Die Macht des Prinzenschicksals
Die Serkowitzer Volksoper veralbert mit der „Prinzenrolle“ musikalisch gekonnt das Herrschaftsgebaren
Schleicht sich da unheimlich ein Trend an auf deutschen Bühnen voran bei der Serkowitzer Volksoper? Denn ein Gespenst geht um in Eurasiamerikanien, das Gespenst des Despotismus. Wie kommen „die da oben“ nach oben, wenn nicht durch uns straff regiert werden Wollende? Dann diktieren sie in einer Weise, die selbst Caligula oder Nero noch als aufgeklärte Exponenten der Sanftmut erscheinen lässt, und wir brauchen Theaterstücke, um das zu verstehen. Richard III. oder Maria Stuart liegen im Erklärtrend von Macht und Ohnmacht.
Die Serkowitzer Volksoper, seit 15 Jahren auf ihre saloppe Art in der „Saloppe“ an der Klärung der großen Weltfragen maßgeblich beteiligt, befasst sich in diesem Jahr mit der Rolle von Prinzen bei dynastischen Nachfolgen. Ohne jegliches Sponsoring des „Prinzenrollen“-Herstellers, wie nachdrücklich betont wird. Und mit Nachbarschafts- und Wiedervereinigungsfragen der Königreiche Obermittelgourmetien und Westtransflaschtekistan, denen die Herrscher durch landestypische Unglücksfälle abhanden kamen. Diese beiden Nachbarn, zwischen denen dank der goldenen Säge bald der Lattenzaun fällt, kommen uns hin und wieder Vereinigten verdächtig bekannt vor. Spätestens dann, wenn der Streit um die Herrschaft im vereinigten Großreich einsetzt.
Zuvor kommt es zu den volksopertypischen Rollenkonflikten, wenn die prinzlichen Nachfolgekandidaten ihre persönliche Work-Life-Balance der anstrengenden Sorge um ihre Reiche vorziehen, sogar ihre Gespielinnen Marie und Marchesa versetzen und lieber ein Sabbatjahr beginnen. Woraufhin die Sänger Kota Katsuyama und Cornelius Uhle nach geglücktem Kostümwechsel im Backstage als deren Diener, also als Angehörige der Arbeiterklasse, die Macht übernehmen. Um später von den beiden Frauen im Vokalquartett Maria Perlt-Gärtner und Julia Böhme wiederum verdrängt zu werden. Nach erneutem Kostümwechsel hinter dem Zirkuswagen kehren die Herren gar als Aliens vom Mars zurück.
Geschrieben hat das „Libretto“ einmal mehr Wolf-Dieter Gööck, der wie kein zweiter für personelle Kontinuität dieser Gründung aus Serkowitz zwischen Dräsdn und Radebeul steht, übrigens auch (noch) Domizil des Lügenmuseums. Eigentlich hatte sich der Altmeister im vorigen Jahr bereits verabschiedet und steht heuer auch nicht mehr auf der Bühne. Aber den gehobenen Nonsens mit klippengespicktem Tiefgang verfasst er nach wie vor. An seinen Wortspielen und Blitzen wachen Geistes kann man sich unverändert delektieren. Am Aufschrei etwa, man habe uns zwecks „Umvolkung“ die falschen Prinzen untergeschoben.
Die bilden dann als Doppelkönig eine Doppelspitze, und für sie wachsen gar ein silberner und ein goldener Thron zusammen, weil sie zusammengehören. Nach Rangkämpfen natürlich, die durch ein Gottesurteil nach Gewicht und Höhe der beiden Throne entschieden werden sollen. „Wir sind König“, erklären sie dann und fragen bald rhetorisch „Sind wir König geworden, um uns an das Völkerrecht zu halten?“.
Sowohl Text und noch mehr die Musik leben hier traditionell von solchen Anspielungen und Zitaten. „Parodie“ wäre aber zu tief gegriffen. Man bietet den Dresdner Bildungsbürgern, denen man teils ansieht, wie viele Jahrzehnte sie sich schon bilden, eine intelligente Montage, ein von schönstem Humor getragenes Arrangement von Versatzstücken. Erst wenn man die überwiegend identifizieren kann, genießt man ein erkenntnisreiches Vergnügen.
Milko Kersten war zur Gründungszeit der Volksoper noch der wohl populärste Jugendorchesterdirigent in Sachsen. Mittlerweile darf er sich Professor an der Musikhochschule nennen und steht dem Sächsischen Musikrat als Präsident vor. Gar nicht präsidial wirkt der Jux, den er sich macht. Er schöpft vor allem bei Verdis Jugendwerk „Un Giorno di Regno“ und Lortzings „Zar und Zimmermann“. Der nur Insidern bekannte Verdi animiert weniger zum Mitmachen als die Lortzing-Ohrwürmer. Wiederholt werden die gutgelaunten Gäste zum Mitsingen einer krausen Textfassung von „Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen“ aufgefordert.
Aber Strawinsky, Beethoven, Mozart und vor allem Bach erkennen die Besucher auch und klatschen eifrig. „Großer Herr und starker König“ aus dem Weihnachtsoratorium ist an Situationskomik nicht zu überbieten. Milko Kersten kann sich dabei nicht nur auf seine unerschöpfliche Kombinationsgabe verlassen, sondern auch auf drei inspirierte Musikerinnen und Musiker. Denen mutet er auffallend viele heikle Synchronpassagen zu, perfekt gemeistert, und zur Entspannung singen die vier dann eine Runde mit.
Der Reiz dieser Art Veroperung besteht vor allem im professionell dargebotenen Klamauk. Aus dem genannten Sängerensemble sollte man eigentlich niemanden favorisieren. Aber die brillanten Höhenqualitäten von Maria Perlt-Gärtner nicht nur als Königin der Nacht fielen schon auf. Und Stammsänger Cornelius Uhle konnte zusätzlich schauspielerische Qualitäten im Duktus höfischer Süffisanz einbringen. Die beiden tragenden Akteure der Volksoper sorgen mittlerweile je nach Sichtweise für einen Generationswechsel oder den Duft eines Familienbetriebes. Milko Kerstens Sohn Clemens, Schauspieler in Chemnitz und in der Eröffnungsshow des Kulturhauptstadtjahres am 18. Januar singend am Klavier zu erleben, hat erstmals die Regie übernommen. Seine Schwester Mia sorgte für gekonnte Masken. Wolf-Dieter Gööcks Tochter Helene assistierte der Regie, war in den Proben das sprichwörtliche Mädchen für alles.
Ein bisschen bemüht wirkt der zweite Teil und vor allem der abrupte Schluss. Die beiden Männer schweben als Aliens vom Mars ein, fremde Silben stammelnd. Die Regierungskrise ist passé dank importiertem Self-Government. Ein flotter Boogie-Woogie rettet das Finale nicht. Armin Petras hat in diesem Frühjahr in Cottbus Tschechows Kirschgarten mit Musks südbrandenburger Tesla-Fabrik verknüpft. SpaceX flog dann zu dem von Anna erträumten neuen unterirdischen Kirschgarten auf dem Mars. Da blieb die „Prinzenrolle“ mit einem Spargelbeet im Reisekoffer irgendwie auf halbem Weg stecken.
Michael Bartsch
Die Prinzenrolle Eine Anmaßung nach Verdi und Lortzing. Serkowitzer Volksoper. Nächste Aufführungen 17., 18., 25., 31. August sowie 8., 3., 8. und 10. September 2025 in der Saloppe
www.serkowitzer-volksoper.de