Ein feministisches Theaterereignis

Laura Linnenbaums Inszenierung von »Endstation Sehnsucht« im Schauspielhaus lebt von sinnlicher Fülle

Foto: Sebastian Hoppe

Ein Theaterereignis, unbedingt! Sinnliche Eindrücke, die lange nachwirken. Fülle, Fülle, Fülle. Von allem fast zu viel. Aber eben nur fast. Nach dem Besuch der aktuellen Inszenierung von Tennessee Williams’ »Endstation Sehnsucht« im Staatschauspiel Dresden lebt man noch geraume Zeit im Kosmos der Bilder, die die Arbeit von Regisseurin Laura Linnenbaum ausmachen, und denen, die sie hervorruft.

Der besondere Clou: Linnenbaum verlegt die Handlung, die ja laut Dramentext – der auch nicht geändert wurde – in einer kleinen Wohnung in New Orleans spielt, in einen Wohnwagen im Nirgendwo. Die von Bettina Meyer grandios gestaltete Bühne erinnert an Wim Wenders Film »Paris, Texas«, da ist die unendliche Weite, da beleuchten Straßenlaternen das Nichts, in dem eben jener Wohnwagen steht, davor eine schäbige Couch. Und natürlich ergibt das Sinn: Die armen US-Amerikaner der Gegenwart leben im Trailer. In der Realität stehen die in langen Reihen aufgereiht in riesigen Trailerparks; diese Enge, diese Form der Bedrängnis, will man hier nicht vermitteln, sondern stattdessen die trügerische Freiheit der offenen, weiten Ebene.

Nach Heben des Vorhangs ertönt ein langanhaltender Ton, dessen Ursprung zunächst unklar bleibt. Der nächste Klang: Der längst ikonisch gewordene Ruf Stanley Kowalskis nach seiner »Stella!« Dann erklingen Gitarrenläufe: feinste, wunderbar zur Szenerie passende Americana-Klänge, live gespielt von Lothar Müller. Der sitzt den ganzen Abend lang am rechten Bühnenrand, wird auch von Blanche Dubois einmal gestisch in die Handlung miteinbezogen.

Betty Freudenberg ist eine fantastische Blanche. Jene gebrochene Frau, jede Faser höhere Tochter, die den Untergang ihrer Familie nicht verkraften konnte, und nun psychisch krank Zuflucht bei ihrer Schwester Stella sucht. Wo sie zwar von dieser – ebenfalls wieder einmal großartig: Sarah Schmidt – liebevoll aufgenommen, jedoch mit einer Männerwelt konfrontiert wird, die sie nicht kennt und mit der sie nicht klarkommt. 

Williams, Meister der psychoanalytischen Stücke und natürlich als Homosexueller mit gesunder Distanz zum Machismo, der in seiner Herkunftsregion, den US-Südstaaten, noch stärker war und ist als in anderen Gegenden, hatte ja »Endstation Sehnsucht« quasi schon als feministisches Stück angelegt. Was Linnenbaum auf sehr zeitgenössische Art interpretiert und betont. Bei ihr ist Stella kein dummes Weibchen, weil sie sich mit dem groben Klotz Stanley Kowalski eingelassen hat und sogar nachdem er sie geschlagen hat, wieder mit ihm schläft. Man meint förmlich das Zähneknirschen zu realisieren, mit dem Stella ihre Art zu leben zugestanden wird. Und Blanche, diese Meisterin des – auf gut Deutsch – sich selbst Verarschens: Sie vermittelt den Schmerz, Familienmitglieder beim Sterben zu begleiten, ebenso wie die Sehnsucht, eben jene Sehnsucht nach so viel mehr als es der letzte Stopp einer Straßenbahn jemals bieten könnte.

Sie bleibt der Fremdkörper in jener Männer-Wohnwagen-Welt. Die Frau, die sich regelmäßig lange, heiße Wannenbäder gönnt – auch das ein Stückaspekt, der in der Originalszenerie der Mietskaserne organisch passt, hier natürlich überhaupt nicht, den man jedoch einfach als interessantes Bild in dieser Wüstenszenerie nimmt – und in den herrlichsten Roben durch die Gegend schwebt. Die langsam eine fein gezeichnete Beziehung zu Kowalskis Freund Mitch eingeht. Raiko Küster spielt diesen wenig attraktiven älteren Junggesellen, der noch bei seiner Mutter lebt, und der ebenso wie Blanche eine tief sitzende Sehnsucht verspürt. Der jedoch nicht aus den testosteronbefeuerten Wertvorstellungen seines Freundeskreis herauskommt, und Blanche deshalb nicht mehr heiraten will, nachdem Kowalski herausgefunden hat, dass diese sich an ihrem Heimatort nicht nur mit mehreren Männern, sondern sogar mit einem 17-jährigen Jungen einließ.

Die sich an dieser Stelle entwickelnde Vergewaltigungsszene, in der – anders als im Williams-Drama – nicht nur Kowalski, sondern auch seine Freunde ihre Herrschaftsgelüste an Blanche ausleben, gehört zu den Höhepunkten der Inszenierung. Die in eine prachtvolle, rote Robe gekleidete Frau wird von den Männern wie eine Puppe herumgeschwenkt und abschließend auf dem Boden liegengelassen.

Übersprunghandlung im Publikum? Bei jener Szene gibt es, wie bereits zuvor angesichts dramatischer Zuspitzungen zwischen Mitch und Blanche, vereinzelte Lacher. Nun baut die Dresdner Inszenierung die im Stück nur sehr rudimentär vorhandene Komik ein wenig aus, will hier wohl auch ein Ventil anbieten, vielleicht wird dadurch jedoch ein wenig zu viel Distanz zum zwischenmenschlichen Geschehen ermöglicht.

Außerdem muss bei allem Lob für die Inszenierung erwähnt werden, dass die Figur des Stanley Kowalski zum einen mehr Anziehungskraft haben sollte, zum anderen aber auch mehr Drohpotential vermitteln, als es Nahuel Häflinger vermag. Gibt es da heutzutage eine unterschwellige Angst, brutalen Schlägern und Vergewaltigern etwas mitzugeben, das Frauen an ihnen fasziniert? Und dann eben auch noch das Gewaltpotential in den Vordergrund zu stellen? Da wünscht man sich jemanden, der diese hochexplosive Mischung wie Marlon Brando im oscargekrönten Film von Elia Kazan ausstrahlt. Aber damit ist die Latte natürlich auch extrem hoch gelegt.

Das Premierenpublikum bedankte sich für das Theaterereignis mit langanhaltendem Applaus und begeisterten Bravo-Rufen.
Beate Baum

Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams. Regie: Laura Linnebaum. Schauspielhaus. Nächste Aufführungen: 27. Oktober, 7. und 18. November, 8. und 19. Dezember 2025
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