Die Hausnummer 50 und Karlsruher Nachwehen

Ein Remis zum Abschluss und eine nachdenkliche Vereinsführung

Zugegebenermaßen kommt der rhetorische Spieltagsnachschlag an dieser Stelle etwas spät. Doch ich wollte noch die montägliche Pressekonferenz »mitnehmen«, um der geneigten Leserschaft nicht alle paar Stunden auf die Ketten zu gehen. Doch zunächst zum gestrigen Saisonabschluss
Vor dem Anpfiff stand wie geplant die Verabschiedung von sieben Spielern an, aber bevor es dazu kam, wollte Vereinspräsident Andreas Ritter noch seine Meinung zu den Ereignissen von Karlsruhe kundtun. Er konnte keine drei Worte sagen, da wurde er vornehmlich aus dem K niedergebrüllt, ausgepfiffen und mit dem üblichen »Fußball-Mafia DFB«-Rufen bedacht. Für meine Begriffe ist dieser Umgang mit dem Mann eine bodenlose Unverschämtlheit. Wenn man Meinungsfreiheit einfordert – und diese wird ja von UD vehement eingefordert –, diese aber anderen verwehrt, ist das absolut scheinheilig. Zudem muss man Ritter zubilligen, dass es unter seiner Ägide deutlich anders zugeht in den Gremien, als man das 20 Jahre vor seinem Wirken betrachten durfte. Zudem ist ihm jegliches Sonnenkönig-Dasein abhold, wie man es von anderen Vereinen und aus der eigenen Vergangenheit kennt. Das muss man mindestens respektieren, und da darf man auch mal etwas aushalten, was einem nicht in den Kram passt. Aber: reflexartiges Verhalten olé!

Und weil wir bei Respekt sind: Der wurde allen verabschiedeten Spielern gezollt, auch und vor allem Marvin Stefaniak bekam mehrfach Sprechchöre. Er selbst machte sich ja im Vorfeld des Spiels so seine Sorgen, die wohl auch von den Verantwortlichen geteilt wurden, denn das Adieu wurde in zwei Spielergruppen abgehandelt, in der ersten war Stefaniak gemeinsam mit Akaki Gogia und Nils Teixeira.

Erste Halbzeit: Alle wollen, keiner kann

Meine Erwartung an das letzte Spiel war, unbedingt die 50 Punkte zu erreichen, sozusagen als kleiner Meilenstein (und Gradmesser für die kommende Saison). Zur Freude vieler stand dann auch noch Patrick Wiegers zwischen den Pfosten, der – und das hört man von allen Seiten – ein fabelhafter Sportsmann ist. Ein toller Torwart ist er übrigens auch. Vorn war mal wieder Erich Berko als Stümer gefragt, Pascal Testroet schaffte es zunächst auf die Bank. Allen gemein war: das neue Trikot mit schwarzem Überbrustbereich.
Wer nun vermutet hätte, die Arminia würde hier mit Mann und Maus den Klassenerhalt erstürmen, sah sich arg getäuscht. Die Maxime war entweder abzuwarten, was die Löwen zustande bekommen, oder es ging einfach nicht mehr.

Schwarz-Gelb hingegen sah man mit dem gewohnten Ballbesitzspiel, aber nur wenigen forschen Aktionen bis ganz nach vorn. Ein Heber von Stefaniak geht nach fünf Minuten drüber, eine Scherenschlag-Bogenlampe von Teixeira und einige wenige Konterversuche – alle nicht gut zu Ende gespeilt – summieren sich so nach und nach zu einer klaren Überlegenheit. Aber mehr als die Kontrolle über das Geschehen bringt das nicht, zumal einmal mehr zutage tritt, dass es sehr oft nur der letzte Pass ist, der nicht sitzt. Aber ohne »gelernten« Stormtrooper auf dem Rasen wird es auch nicht einfacher. Deutlich macht das auch Erich Berko, als er einen gefühlten 300-Meter-Traumpass im vollem Speed erläuft, aber dann kläglich dem Gegner in die Füße spielt.

Aber wofür ist eine nächste Zweitligasaison schon gut, wenn nicht dafür, dass alles noch besser wird. Das trifft auch für das Hintenrum-Spiel zu, dass nicht nur Marvin Schwäbe, sondern diesmal auch Patrick Wiegers hin und wieder in Schwierigkeiten bringt, wenn es eher von Unsicherheit als von Cleverness geprägt ist. So spielt Starostzik einmal einen Querpass zum eigenen Keeper fast auf der Torlinie entlang – holla, die Waldfee.

Ansonsten zerren Stefaniak, Gogia, Berko, Aosman,Texeira und Heise immer wieder das Spiel vor des Gegners Strafraum, teilwese sehr schön anzusehen, doch am Sechzehner endet alle Herrlichkeit. Freistöße gibt es im Wechsel von 10, 16 oder 2, aber auch die gehen allesamt drüber oder daneben, wenn auch nicht schlecht geschossen.

Zweite Halbzeit: Hier eins, dort eins

Standards gegen Dynamo lassen einen immer die Luft anhalten. Gelegenheit für solche Atmungsstopper gibt es vor allem in der zweiten Halbzeit, in der immer wieder Freistöße im 25-bis-30-Meter-zum-Tor-Abstand für Bielefeld »produziert« werden. Gleich nach der Pause wird dann auch einer von Yabo ins Dresdner Tor gekickt – Abseits, aber hier sah man schon die Blaupause für den späten Ausgleich. Nur wenig später lässt wieder Yabo den heute nicht in Bestform spielenden Heise einfach stehen, zeigt sich vor dem Tor aber zu eigensinnig, weil er zwei gut stehende Mitspieler »übersieht« und aus spitzem Winkel knapp vorbeischießt.

In Minute 62 macht dann aber Marvin Stefniak das, was wir in den letzten Monaten so selten von ihm sahen: In Klassemanier lässt er einen Freistoß mit schön gebogener Flugbahn genau auf den Kopf von Jannik Müller fliegen, der wuchtig zur Führung köpft. Drei Tore in zwei Spielen – diesen Spirit darf der Verteidiger gern im August wiederfinden. Fast zeitgleich gehen die 1860er anderswo in Führung.

Jetzt kommt beim DSC der Torjäger a.D. Fabian Klos auf das Grün und eine wilde Fahrt kommt in Gang. Mehr mit Willen als mit Fußballkunst wollen die Blauhemden hier etwas erzwingen, und es benötigt eine vielbeinige und köperbetonte Abwehr sowie einen guten Wiegers, dass nichts Zählbares dabei herausspingt.
Dann die Spielentscheidung, also fast, also hätte müssen, das kann doch nicht ... Berko wird lehrbuchreif in der Schnittstelle angespielt, legt ebenso lehrbuchreif in den Rückraum ab, wo der Herr Heise ganz alleine ist. So einsam im Strafraum könnte man den Ball kurz annehmen, den Goalie ausgucken und das Ding versenken. Könnte man. Man kann aber auch sofort abziehen und knapp vorbeischießen. Leider kam Variante 2 zum Zuge. Derweil wird erst Akagi Gogia unter viel und kurz darauf Marvin Stafaniak unter stümischem Applaus ausgewechselt. Gänsehaut.

Mit Pascal Testroet und Niklas Hauptmann geht es weiter und noch immer hin und her. Alles scheint möglich, aber von allen Möglichkeiten ist der Ausgleich das, was kommt. Es musste natürlich ein Freistoß aus dem Halbfeld sein – eine Bielefelder Spezialität. Marco Hartmann hat nicht die richtige Distanz zu Julian Börner, der direkt vor dem Tor durch die Handschuhe von Wiegers köpfen kann.

Jetzt will trotzdem jeder noch gewinnen. Erst setzt sich Heise mit aller Wucht durch, macht es aber wie Yabo vorher – statt dem Pass zum Mitspieler vergibt er mit viel Punch und wenig Präzision. Fast im Gegenzug muss sich Wiegers fast 2,50 Meter lang machen, um einen abgefälschten Ball um den Pfosten zu wickeln.

Bevor aber nun vollkommen die spielerische Ordnung flöten geht, pfeift der Schiedsrichter, der einmal ruhig Elfmeter für Dynamo hätte geben können, ab. Jubel bei der Aminia, die letztendlich sogar mit einer Niederlage dringeblieben wäre, da die Münchner einmal mehr alles vergeigt haben. Durchpusten dagegen bei der SGD, deren Kicker von Rasen zu Rang noch eine Weile mit den Fans feierten. Das dürfen und müssen sie auch nach einer Saison voller Furor und wenigen Tälern. Am Ende stehen 50 Punkte und Platz 5, während die mit viel Geld gefütterten Investment-Löwen die innerbayrische Relegation spielen müssen. Ich persönlich hoffe auf den Jahn und nach zwei Saison-Niederlagen auf eine 1860er-Pause.

Karlsruhe Aftermath

Nun war zwar ligatechnisch die Saison beendet, aber ein Appendix der Spielzeit noch offen: die Aufarbeitung der Vorfälle beim Auswärtsspiel in Karlsruhe. Ich habe mich hier mit meinen persönlichen Befindlichkeiten dazu klar geäußert, die landesweite Presse hielt sich auch nicht zurück, die Ultras »sprachen« per Erklärung im Netz – nun musste sich auch die Vereinsführung erklären.

Am Montag Mittag saßen nun die Geschäftsführer Ralf Minge und Michael Born, Präsident Andreas Ritter sowie der Ehrenratsvorsitzende Dr. Klemens Rasel im Podium des prall gefüllten Presseraumes. Allein der Andrang der Kolleginnen und Kollegen war ein wenig befremdlich, da bei Terminen, in denen es um das Sportliche geht, oft weniger als ein Dutzend Menschen anwesend sind. Es geht also um Politik und Deutungshoheiten.

Es wäre jetzt müßig, alle Redebeiträge aufzulisten, denn eines machten die SGD-Vertreter klar: So geht es nicht. Und das richtete sich sowohl an die auffälligen Fangruppierungen als auch an den DFB. Vor allem Klemens Rasel, vom Beruf Anwalt, legte deutlich klar, in welch engen Grenzen sich ein Sportverein bewegt, wenn er Gewalttäter bestrafen will – es ist ohne die Unterstützung von Polizei, Justiz und Politik nicht möglich. Ralf Minge deutete etwas verklausuliert, aber deutlich verständlich an, dass er nicht auf alle Ewigkeit den Kopf für solche Aktionen hinhalten will. Die Folgen nun: Keine Auswärtsdauerkarten für die Ultras, mehr Maßnahmen zu Personalisierung der Tickets bis hin zum Einsatz von Vouchern, dazu eventuelle Verknappung oder Nichtinanspruchnahme der Auswärtskontingente. Dazu sollen, wenn es wieder zu einem Catering-Vorfall kommt, die Heimvereine keine Versorgung anbieten, Dynamo zahlt dann die Entschädigung aus einem Zwei-Euro-Auswärtsticket-Aufschlag, stellt aber eine Versorgung mit Wasser sicher.

Es wurde aber auch klar differenziert: So wurde der militärische Aufmarsch als nicht im Sinne des Vereins abgelehnt, aber auch klargemacht, dass das keine Straftat darstellt, die man sanktionieren sollte. Ebenso wurde erwähnt, dass die Karlsruher Polizei – nach dem es in Stuttgart so gut geklappt hatte – unbedingt einen Fanmarsch wollte, damit die Dresdner nicht alle vereinzelt in der Stadt unterwegs waren. Ein Einlasssturm war da natürllch nicht eingepreist. Und an der Stelle wiederhole ich mich ungern: Die Art des Aufzuges hat das dann Folgende bei einigen mitbewirkt. Naiv, wer anderes erwartet hatte.

Apropos Einlass: Hier gibt es von seiten der SGD die sinnvolle Forderung an den DFB, auch Dinge wie die Sicherheit und die Einlasssituation bei der Lizensierung zu berücksichtigen, schließlich können in Dresden die Ordner nicht so einfach überrannt werden, was eine Frage der Organisation ist. Und schließlich kann nur bei einem Sturm der Tore Pyrotechnik in großen Mengen ins Stadion gebracht werden.

Und nur, um es noch einmal klarzustellen: Die Maßnahmen zur Ticketpersonalisierung- und vielleicht auch -reduzierung gehen NICHT auf den Armyaufmarsch zurück, sondern auschließlich auf die kriminellen Vorkommnisse. Wenn der Verein nicht weiß, wer da unter seinem Fähnlein Straftaten begeht – egal in welchem Outfit –, hat er keine Handhabe, etwas dagegen zu unternehmen, wenn er von den Sicherheitsorganen im Stich gelassen wird.

Die wichtigste Botschaft aber ist: Sowohl Dynamo Dresden als auch Oberbürgermeister Hilbert wollen mit dem DFB auf eine Wiederaufnahme der unterbrochenen Kommunikation zwischen dem Verband und der Fanszene hinwirken, um den Kreislauf aus Provokationen auf der einen Seite und immer härteren Kollektivstrafen auf der anderen Seite zu durchbrechen. Das erfordert jedoch Krötenschlucken von allen Beteiligten, und, es ist wie bei jedem Mehrpersonen-Konflikt, die Hardliner aller Lager werden ordentlich Störfeuer aussenden, die »vereinsfernen« Ultras auf Hoolniveau sicher auch im Wortsinne.

Ich habe noch immer die Hoffnung, dass ein Großteil der Ultras das Wort Sportgemeinschaft ernst nimmt und versucht, gemeinsam mit Minge, Born, Ritter & Co. für mehr Fanrechte zu kämpfen. Aber dafür muss man auf derselben Seite der Barrikade stehen. Das ungenehmigte Banner und der Auftritt in Karlsruhe machen das schwieriger, schlicht, weil hier Vertrauen missbraucht wurde. Und das sollte man nicht einfach abtun und wegdiskutieren mit Dingen, die andere verbockt haben.

Nun ist etwas Zeit zum Nachdenken. Das DFB-Urteil kommt nach dem 31. Mai, wenn die SGD ihre Stellungnahme abgegeben hat. Die Schaffung einer Vollzeitstelle für die Begleitung der Auswärtspartien und die noch intensiveren Bemühungen zu deren Vobereitung sind ein Scheck auf die Zukunft. Ob der Dachverband das berücksichtig, ob er das Zeichen erkennt, dass die Solidarisierung mit den SGD-»Kriegern« auf knapp 20 Plätzen am letzten Wochenende aussendet, bleibt abzuwarten. Aber vielleicht wird die niedersächsische Relegation eine neue »Dimension« bereithalten. Hannover ist unterwegs ... in die eine wie in die andere VW-Stadt.

Was noch zu sagen wäre: Dem Trittbrettfahrereinschleimversuch von der spanischen Insel wurde eine deutliche Abfuhr aus dem K erteilt: »Bachmann, halts Maul«. Kussi dafür.
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. DSC Arminia Bielefeld
21. Mai 2017, Anstoß: 15.30 Uhr
Tore: 1:0 J. Müller (62.), 1:1 (84. Schütz)
Dynamo Dresden: Wiegers, F. Müller, J. Müller, Starostzik, Heise, Hartmann, Teixeira, Aosman (90. Kreuzer), Stefaniak (78. Testroet), Gogia (73. Hauptmann), Berko
Ohne Einsatz: Schwäbe, Lumpi, Landgraf, Hilßner
Schiedsrichter: Christian Dingert
Zuschauer: 30.530
www.dynamo-dresden.de