Unversöhnliche Liebe, unversöhnlicher Hass
»Roméo et Juliette« von Charles Gounod an der Semperoper illustriert glaubensvolle Ausweglosigkeit in düsterem Grau
Das bekannteste Liebespaar der Welt ist das tragischste Liebespaar der Welt. Das tragischste Liebespaar der Welt ist das berühmteste Liebespaar der Welt. Über Jahrhunderte hinweg wurde es so vielfältig dargestellt und abgebildet, dass es seit Generationen schon als Metapher für unlebbare Liebe gilt.
Der Franzose Charles Gounod brachte seine neben dem »Faust« von 1859 wohl berühmteste Musiktheater-Komposition Anfang 1867 zur Weltausstellung in Paris heraus. Nur ein halbes Jahr später zeigte das damalige Königlich-Sächsischen Hoftheater in Dresden bereits die deutsche Erstaufführung. Nun präsentiert die Sächsische Staatsoper eine Neuinszenierung dieses fünfaktigen Shakespeare-Stoffes. Eine Produktion mit Höhen und Tiefen.
Nachdem die Sächsische Staatskapelle den Abend reichlich spannungslos eröffnet und ihn unter der musikalischen Leitung von Robert Jindra kaum wirklich dramatisch gestaltet, entwickelt sich dann aber doch eine glücklich-unglückliche Spannung, wie sie sich für die Tragik um Romeo und Julia gebührt. Der tschechische Dirigent lässt dem Orchester wohltuende Differenzierungen angedeihen, als hätte man zur Premiere erst einmal miteinander warm werden müssen. Vielleicht hat ja auch die betörende Tuuli Takala als Juliette dazu inspiriert? Geradezu vogelgleich lässt die finnische Sängerin ihren Sopran durch den Raum flattern, ist bühnenbeherrschend in allen Stimm- und Gefühlslagen überzeugend präsent, spielt anfangs mädchenhaft freimütig, dann emotional immer gereifter ihren mal glücklich verliebten, mal tragisch bis tödlichen Part. Warum sie zunächst Jeans, später ein luftig leichtes Kleidchen in unschuldsvollem Weiß trägt, bleibt entweder Geheimnis des Inszenierungsteams oder der Ausdeutung des Publikums überlassen.
Ihr Roméo verfällt diesem sehr ansehnlichen Wesen einzig allein aufgrund äußerer Schönheit, da haben es sich Komponist Charles Gounod sowie seine Librettisten Jules Barbier und Michel Carré ziemlich einfach gemacht. Geliebt wie gesehen. Um wesentliche Inhalte oder gar herausragende Charakterzüge geht es da gar nicht. Die hat auch die Inszenierung Regisseurin Barbara Wysocka im Bühnenbild Barabra Hanickas mit von Julia Kornacka entworfenen Kostümen kaum zu erforschen versucht. Freilich entwickelt das Mädchen respektive die junge Frau emotionale Tiefe, und ringt - getragen von Gounods trefflich schildernder Melodiefülle - couragiert um die ganz große, die einzig wahre Liebe. Der australisch-chinesische Tenor Kang Wang verleiht seinem Roméo kraftvollen Wohlklang und eine spielerisch glaubwürdige Darstellung; ein Partner auf Augen- und Ohrenhöhe. Dieses Paar hätte durchaus das Zeug, die seit ewigen Zeiten miteinander verfeindeten Familien der Capulets und der Montaigu miteinander zu versöhnen. Aber so religiös verbrämt Gounod diese Liebe verankert und sie immer wieder mit »göttlichen« Bezügen versieht, so felsenfest sind Feindschaft und Hass in den Familienbanden verankert. Eine glaubensvolle Ausweglosigkeit frei nach dem biblischen Motto Auge um Auge, Zahn um Zahn. Keine Chance auf Zukunft in Frieden.
Geliebt wie gesehen
Juliettes Vater, rein äußerlich eine Melange aus Oligarch und Mafioso, steht als fieser Fels in der Brandung, family first. Die im Raum stehende Brutalität, die Düsternis der Szenerie und ein so unsichtbarer wie unüberbrückbarer Graben stehen für das Zeitlose eines derartigen Hasses, der weder bei Shakespeare geschweige denn bei Gounod seinen Anfang nahm und auch in heutigen »Zeitenwenden« noch keinen Deut an vernunftvollem Ausweg angelangt zu sein scheint. Die heimliche Trauung von Juliette und Roméo durch Frère Laurent (ein Kabinettstück von Georg Zeppenfeld, sängerisch und spielerisch großartig wie immer!) hilft da ebenso wenig wie der beschwichtigende Auftritt des Veroneser Herzogs (brillant beschwörend: Tilmann Rönnebeck). Die fatale Reaktion der Capulets: »Frieden? Nie! Niemals!«.
Man kann diese Oper als Beziehungskonflikt interpretieren, es steckt freilich auch ein großes Gesellschaftsdrama darin, das zu denken geben sollte. Wenn Juliettes Cousin Tybalt Romèos Freund Mercutio umbringt, muss er ebenfalls sterben. Muss er? Barbarisch monströse Blutrache - und alle Hoffnungen auf auf glückliches Leben und Liebe sind mit dieser Bluttat dahin.
Den äußeren Rahmen dafür geben zwei bewegliche Säulenwände, deren eine dank doppelter Ebenen die Balkonszene von Verona immerhin andeutet. Ansonsten wirkt die Spielfläche vergleichsweise beliebig, finstere Anklänge an faschistoide Brachialarchitektur, versehen mit zeitlos heutigen Kostümen.
Die Hauptrolle in dieser Sicht auf »Roméo et Juliette« spielt die Musik, denn längst haben Soli, Orchester und der sehr präsente Staatsopernchor ihre Potenzen herauskehren können, um das Publikum mit Gounods Dramatik zu betören. Immer mal wieder fehlende Übereinstimmung zwischen Bühne und Graben stört allerdings nachhaltig, ebenso die von der Regie ziemlich ungestalte Führung von Chor und Komparsen.
Überzeugend sind Poesie und Dramatik ineinander verschmolzen, Krimi und Romanze werden als spannungsreiche Fessel bis zum tragischen Finale erlebbar. Juliette, vom sturen Vater zur Hochzeit mit dem aalig glatten Pâris gezwungen, wiligt ein, mit priesterlicher Hilfe in einen Scheintod versetzt zu werden, aus dem sie jedoch nicht rechtzeitig aufwachen kann, um Roméos selbstmörderischer Verzweiflungstat zuvorzukommen. Angesichts der vermeintlichen Leiche nimmt er ein tödliches Gift, die erwachende Juliette und der sterbende Roméo finden zu einem letzten, allerletzten Kuss und sind im ewigen Tode vereint, nachdem Juliette sich in Messer ins Herz rammt.
Das Premierenpublikum, bis eben noch vom tragischen Lieben, Leiden und Sterben gebannt, zerjubelt die Schlusstöne und überschüttet diese unversöhnliche Emotionsorgie mit lautstarkem Beifall.
Michael Ernst
Roméo et Juliette Oper von Charles Gounod nach William Shakespeare. Musikalische Leitung: Robert Jindra. Inszenierung: Barbara Wysocka. Semperoper. Premiere am 3. Mai 2025. Nächste Vorstellungen: 9., 16. und 29. Mai, 4. und 8. Juni 2025
www.semperoper.de