Heimkehr nach Dresden
Nahuel Häfliger und seine erste Premiere am Staatsschauspiel Dresden
Im Schauspielhaus inszeniert Laura Linnenbaum den amerikanischen Klassiker „Endstation Sehnsucht“. Eine der Hauptfiguren in Tennessee Williams’ 1948 mit dem Pulitzer-Preis geehrtem Meisterwerk spielt der in Buenos Aires geborene und in Basel aufgewachsene Nahuel Häfliger. Nach dem Studium an der Bayerischen Theaterakademie war er von 2011 bis 2015 bereits in Dresden engagiert und spielte am tjg. theater junge generation. Für die SAX traf Isolde Matkey den sympathischen, unprätentiösen Schauspieler zwischen zwei Proben.
SAX: Sie waren auf den Brettern schon Hamlet, Romeo, Franz Moor oder Siegfried. Wann hat es mit dem Theaterspielen angefangen, gab es einen Auslöser?
Nahuel Häfliger: Familiär habe ich da keine Vorbilder, meine Mutter ist Bildhauerin, mein Vater Agronom. Ganz klassisch hat es bei mir als Hobby angefangen: Theaterspielen als Fach am Gymnasium, dann in einer Theatergruppe am Theater in Basel. Theater von Amateuren zwar, aber so richtig mit Bühne und Licht. Und da merkte ich, das interessiert mich ernsthaft. Die kontinuierliche Beschäftigung brachte dann die Entscheidung, es beruflich als Schauspieler zu versuchen und auszuprobieren. Obwohl ich auch viele andere Interessen hatte. Zum Glück klappte es schon beim zweiten Vorsprechen. Ich bin ganz offen ins Schauspielstudium gegangen und hab schon nach einigen Wochen gemerkt, das ist es!
SAX: Wie war es dann in der Praxis beim ersten Engagement in Dresden am tjg?
Nahuel Häfliger: Ich weiß gar nicht, ob ich im Vorfeld große Vorstellungen hatte. Ich hoffte einfach, dass es am Haus eine gute Gruppendynamik gibt. Und das fand ich hier vor und war so froh, dass sich mein Wunsch eingelöst hat. Man gönnte sich hier gegenseitig alles, es gab Unterstützung untereinander und so hatte ich eine tolle Zeit. Die Atmosphäre da draußen im alten Haus hatte was ganz Eigenes, man war so ein bisschen für sich und das Publikum ist extra für uns raus nach Cotta gekommen. Für mich gab es viele prägende Inszenierungen. Die Zusammenarbeit mit Regisseur Jo Fabian zum Beispiel, da konnte man als Schauspieler in so ganz andere Gefilde schauen, eigene Texte schreiben oder in Zeitlupe szenisch arbeiten. Wahnsinnig Spaß gemacht haben mir auch „Krabat“ oder „I will be famous“, weil ich mich da musikalisch ausprobieren konnte.
SAX: Was verbindet sie mit Musik?
Nahuel Häfliger: Ich habe klassisch Klavier an der Musikschule gelernt, dann vom Vater Gitarre spielen. Das konnte ich dann auf der Bühne immer weiter qualifizieren und anwenden. Wir hatten zeitweise hier in Dresden sogar so eine spanische Rockband und später in Weimar konnte ich sehr viel musikalisch machen in den Vorstellungen der RambaZambaBar, die das Ensemble selber gestaltete.
SAX: Vier Jahre am tjg, was ist danach an Erfahrungen dazu gekommen?
Nahuel Häfliger: Ich wollte mich nach dem tjg mit anderen Stoffen beschäftigen. Die Aufgabe vom Kinder- und Jugendtheater ist ja so offensichtlich und klar. Im normalen Erwachsenentheater ist es viel schwieriger zu beantworten, was wir erreichen wollen, welches Saatkorn setzen, welche Themen bearbeiten? Unter Hasko Weber am Theater Weimar wurden diese Fragen sehr ernst genommen. Sowohl im Spielplan, wie in den einzelnen Stücken wurden sie sehr klar reflektiert, mit viel Spaß und dem Publikum zugeneigt. Das Haus baute eine sehr große Nähe zum Publikum auf, man hat zugehört, was die Leute in der Stadt umtreibt. In meiner letzten Produktion wurden ihre Stimmen nach einer großen Recherche- und Interviewaktion direkt auf die Bühne gebracht. Das war für mich sehr stimmig, eine Art Liebeserklärung.
SAX: Sie haben sich im Zuge des Weimarer Intendantenwechsels nach einer neuen Aufgabe umgesehen? Wie passte Dresden?
Nahuel Häfliger: Es hat sich richtig angefühlt, weiterzuziehen. Ich habe mich rechtzeitig umgeschaut und war froh, dass es am Staatsschauspiel Dresden gleich mit einem Engagement geklappt hat. Derzeit lebe ich in der Neustadt noch zwischen Umzugskisten und neben meinen vielen Proben mit defizitärem sozialen Leben. Ich kann also noch gar nichts dazu sagen, ob sich die Stimmung in der Stadt verändert hat.
SAX: Was erhoffen Sie sich von Ihrem Engagement am Staatsschauspiel Dresden?
Nahuel Häfliger: Ich habe mich total auf das Staatsschauspiel Dresden gefreut, auf das tolle Haus und die neuen Kolleg:innen. Ich hatte gleich zwei Übernahmen, zuletzt „Piaf“. Und auch jetzt bei der Arbeit an „Endstation Sehnsucht“ merke ich, wie hoch das künstlerische Niveau ist. Ich empfinde sehr viel Glück, weil ich – zumindest bis jetzt – die Stimmung wieder als wahnsinnig positiv empfinde und dass die Leute warmherzig miteinander umgehen. Druck macht man sich dann selber.
SAX: Was bedeutet Ihnen die Besetzung als proletarischer Stanley in „Endstation Sehnsucht“. Rein äußerlich könnte man meinen, Sie sind als Typ besetzt?
Nahuel Häfliger: Auf die Zusammenarbeit mit Laura Linnenbaum habe ich mich sehr gefreut, ich konnte sie ja schon als Regisseurin bei „Piaf“ kennenlernen. Was für eine schöne Chance, mit der Rolle des Stanley einzusteigen. Ich denke, es ist eine gute Aufgabe für mich.
SAX: Im Stück geht es um gesellschaftlichen Untergang, Gewalt, multikulturelle Konflikte. Wo setzen die Regie und ihre Figur da an?
Nahuel Häfliger: Textliche Aktualisierungen oder örtliche Verschiebungen sind im Rahmen des festgeschriebenen Urheberrechtes für diesen Klassiker, soweit ich weiß, nicht möglich. Auch die Übersetzung ist vorgeschrieben. In diesem Rahmen suchen wir interpretatorisch die Freiheiten, um zu sehen, was der Stoff mit uns zu tun hat, um nicht hermetisch als Museumsaufführung rüberzukommen. Die Aufgabe, mit einem älteren Sprachduktus umzugehen, haben wir ja oft. Ein Shakespeare ist auch nicht Alltagssprache.
SAX: Haben Sie sich den berühmten amerikanischen Film mit Marlon Brando als Stanley angesehen? Können Sie da gut daneben treten?
Nahuel Häfliger: Ich habe ihn mir als ein Teil der Recherche angesehen, sehe auch gern guten Schauspielern zu. Ich bin ja ein ganz anderer Mensch mit anderen Erfahrungen, da ist es ganz klar, dass auch die Rollendarstellung eine ganz andere wird.
SAX: Für das Stück ist eine Trigger-Warnung ausgeschrieben. Es geht viel um physische und psychische Gewalt.
Nahuel Häfliger: Im Kontext der Fünfziger-Jahre waren die Handlungen ja Kavaliersdelikte, wurden als „normal“ angesehen. Es ist natürlich eine Aufgabe darzustellen, dass sie heute ein no go sind, eine absolute Grenzüberschreitung. Ja, die Vergewaltigung ist eine zentrale Szene und meine Aufgabe ist es, zu untersuchen, wieviel Gewaltpotential in der Figur des Stanley steckt. Er hat natürlich seinen Kontext, jede Rolle hat seine Geschichte – ohne die Gewalt damit entschuldigen zu wollen.
SAX: Denken Sie darüber nach, was Ihre nächsten Lieblingsrollen sein sollen?
Nahuel Häfliger: Ich habe so interessante Rollen gespielt, wovon ich vorher nicht gedacht hätte, dass ich sie spielen sollte. Ich fühle mich nicht auf einen Typ festgelegt. In den zehn Jahren in Weimar bin ich gemeinsam mit den Dramaturg:innen und Hausregisseur:innen einen gemeinsamen Weg gegangen, der mir bewusst Aufgaben gestellt hat. Das fand ich für die eigene Entwicklung ganz stark. Bendix Grünlich in „Buddenbrooks“ oder Alex in „Clockwork Orange“ sind ja sehr unterschiedliche Typen. Es gab in vierzehn Jahren vielleicht nur zwei Inszenierungen, in denen ich in meiner Innensicht unglücklich war.
SAX: Haben Sie Angst, dass KI Ihnen den Job wegnimmt, sich das Theater verändert in den nächsten Jahren?
Nahuel Häfliger: Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, dass das Theater-Liveerlebnis einen ganz neuen Stellenwert bekommt. Jemand schwitzen und atmen zu erleben und allein die Möglichkeit zu haben, durch die Bühne vielleicht direkt in Kontakt und Austausch mit ihm zu treten, ist eine große Chance. Mich selbst erschreckt KI gar nicht so. Das wird für viele andere Berufe schwieriger, bis dahin, dass sie verschwinden. Im Film ist das Feld da viel weiter offen. Für mich ist der große Unterschied das Live-Erlebnis und dass nicht jede Aufführung dieselbe ist. Auch vom Publikum her. Ich freue mich auf meine erste Premiere in Dresden. Es ist eine besondere Situation, nach langer Zeit wieder zurückzukehren.
Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams, Deutsch von Helmar Harald Fischer. Regie: Laura Linnenbaum, Schauspielhaus.
Premiere am 2. Oktober, weitere Vorstellungen: 11. und 27. Oktober.
www.staatsschauspiel-dresden.de