Placido gefällt

"Nabucco" mit einem Startenor in der Semperoper

Die gute Nachricht vorab: Diesesmal hat er durchgehalten. Placido Domingo, der alternde Weltstar tritt mit 78 Jahren zum ersten Mal in der Semperoper auf. Drei Auftritte im Rahmen der Neuinszenierung von Verdis „Nabucodonosor“, besser bekannt unter dem Spitznamen „Nabucco“ waren vorgesehen. Bereits die erste hatte er krankheitsbedingt abbrechen müssen. Aber am Pfingstsonntag hielt er durch. Der (vorläufig) letzte Auftritt ist für den 15. Juni angesetzt. Auch diese Veranstaltung ist restlos ausverkauft. Nur einige Stehplatzkarten gibt es noch an der Abendkasse. Um es vorwegzunehmen: wer sich den Stehplatz körperlich zutraut, sollte zugreifen. Es lohnt sich! Und das nicht nur, aber auch, um den Mann einmal live zu erleben, der mit 150 Rollen in 3300 Aufführungen einsamer Rekordhalter in der Opernwelt ist und mit über 100, zum Teil preisgekrönten Platteneinspielungen ein reichhaltiges Erbe hinterläßt.

Ihn zu erleben, hatte aber nicht nur nostalgischen Wert. Der alte Meister sang mit voller donnernden Bariton-Stimme und überzeugte auch schauspielerisch. Bariton? Ja, seit 2009 ist der ehemalige Startenor, der ursprünglich aus der spanischen Zarzuela kommt, einer Art Operette, im Bariton-Fach (allein 200 umjubelte Titelrollen als Othello) unterwegs oder als Dirigent. Nur als Handballspieler überzeugte er nicht (wahrscheinlich kann er besser Fußballspielen): den ihm von der Regie anvertrauten bunten Gummiball, mit dem er spielt – eine Weltkugel in Anspielung an Chaplins Great Dictator? – ließ er versehentlich in den Orchestergraben rollen und dort auf den Kopf eines verdutzten Chellisten. Bei den Honneurs nach dem Schlussvorhang entschuldigte sich der Star rührend für sein Missgeschick beim Musiker und überließ ihm seinen Blumenstrauß. Es sei noch erwähnt, daß die Rolle auch in den Vorstellungen ohne Domingo mit Andrzej Dobber namhaft besetzt ist.

Wenn Domingo auch der Star des Abends war, kamen die beiden gesanglich beeindruckendsten Beiträge doch aus anderen Kehlen: Saioa Hernández zeigt als Abigaille, warum man die von Renata Scotto und Montserrat Caballé ausgebildete Sopranistin spätestens seit ihrem Debüt an der Mailänder Scala im vergangenen Jahr zu den neuen Opernstars zählt. In ihrer Solo-Arie zu Beginn des zweiten Akts „Ben io t’invenni ...“, einer der schwierigsten Verdi-Arien überhaupt, brillierte sie und erhielt zu recht  frenetischen Zwischenapplaus des Auditoriums. Die Rolle, die bei der Uraufführung von Verdis späterer und langjähriger zweiter Frau (nach dem tragischen viel zu frühen Verlust seiner ersten Frau und seiner Tochter) Giuseppina Strepponi gesungen und geprägt wurde, verlangt außer Stimmkraft auch den Wechsel an Stimmungen, in sich gekehrt, reflexiv und dann wieder energisch, geradezu ekstatisch, herrschsüchtig und brutal. Saioa Hernández blieb dieser Rolle, die sie das erste Mal singt, nichts schuldig. Sie singt das erste Mal an einem deutschen Opernhaus (weitere Engagements, zum Beispiel in Berlin, sind bereits vereinbart) und man darf hoffen, dass sie auch noch öfter an die Semperoper zurückkehren wird.

Ebenfalls zu recht umjubelt und mit Sonderapplaus bedacht wurde Vitalij Kowaljow in der Rolle des Zaccaria. Kowaljow, inzwischen einer der führenden Bässe der Welt, ist in Dresden kein Unbekannter mehr. Gerade mit Generalmusikdirektor Thielemann hat er in vielen Produktionen geglänzt. Er verlieh der Rolle des hebräischen Hohepriesters Gewicht und man nahm ihm  in „Oh, chi piange?“ und noch mehr in „A posare sui crani“ (beide im zweiten Bild des dritten Akts) die Führungsrolle ab, die er in seinem durch die Babylonier niedergeworfenen Volk einnimmt.

Leider war am Pfingstsonntag der eigentlich vorgesehene Dirigent Omer Meier Wellber gesundheitlich verhindert. Das ist umso bedauerlicher, als man ihn inzwischen für einen ausgewiesenen „Nabucco-Spezialisten“ hält. Aber er wurde durch Jordi Bernàcer gut vertreten.

Sehr angenehm geriet die Interpretation des berühmten Gefangenenchors „Va, pensiero, sull´ali dorate“ (Fliegt, Gedanken, auf goldenen Flügeln) im dritten Satz andächtig und gefühlvoll. Dieser Chor wird zu gerne hymnenhaft geschmettert. Die hier gewählte Abwechslung von Passagen in piano und dann wieder der Steigerung in forte kommt der Aussage des Textes deutlich näher. An dieser Stelle sei auch ein Dank gerichtet an die Redaktion des Programmheftes. Mit nüchterner Klarheit wird hier der in vielen Opernführern immer noch enthaltenen Legende entgegengewirkt, dieser Chor sei die heimliche Hymne des Risorgimento (vor allem gegen Österreich-Ungarn) gewesen, des italienischen Aufstandes unter Garibaldi, mit dem die Italiener drei Reiche (Königreich Sizilien, Kirchenstaat und Oberitalien) zu einem Königreich vereinten. Verdi, der mit dieser Oper sein erstes auch wirtschaftlich erfolgreiches Werk schuf und seinen Ruhm begründete, war zwar ein glühender Anhänger des risorgimento. Aber die Legende von der Nabucco-Hymne wurde erst viel später gestreut, wohl um dem über Jahrhunderte geteilten Land ein einigendes Symbol zu geben. Schließlich war Vittorio Emmanuele II. schon ein paar Jahre König von Italien, als Verdi diese Arie komponierte. Auch die geschichtlichen Abhandlungen des Programmheftes über Nebukadnezar und die Bedeutung der babylonischen Gefangenschaft für das Israelitentum sind lesenswert.

Kontrovers diskutiert wurden Bühnenbild und Kostüme. Die Darsteller treten in Uniformen auf, wie sie wohl die irakische Armee benutzt. Auf schwarzen Fahnen, die an die IS-Fahnen erinnern, ist statt des IS-Symbols der Stierkopf und der Schriftzug „Baal“ (der mit dem israelischen Gott Jehova damals in Kleinasien konkurrierende Götzengott; für Babylon wäre allerdings Marduk, der Gott der Babylonier richtig gewesen) angebracht. Für die Anhänger historisierender Darstellungen möglichst in Kostümen und Bühnenbildern der Zeit, in der die Handlung spielt, sind solche Gestaltungen Frevel. Versteht man aber die Aufgabe des Kostüm- und des Bühnenbildners so, dem Zuschauer aus der Jetzt-Zeit die Konflikte der Oper erfahrbar zu machen, dann sind solche Bezüge nicht nur erlaubt, sondern eine Bereicherung, weil sie zur Auseinandersetzung herausfordern. Die Oper wird dann mehr als ein Märchen mit schöner Musik. Hier wird die Brutalität des Faustrechts in dem auf der Bühne spritzenden Blut ebenso deutlich wie die Beklemmungen, die durch die gezeigten Elendsquartiere entstehen. Militärische Einschüchterung und Zerstörung, Mordlust, soziale Verrohung und rücksichtsloser Karrierismus werden auf diese Weise zusätzlich unterstrichen. Erschütternd ist die von Verdi nicht vorgesehene, allein der Inszenierung geschuldete non-verbale Szene, in der eine Mutter ihr Kind in einen Brettersarg legt. Gerade die Inszenierung verleiht der Oper eine gewisse Allgemeingültigkeit, egal ob Irak, Syrien, Ost-Ukraine. Deshalb gebührt auch diesem Teil der Inszenierung Lob.

Das Publikum nahm regen Anteil an der Darbietung. Die älteren Damen in der zweiten Reihe des dritten Rangs erörterten intensiv die Handlung in rührender Profanität („Guck mal, jetzt soll sie aufgehängt werden.“), manchmal zum Mißfallen der konzentrierten Opernhörer. Insgesamt überwog jedoch der Genuss. So hat das Publikum mit stehenden Ovationen viel mehr Vorhangaufzüge beim Schlussapplaus erzwungen, als von den Veranstaltern wohl vorgesehen waren. Ein gutes Publikum weiß sich eben zu wehren.

Ra. 

Nabucco Oper von Giuseppe Verdi, Semperoper
Regie: David Bösch, Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber.
Nächste Vorstellung: 15. Juni
www.semperoper.de