender Steiger Hermann Fischer ist ein ruppiger Bergmann und mit sonorer Stimme präsent. Eine Idealbesetzung, da Ludger Vollmer schon beim Komponieren die Besetzung kannte und ihr die Parts quasi in die Stimme schreiben konnte.
Michael Ernst

Rummelplatz nach einem Roman von Werner Bräunig. Musik von Ludger Vollmer, Libretto von Jenny Erpenbeck. Regie: Frank Hilbrich. Oper Chemnitz. Nävhste Vorstelllungen: Termine: 19. und 30. Oktober, 28. November 2025, 18. Januar, 15. Februar, 4. März 2026
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