Starkes Herz in schwacher Brust

„Ein Sommernachtstraum“ – das Sommertheater des Staatsschauspiels im Japanischen Palais

Foto: Sebastian Hoppe

Es gibt kaum ein Stück des englischen Theaterzauberers William Shakespeare, das sich mehr für ein Vergnügen in lauer Sommernacht eignet, wo sich Spiellust mit klugem Witz, philosophischen Weltentwürfen und den unendlich vielfältigen Verwirrmöglichkeiten der Liebe paaren.

Spielt doch der Meister der Vielschichtigkeit in diesem Stück mit gleich vier verschiedenen Ebenen. Da gibt es den Herzog Theseus, der die Amazonenkönigin Hippolyta heiraten wird, freilich musste er sie vorab erobern oder gar unterwerfen. Da gibt es die Bürgerschicht, die brav das von Theseus verwaltete alte Recht befolgt, allerdings hat deren junge Generation darauf keinen Bock mehr und will selbstermächtigt lieben, wen sie will. Da gibt es die Unterschicht in Person einer Handwerkertruppe, die sich Gunst und Geld durch eine Theateraufführung anlässlich der Hochzeit des Herzogs verdienen will. Und da gibt es den Wald. In ihm herrschen andere Gesetze, nämlich die des Elfenkönigspaares Oberon und Titania nebst illustrem Gefolge, die sich allerdings gerade im Streit um einen Knaben befinden, mit dem sie ihre Lust stillen und ihn keinesfalls teilen wollen. Deshalb gibt es Krieg. Diese aufgeladene erotische Energie bekommen die Menschen, die sich im Wald verirren, zu spüren.

Soweit das Tableau. Die Geschichte muss hier nicht erzählt werden, sie ist nicht schwer zu verstehen, ihre Überraschungen sind Teil des Abends. Den inszenierte Robert Gerloff allerdings größtenteils eindimensional, geradezu „vom Blatt“, sodass bei mir keine Fragen offen, dafür aber Wünsche nach mehr Tiefe und Geheimnis blieben.

Der Ort – der zum Teil begrünte und ansonsten auch schon mal in der zweiten Etage, dem ringsherum führenden Balkon, bespielte Innenhof des Japanischen Palais – eignet sich ganz wunderbar. Die Bühne ist ein Labyrinth aus mit Schlingpflanzen bemalten Versatzstücken und wird fast zur Hälfte von der Nachbildung eines riesigen Herzens eingenommen, dessen offene Blutgefäße in trichterförmigen Blüten enden, die genausogut auch Grammophone vorstellen könnten. Denn Musik gibt’s satt. Die wird glücklicherweise live von Musiker:innen der Banda Comunale gespielt – kraftvoll und pointiert, wie man das von ihnen kennt. Überhaupt nimmt die Musik einen zentralen Part ein, zu dem die Darsteller:innen die Lieblingsliebessongs ihrer Jugend beigetragen haben – sie alle finden Platz in der Gesamtkomposition, und die geht etwa so: Immer mal wieder und oft fängt man mitten im shakespearschen Satz an zu singen – zwei bis vier Zeilen, mehr nicht. Dann geht es weiter im Text. 

Ich fühlte mich wie beim derzeitigen Lieblingsspiel meiner Familie, wo seit neuestem bei jedem Treffen das Musikratespiel HITSTER auf den Tisch kommt, bei dem man anhand von kurzen Sequenzen, die man per QR-Code auf einer einschlägigen Streamingplattform abspielt, Titel, Interpret und Produktionsjahr erraten muss. Meine erwachsenen Kinder gewinnen immer, ich nie.

So musste ich auch am Premierenabend hinnehmen, dass ich sehr viele der sehr kurzen Musikeinspiele nicht zuordnen konnte. Einen schön verspielten Rhythmus bekam der Abend dadurch auf jeden Fall, die Herausforderung meisterten Spieler:innen wie Musiker:innen mit Spass und Können.

Dazu kam, dass das Wort „Herz“ nie ausgesprochen wurde - und es kommt oft vor im Shakespear’schen Text -, sondern durch einen Wink zum Riesenbühnenherz mit dazugehörigem Herzton vom Drummer ersetzt wurde. Zum „Mond“ gesellte sich ein Lichtsignal, andere Worte wurden mit kollektiven Gesten verknüpft, sodass die Sprache stellenweise zur Körper-Rhythmus-Übung wurde, was Spielern wie Zuschauern viel Vergügen einbrachte.

Manche Songs allerdings wurden komplett gesungen – da driftete die Inszenierung nach meinem Geschmack manchmal in die Nähe einer Operette ab, verriet sich sozusagen selbst. Das Elfenpaar Titania/ Oberon blieb mir in dieser Version seine übermenschliche, phantastische wie philosophische Dimension schuldig. Das Operettenhafte war hier allerdings schon so stark in den Kostümen angelegt, dass man wohl schwer dagegen anspielen konnte.

Die vier jungen verliebten Frauen und Männer dagegen spürten dem Existenziellen in diesem emotionalen Verwirrspiel im Wald nach, schmissen sich ganz und gar hinein in die Konflikte, die Oberon und sein Gehilfe Puck angezettelt hatten. Ein kraftvoll realistischer Kontrast zum Elfengedudel. Das Tempo des Abends wird vor allem vom schnellen Wechsel der Spielebenen und Figuren bestimmt – jede Darsteller:in spielt wenigstens zwei, meist sogar drei Rollen, und die Parallelitäten und Skurrilitäten, die dadurch entstehen, sind vergnüglich.

Der Star des Abends aber ist Thomas Eisen als Möchtegernschauspieler/Handwerker Zettel, der sich außerdem noch als Zeremonienmeister Philostrat an Theseus Hof und eine von Titanias schrägen Elfen verausgabt. Der kann wahrscheinlich auch das Telefonbuch spielen – hier belässt er es in einer der zahlreichen, aktuellen Anspielungen bei einem gerapten Mix aus den Namen diverser Nachrichtensprecherinnen. Doch als Klaus Zettel, der „den Löwen auch noch“ spielen will, ist er umwerfend tragikomisch, wenn der selbstverliebt sein darstellerisches Können präsentiert, ohne zu bemerken, wie er dabei ständig an seine Grenzen stößt.

Überhaupt war die Handwerkertruppe, die im Wald das Theaterstück einstudiert, auch ganz ohne bunte Kostüme am lustigsten. Weil die Schauspieler:innen Raum hatten, Situationen auszukosten und den doppelten Boden, den die Shakespearschen Texte bieten, auch mal ausloten konnten.

Leider wurde die Schluss-Szene, wenn die mehr oder minder begabten Laien ihr Stück zur Fürstenhochzeit präsentieren, mit einem neuen Libretto von Pirmin Sedlmeir regelrecht vergeigt. Wo vorher der Witz aus der ungekonnten Improvisation erwuchs, sehe ich jetzt angemalte Pappwände und höre eine auf Schlagerniveau heruntergedimmte Musik. Darüber kann nicht mal mehr der Fürst lachen. Hätten sie da mal besser dem alten Briten vertraut. 
Caren Pfeil

Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare. Deutsch von Angela Schanelec in Zusammenarbeit mit Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens. Regie: Robert Gerloff. Staatsschauspiel Dresden im Innenhof des Japanischen Palais. Vorstellungen bis 6. Juli 2025.

Bühne: Maximilian Lindner
Kostüme: Johanna Hlawica
Komposition und Arrangements: Cornelius Borgolte
Libretto letzte Szene: Pirmin Sedlmeir
Choreografische Mitarbeit: Zoe Knights
Lichtdesign: Konrad Dietze
Dramaturgie: Uta Girod

Es spielen:
Gina Calinoiu: Hippolyta / Titania
Raiko Küster: Theseus / Oberon
Hanni Lorenz: Hermia / Schnock / Motte
Leonie Hämer: Helena / Schnauz / Senfsamen
Jakob Fließ: Lysander / Erbsenblüte / Squenz
Paul Kutzner: Demetrius / Flaut / Spinnweb
Thomas Eisen: Zettel / Philostrat / Elfe von Titania
Henk Buchholz / Jonas Holupirek: Puck / Egeus / Schlucker
Alexander Geppert / Klaus Kühn / Alex Kutschbach / Fritz Rahle: Knabe

Es musizieren:
Hans-Richard Ludewig / Silke Krause: Akkordeon
Richard Ebert / Christian Patzer: Tenorsaxophon / Klarinette
Marc Hartmann / Albert Sturz: Tuba
Germi Rieß / Jannicke Hagen: Trompete
Gregor Littke / Alma Trunk: Posaune
Christian Zeigner / Patrick Neumann: Schlagzeug

www.staatsschauspiel-dresden.de