In der selbst geschaffenen Hölle

SAX-Gespräch mit dem Schauspieler und Musiker Christian Friedel

vor der »Macbeth«-Premiere am Schauspielhaus

Alles war angerichtet, und nicht nur die Theaterszene in Dresden war voller Vorfreude. Der 21. März 2020 sollte die Premiere von »Macbeth« am Schauspielhaus Dresden bringen. In der Hauptrolle und auf dem Regiestuhl Christian Friedel, der mit seiner Band Woods of Birnam auch für den Soundtrack der Inszenierung verantwortlich war. Die geplanten Vorstellungen bis zur Sommerpause waren damals fast komplett ausverkauft. Dann kam der Lockdown – eine Woche, bevor sich der Vorhang für den Shakespeare-Abend öffnen konnte.  Knapp 30 Monate später steht »Macbeth« am 10. September wieder auf dem Spielplan. Uwe Stuhrberg hat für die SAX mit Christian Friedel gesprochen.

SAX: Fast genau zweieinhalb Jahre nach den eigentlich geplanten ersten Vorstellungen wird »Macbeth« im Schauspielhaus auf die Bretter kommen. Warum ist es jetzt der richtige Zeitpunkt?
Christian Friedel: Die Entscheidung, »Macbeth« jetzt zur Premiere zu bringen, liegt an der Masse von Menschen, die darin mitwirken. Da niemand wusste, wie sich die Corona-Situation entwickeln wird, haben wir uns damals auf den Herbst 2022 geeinigt, weil alle davon ausgingen, dann wäre das mit der Pandemie im Großen und Ganzen vorbei. Nun wissen wir, dass wir wohl noch länger mit diesem Virus leben werden, und müssen Wege finden, allgemein und besonders in der Kulturszene damit umzugehen. Durch den langen Zeitraum gab es zudem Umbesetzungen bei den Tänzerinnen und Tänzern wie auch in der Komparserie, weil manche weggezogen sind, studieren oder gar den Beruf gewechselt haben. Aber der neue Zeitpunkt hat auch Vorteile. Da es nun eine klassische Spielzeiteröffnungsproduktion ist, probt man vier Wochen, hat dann sechs Wochen Sommerpause und geht danach in die Endproben. Man hat also dazwischen Zeit, darüber nachzudenken und zu analysieren.

SAX: Was ist seit 2020 mit dir und dem Stück passiert?
Christian Friedel: Bevor der Lockdown im März 2020 kam, hatten wir bereits sieben Wochen geprobt. Und wenn ich ehrlich bin, war die lange Pause bis jetzt auch ein Geschenk. Denn diese Dreifachbelastung – Regie, Hauptrolle, Musik –, zu der ich mich habe gern überreden lassen, ist in der ersten Probenphase 2020 nicht wirklich aufgegangen. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich nicht auf die Bühne, sondern nur Regie führen will. Und weil ich mir der Schwierigkeiten vorab bewusst war, habe ich mich schon bei der Konzeptionsprobe entschuldigt für die Defizite, die auftreten werden. Als Hauptdarsteller und Regisseur sah ich in der ersten Probenphase Macbeth als jemanden, der vom Rand aus seiner eigenen Geschichte als Zuschauer folgt. Das ist jedoch nicht aufgegangen, weil das Stück einen Mittelpunkt, einen Fokus benötigt. Man kann die Figur des Macbeth nicht an den Rand stellen. Wenn also die Premiere damals stattgefunden hätte, wären auf jeden Fall schauspielerische Defizite in meiner Rolle zu sehen gewesen. In den Monaten der Corona-Unterbrechung konnte ich mich damit intensiv auseinandersetzen. Jetzt bin ich nur froh, dass die Premiere bald stattfindet, weil die Gedanken an ein solch großes Projekt immer bewusst oder unbewusst präsent sind – bei allem, was man tut. Und wenn man dann auch noch so viel Zeit hatte, darüber nachzudenken, erwarten auch alle, dass das nun zu Ende gedacht ist und alles richtig gemacht wird. Da entsteht ein immenser Druck.

SAX: Die Titelrolle des Macbeth ist ein Tyrann der klassischen Art und du selbst bist als Hauptdarsteller, Regisseur und Mitkomponist des Soundtracks eine Art Alleinherrscher über das Projekt. Was ist dein Weg, hier den Versuchungen der Theatertyrannei zu entgehen, die sich bei manchen Regisseuren oft im Herumschreien manifes-tiert?
Christian Friedel: Ich habe selbst solche Regisseure kennenlernen dürfen, aber es werden zum Glück immer weniger. Zwar ist Geduld nicht meine größte Tugend, aber ich sehe es als meine Aufgabe, alle so ins Boot zu holen, dass sie hinter dem Abend stehen, dass wir einen gemeinsamen Ausdruck finden, sich die Mitwirkenden gegenseitig inspirieren. Ich möchte, dass alle Beteiligten sichtbar sind, auf und hinter der Bühne. Also spiele ich im Stück zwar den Tyrannen, aber nicht als Regisseur.

SAX: Wobei die Tyrannei in der realen Welt gerade zunimmt.
Christian Friedel: Ich bin aber kein Freund davon, dem Publikum solche Bezüge – etwa zum Krieg in der Ukraine – plakativ aufs Brot zu schmieren. Aber natürlich laden solche Geschehnisse die Betrachtung auf: Da ist ein Machthaber, der folgenschwere Entscheidungen trifft und sich isoliert.

SAX: Wie bewältigst du aber diese Two-Face-Situation, in der du Anweisungen an dich selbst geben musst?
Christian Friedel: Wahrscheinlich werde ich diese Herausforderung als Schauspieler und Regisseur bei einem so großen Ensemble nicht noch einmal suchen. Oftmals braucht das Ensemble einfach jemanden, der unten sitzt, und andererseits möchten sie den Macbeth auf der Bühne zum Anspielen haben. Das kann irritierend sein und ich bin sehr glücklich darüber, wie geduldig das Ensemble mit mir ist. Mir selbst gegenüber bin ich eigentlich in jeder Arbeit sehr selbstkritisch. Da stehe ich manchmal neben mir und damit praktisch im Weg. Als Schauspieler ist es ja der schönste Moment, wenn man sich auf der Bühne in einen Rausch begibt, sich verliert. Das gelingt aber selten. Deshalb höre ich auch auf mein Team und meine Kollegen, wie diese mich spiegeln, lade auch mal Freunde zu Proben ein. Das Wichtigste ist aber das Vertrauen, das mir alle entgegengebracht haben, wofür ich sehr dankbar bin. Denn wenn mir eines gelungen ist, dann, dass alle Bock haben, den Abend endlich auf die Bühne zu bringen.

SAX: Verliert sich aber der Druck nicht mit den gespielten Aufführungen?
Christian Friedel: Das hoffe ich. Denn das sind ja die schönsten Vorstellungen, in denen man einfach nur spielt und nicht mehr nachdenkt.

SAX: Man könnte sagen, »Macbeth« ist eine Art »Game of Thrones« ohne Drachen. Die Handlung ist einfach zu beschreiben, aber doch komplex und umfasst einen großen Cast. Gleichzeitig ist »Macbeth« ein Stück, das jeder zu kennen glaubt. Was ist die deine Grundidee?
Christian Friedel: Shakespare hat für alle Bevölkerungsschichten geschrieben. Das konnte man damals auch sehen in seinem Globe Theatre. Diesen Shakespeare´schen Geist will ich mitnehmen, einfach das Theater als Kunstform feiern. Es soll ein Spektakel werden, das manchmal über- und herausfordernd ist, aber aus dem alle etwas für sich mitnehmen können, ob es nun etwas Abstraktes ist, etwas Greifbares oder Parallelen ins Heute oder in die Vergangenheit. Bezüge sollen dabei im Kopf entstehen – alles andere wäre mir zu platt. Wichtig ist mir zudem das Ineinandergreifen unterschiedlicher Stilmittel und Genres: Schauspiel, Tanz, Oper, Musical. Und es würde mich freuen, wenn wir damit auch junges Publikum ins Theater bringen können, was eines meiner Hauptanliegen ist. Am Stück selbst ist für mich interessant, wie jemand, dem der Weg zur Macht prophezeit wird, dann mit Macht umgeht. Das Böse im Menschen, die Verführbarkeit in uns – das ist etwas, was uns alle betrifft. Die Frage, wie man Schuld aushält, die man auf sich geladen hat, fasziniert mich an dem Stück mehr als all das Blutrünstige. Deshalb wird es bei uns nicht die erwartbaren Bilder geben. Ich sehe das alles eher als einen Albtraum von Macbeth, der sich in eine selbst geschaffene Hölle begibt, aus der es kein Entrinnen gibt, denn – nicht nur seine – Geschichte wiederholt sich. Es wird immer wieder Menschen geben, die ihre Macht missbrauchen.

SAX: Mit welchen Übersetzungen des Textes hast du gearbeitet?
Christian Friedel: Im Gegensatz zu den Engländern, die »nur« den originalen Shakespeare haben, kann ich zwei Übersetzungen verbinden – zum einen die romantisierende von Dorothea Tieck, zum anderen die drastischere von Heiner Müller. Diesen Twist aus unterschiedlichen Sprachmöglichkeiten aus unterschiedlichen Jahrhunderten finde ich spannend, wobei ich mit dem Text sowohl respektvoll als auch frei umgehe. Ich vermeide aber Modernismen.

SAX: Es ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem die Band Woods of Birnam, deren Sänger du bist, den gleichnamigen Wald betreten wird – im übertragenen wie wörtlichen Sinne. Dieser Wald spielt eine wichtige Rolle in der Prophezeiung zu Macbeths Zukunft. Wie fiel die Wahl des Bandnamens 2011 auf diesen Begriff und welche Rolle werden die Musiker im Stück einnehmen?
Christian Friedel: Das geht auf Stefko Hanushevsky zurück, einen Kollegen von mir, der ein paar Texte für uns schrieb, unter anderem für einen Song, der den Arbeitstitel »Chaos« trug. Und weil er den so theatralisch fand, hat er den Monolog aus »Macbeth« verwendet und das Lied »Woods of Birnam« genannt. Unser Schlagzeuger Christian Grochau hatte dann die Idee, auch der Band diesen Namen zu geben. Schließlich ist dieser Wald sehr vielschichtig und geheimnisvoll, sodass er als Projektionsfläche auf vielen Ebenen funktioniert. So kamen wir zum Namen, obwohl wir damals noch nicht wussten, dass wir einmal mit dem Stück zu tun haben werden. In der Inszenierung besteht der Wald von Birnam aus Menschen, die sich dem Schloss annähern und so den Untergang von Macbeth herbeiführen. Dieser Wald wird omnipräsent sein als Bild der Schuld, die Macbeth auf sich geladen hat und die er nicht mehr loswird, denn nie ist ein Mensch an der Macht zu einem besseren Menschen geworden. So steht die Band für den Kosmos dieser mystischen Welt, für das Ummanteln von Emotionen und Situationen. Sie ist Teil der Macbeth’schen Albtraumwelt, mal präsent, dann wieder verschwunden.

SAX: Für die Inszenierung hast du dir viel Input von außen geholt wie etwa den Choreografen Valenti Rocamora i Tora, den Lichtdesigner und Lokalhelden Johannes Zink, die Dramaturgin Julia Weinreich oder den Videodesigner Clemens Walter. Mit einigen hast du bereits zusammengearbeitet. Wie schweißt du für ein solches Projekt die Gang zusammen?
Christian Friedel: Das ist wie eine Utopie, wie ich sie mir auch für die Gesellschaft wünsche: ein gemeinsames Erkunden und Experimentieren unterschiedlichster Menschen, Einflüsse zulassen, die am Theater erst einmal  nicht zu verorten sind. Im Ergebnis fordern wir die gesamte Technik des Hauses mit einer Inszenierung und einem Bühnenbild, das wie ein Organismus wirkt, der sich ständig wandelt. Und letztendlich lebe ja auch ich selbst die Inspiration unterschiedlicher Genres, denn ich könnte nie nur Schauspieler sein, weil ich jemand bin, der sich unterschiedlich ausdrücken will und dazu noch schnell langweilt.

SAX: Wird es mit Woods of Birnam auch ein »Macbeth«-Album geben?
Christian Friedel: Ja. Die Hälfte der Stücke ist instrumental, von den Gesangsstücken gibt es bereits drei, die schon in »Searching for William« zu hören waren, dazu kommen noch zwei neue. Ich wollte für »Macbeth« nicht zu viel songlastiges Material verwenden, auch, um es von »Hamlet« abzugrenzen. Man kann zudem das Album hören, ohne das Stück gesehen zu haben, weil es für sich allein Bilder produziert. Es ist ein richtiges Soundtrackalbum, das wir in der Corona-Pause aufgenommen haben. Vielleicht spielen wir das auch später mal als als reinen Konzertabend.

SAX: Wird es nach »Macbeth« erst mal eine Pause zwischen Shakespeare und Friedel geben?
Christian Friedel: Ja. Aber irgendwann will ich mich noch mit »Richard III.« befassen.
Interview: Uwe Stuhrberg

Macbeth Premiere am 
10. September, Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen unter anderem am 11., 28. und 29. September
www.staatsschauspiel-dresden.de

Christian Friedel wurde 1979 in Magdeburg geboren und kam schon als Kind mit dem Theater in Berührung: »Ich wollte nie etwas anderes werden als Schauspieler«. Nach dem Studium von 2001 bis 2004 in München spielte er in der bayrischen Hauptstadt sowie in Hannover. 2009 wechselt er in das Ensemble des Staatsschauspiels Dresden, in dem er bis 2013 fest engagiert ist. Ebenfalls 2009 erscheint »Das weiße Band«, der erste Spielfilm mit Friedel, gleich in einer Hauptrolle. Regie führt Altmeister Michael Haneke, es gibt für den Film die Goldene Palme in Cannes, einen Golden Globe, zwei Oscar-Nominierungen und tonnenweise weitere Preise. 2011 wird Christian Friedel Sänger der Dresdner Band Woods of Birnam, deren Mitglieder vorher bei Polarkreis 18 gespielt haben. Von nun an switcht er zwischen Theater, Kino, TV und Musik, geht deshalb 2013 in die Freiberuflichkeit. Am Theater setzte Friedel verschiedene Shakespeare-Bearbeitungen um, spielte unter anderem Arturo Ui, Peer Gynt, Wilhelm Meister, König Ödipus oder den Macheath. Im Kino verkörperte er unter anderem Heinrich von Kleist (»Amour Fou«), den Hitler-Attentäter Georg Elser (»Elser – Er hätte die Welt verändert«) oder den Andrej in »Russendisco«. Im Fernsehen ist er vor allem mit der Serie »Babylon Berlin« präsent, deren vierte Staffel demnächst zu sehen sein wird. Mehrere Alben erschienen mit Woods of Birnam; die Band hat mit »Come To The Woods« zudem ein eigenes Festival in Dresden.
www.christianfriedel.com