Der bombensichere Kriegstugendpfad

»Gott wartet an der Haltestelle« am Kleinen Haus

Wenn eine junge Mönchengladbacherin mit türkischen Wurzeln das brisante Stück einer etwas älteren Tel Aviverin inszeniert, ist das ein Anfang. Dabei ist »Gott wartet an der Haltestelle« weder eine sentimentale Moralgeschichte noch ein Pranger für übertriebene Religiosität. Es ist ein Versuch der Erklärung der steten und systemstabilisierenden Manifestierung in Zeiten, in denen tagtäglich Menschenleben pulverisiert werden. Die einen nennen es Terror, die anderen Widerstand – beiden nützt er nur zur Festigung der Feindschaft, die wiederum hauptsächlich anderen nützt.

Der Logik des Bürgerkrieges inmitten von Israel, das eigentlich Palästina wäre, nähert sich die Autorin Maya Arad Yasur durch eine geschickt verwobene Story, die leider im Vorfeld durch eigenartige Werbefotos gleichgeschlechtlicher Liebe etwas konterkariert wurde. Denn es geht um das Leid einer vermutlich ganz normalen palästinensischen Familie, die nach und nach der Besatzung zum Opfer fällt und sich letztlich in Form der 30-jährigen Krankenschwester Amal bitterlich rächt. Deren Selbstmordanschlag – just 24 Stunden vor dem siebten Anschlag des Jahres in der Türkei als Premiere der deutschen Erstaufführung zu sehen – steht als Startpunkt und wird in kleinen Episoden retrospektiv erzählt.

Ihr Gegenüber ist eine forsche Blondine namens Yael, die sich als israelische Soldatin nicht nur schwer gegen die Machos am Checkpoint durchsetzen kann, sondern auch manchmal mit den harten Regeln hadert, nach denen die Einheimischen, deren jüngere Generation noch nie das nahe Meer sah, durchgelassen werden. Ihr Regime trieb nicht nur Amals Bruder in den Widerstand, der dann bei der eigenen Hochzeit erschossen wird, sondern kostet mangels Behandlung auch dem Vater das Leben, der es nicht mehr nach Haifa ins Krankenhaus der alten Heimat schaffte.

Dass sich das alles zu einem packenden wie dynamischen und in sich logischen Theaterabend fügt, ist das Werk von Pinar Karabulut, die in Köln wohnt und dort unter Stefan Bachmann ihre ersten Meriten verdiente. Sie ist mit Jahrgang 1987 noch elf Jahre jünger als die Autorin und animiert ein junges Quintett zu einem rasanten Wechselspiel, wobei nur die beiden Damen – Henriette Hölzel als Amal und Laina Schwarz als Yael – stets in ihren Rollen bleiben und den Konflikt über eine weibliche Ader zum Erfolg treiben. Die drei Herren sind Mathis Reinhardt, Loris Kubeng und Nicolas Streit und brillieren im steten Rollen- wie Seitenwechsel. Besonders faszinierend gelingen Reinhardts Wechsel zwischen dem stolzen Vater Amals und dem abgefuckten Offizier oder die Kubengs zwischen Bruder, Arzt und Geheimdienst, aber auch Streits Taxifahrer und dessen Mutter funktionieren erquicklich.

So gerät das Dresdner Treffen der beiden Künstlerinnen – wobei die Autorin, die in den Niederlanden studierte und nun junge Mutter ist, es sich nicht nehmen ließ, zur deutschen Erstaufführung nach Sachsen zu reisen – nicht nur zur herzlichen Begegnung. Denn nun gebiert ihr gemeinsames Werk auch eine gewisse Nachhaltigkeit, von der Karabulut im Vorfeld der Premiere erhoffte, dass sie ein jeder sehen möge. Dem kann man nach 92 Minuten pausenlos-spannendem Martyrium nur beipflichten. Auch wenn nur wenige aus der aktuellen Staatsschauspielbrigade ab nächsten Sommer schon einen neuen Vertrag in der Tasche haben dürften: Diese »Gott«-Besetzung nach der leidigen Interimsspielzeit nicht hierzubehalten, wäre schlicht grober Frevel.
Andreas Herrmann

Gott wartet an der Haltestelle
von Maya Arad Yasur. Deutsche Erstaufführung, Regie: Pınar Karabulut. Kleines Haus.
Nächste Vorstellungen: 25. Februar, 9., 15. und 24. März
www.staatsschauspiel-dresden.de