Don't stop me now!

Mitten auf dem Neumarkt führt die Bürgerbühne mit »Asphalt« vor, wie das Auto immer weniger ein Automobil wird

Ich erwische einen SEAT Cupra im schwarzen Leichenwagendesign. Ein erster prüfender Blick sagt: Zu nichts nutze außer zum Schnellfahren, der elektronische Tacho reicht bis 300 KaEmHa. Ein Paar Ski oder ein Fahrrad bekommt man hier jedenfalls nicht unter. Einer von 18 Wagen, die im Kreis auf dem Neumarkt vor Frauenkirchenkulisse aus prämobiler Zeit warten. Nicht Autokino, sondern sozusagen Autotheater. Der Lautsprecher gehört doch aber nicht zur Ausstattung? Kein Bluetooth-Speaker, wie sich herausstellt, sondern zum Anstecken draußen an einen jener 18 weiteren Wagen, die nun einen zweiten Kreis bilden, hupend, fluchend, genervt, wie es sich im Stau gehört.

Denn von diesem sich weltweit bildenden Mega-Stau erzählt die Zentralgeschichte, vorgetragen von einem Podium im Mittelpunkt der beiden Autokreise. Sie beginnt scheinbar harmlos in einer Zeit, „als unsere Autos immer klüger wurden“, ihr Tempo drosselten und schließlich stehen blieben, um zu grübeln. Aber die Insassen konnten nicht aussteigen, Mensch und Auto waren längst eine Symbiose miteinander eingegangen und voneinander abhängig. Wie es dazu kam, erzählen die Szenen und Geschichten der 19 Bürgerbühnenspieler im Außenkreis, die nervös jeweils ein paar Stationen weiterrücken. Etwa ein Drittel von ihnen bekommt also der Besucher zufällig mit. Ein durstiges Radler-Opfer im sportlichen Kampfanzug springt außerdem in den Lücken herum.

Es sei kein Stück für oder gegen das Auto, betont Bürgerbühnenleiter Tobias Rausch ungeachtet der eindeutig mindestens mahnenden und skeptischen Tendenz. Mit dieser genialen Idee der konzentrischen Auto-Spielkreise erfüllt er sich einen langgehegten Wunsch. Der kostet das Staatsschauspiel freilich auch einiges an technischem Aufwand, auch wenn Autohäuser sponsorten.

Uns allen den Spiegel vorzuhalten, die mit dem Auto verbundenen Emotionen, Leidenschaften, Absurditäten und Perversionen vorzuführen, rechtfertigt aber den Einsatz. Denn im Programmheft schreibt Kurt Möser von den „Heimlichen Lüsten“, von der Illusion eines rationalen, zweckorientierten Automobils. Und in einer Fernseh-Doku über den SUV-Rausch, also die Kleinpanzer-Mode, räumten einige Männer unumwunden ein, die Protzkiste habe etwas Phallisches.

Von „Roadtrip“, wie angekündigt, kann indessen kaum die Rede sein. Man kommt, wie immer häufiger draußen auf den Roads der Fall, ja nicht voran. Aber der Begriff des Weges spielt in den Texten häufig eine Rolle, ebenso das Trendwort „Disruption“. Denn wir stehen am Scheideweg, vor radikalen Veränderungen auch unserer selbst und unserer Mobilitätsgewohnheiten durch unsere selbstgerufenen Geister – die längst uns beherrschen und nicht umgekehrt.

Solches kommt nur selten mit dem erhobenen Zeigefinger daher, etwa bei einer verkehrsökologischen Vorlesung in der mit Sand gefüllten Schaufel eines Radladers, einem Verkehrs-Spielplatz. Das ist Auto-Didaktik. In der von Forscherin Maike vorgeführten Zwangsmobilität und indirekten Stimulierung von mehr Autoverkehr erkennt man unschwer den Verkehrsökologen Udo Becker von der TU Dresden, der auch tatsächlich ihr Professor ist, wie sich herausstellt. Solche Unterhaltungen, gar Interaktionen sind oft, aber nicht immer möglich, auch wenn man sich einmischen möchte. Manche Spieler lassen sich darauf ein, wenn noch etwas Zeit bleibt, andere möchten ihr per Mikrofon übertragenes Solo hinter Autoscheiben konzentriert abspulen.

So sind beispielsweise die Berichte einer leidenschaftlichen Reiseleiterin zu hören, deren Lebenshöhepunkt eine Begegnung mit Gorbatschow 2003 war. Möglichst nicht verpassen sollte man die Bekenntnisse des mit „Entbeamtungen“ befassten Verwaltungshirsches Wolfgang in seinem alten Daimler. „Ich liebe mein Auto, und gleichzeitig hasse ich es!“ Er philosophiert über die Erotik von Kratzgeräuschen, die Ästhetik des Malheurs, die Vergänglichkeit. Sein Auto hängt voller Krawatten, andere sind mit Grünpflanzen oder Karten vollgestopft.

Nach einem Crash kompensiert eine Sängerin auf dem Barkas-Abschleppwagen ihre Nervosität mit Einsingübungen, während der Fahrer dem nächsten Wagen etwas doziert. Eine Mutter schildert sarkastisch den Urlaubsreisestress im Familienauto, während der „angeheiratete Verwandte“ ausrastet. „Don´t stop me now“, tönt es von Queen dazu. Auflockern kann sie sich bei einer der gemeinsamen Aktionen in der Mitte. Darunter eine Choreografie mit rot-weißen Absperrlatten, zugleich Stabhochsprungstäbe, zugleich Lanzen, denen die Spieler schließlich erliegen.

Acht Wochen nach dem einsetzenden Megastau scheint die Lösung zu nahen. Die Leute steigen doch aus, schlagen Zelte auf der Autobahn auf, werfen den Grill an, entdecken sich wieder. Die Vernunft scheint über den Technizismus zu siegen. Aber nein, plötzlich ruckelt die Schlange doch ein paar Meter weiter, alles stürzt wieder ans Steuer. Die Tankstellen sind doch nicht ausgetrocknet, im zynischen Finale wird vielmehr ein Bohrturmgerüst errichtet, das erneut Öl spuckt. Oder doch nur Wasser? Es wird jedenfalls immer heißer und „der Asphalt steigt“. Man ziehe seinen eigenen Schluss: Es geht immer so weiter! Oder: Es bleibt alles ganz anders.
Michael Bartsch

Asphalt Ein Roadtrip mit Autofahrer*innen von Tobias Rausch, Staatsschauspiel Dresden, Bürgerbühne. Nächste Vorstellungen 16. bis 20. Oktober, 19 Uhr auf dem Neumarkt
www.staatsschauspiel-dresden.de