Friedlich schiedlich

Ein Remis nach großem Kampf am Millerntor

Normalerweise sollte hier rechts ein Foto vom Spiel der SG Dynamo Dresden gegen den FC St. Pauli zu sehen sein. Sollte. Stattdessen gibt es nur eine schwarze Lücke, eine der vielen Lücken, die der Fotograf und sehr geschätzte Kollege Frank Dehlis hinterlässt. Stets haben seine Fotos diese Kolumne bestens illustriert, beim Heimspiel gegen Duisburg war es jedoch das letzte Mal. Wie viele sicher wissen, weilt Frank seit letztem Mittwoch nicht mehr unter uns. Sein Schaffen in der dynamischen Gemeinde und weit darüber hinaus wird unvergessen sein. Das Montagsspiel in Hamburg hätte ihm viele gute Motive geliefert.

Erste Halbzeit: Whatta Aufgalopp!

Ein erster Blick ging auf die Gästetribüne: Etwa 700 statt 2.000 Dresdner Fans waren hier zu sehen, was zum einen des Montag-Abend-Termins geschuldet war, aber sich mehr noch der Voucher-Thematik. Ein zweiter Blick fiel auf die Startelf der heute in Gelbweiß spielenden Sportgemeinschaft: Hartmann UND Konrad! Hat Uwe Neuhaus eine Bollwerk-Mentalität entdeckt. Nein, das hat er nicht, aber den Gegner damit schon ein wenig überrumpelt. Dass Lucas Röser für Pascal Testroet auflaufen wird, war ja sicher, zumal der neue finnische Riese – kaum angekommen – infektiös darniederlag. Aber Marco Hartmann (statt Lumpi auf dem Rasen) quasi auf der 10? Es sollte sich auszahlen.

Vor dem Spiel hatte ich ehrlicherweise etwas Sorge, wie Dynamo die agile Hamburger Offensive um Sami Allagui und Aziz Bouhaddouz in den Griff bekommen würde. Doch diese Sorge war unbegründet, denn über 90 Minuten hinweg war von den beiden weitestgehend wenig zu sehen. Umso mehr drehte Dresden am Rad – von Minute eins an. War Rico Benatelli im letzten Heimspiel noch in einer Mal-so-mal-so-Form zu erleben, so entdeckte er am Millerntor den Drachen in sich: unermüdlicher Antreiber, Arbeiter mit Übersicht, trickreicher Zweikämpfer. Eine wahre Freude, der Mann!

Außen rackerten derweil Erich Berko und Patrick Möschl hoch nund runter. Ersterer brach bereits in den ersten Sekunden der Begegnung zentral durch, wurde jedoch gefoult, was für Bernd Nehrig ein sehr frühes Gelb bedeutets sowie Freistoß für Dynamo. Die Position war ziemlich genau jene, von der Philip Heise gegen Wolfsburg getroffen hat, schießen sollte jedoch Möschl – und das machte er richtig schlecht, meterweit drüber.

Nach sieben Minuten dann eine Kreuzer-Ecke, die Konrad per Kopf auf Hartmann weiterleiten, dem Kapitän mangelt es aber an den artistischen Fähigkeit, das zu verwerten. Aber Manuel Konrad. Immer wieder beweist er sein Talent als Kampfschwein, kann aber auch feine Seitenwechsel spielen. Vielleicht entwickelt er sich mit dem Vertrauen des Trainers ähnlich wie Florian Ballas, der in seinen ersten Spielen für die SGD ausreichend für Kopfschütteln und Panikattacken sorgte. Man darf gespannt sein. Kurz danach sieht übrigens auch Jannik Müller zeitig Gelb.

Ein Dutzend Zeigerumdrehungen sind gespielt, ohne Frage hat hier das Gästeteam das Sagen. Und nun wird es auch mal richtig schick: Konrad auf Möschl, der schickt Kreuzer, doch dessen Flanke findet keinen Mitspieler in der Mitte – ein Szenario, dass vor allem in der ersten Halbzeit mehrfach zu erleben war. Immer wieder fand sich Röser nicht in der Box, wo er hingehört, oder sein Laufweg war irrlichternd oder es hat am körperlichen Durchsetzungsvermögen gemangelt. Das war allerdings zu erwarten, denn als einziger Stürmer in einer für ihn neuen Liga muss er etwas Zeit bekommen.

Inzwischen hat Dynamo fast 70 Prozent der Spielzeit den Ball und sucht den Torerfolg. Den hat aber erstmal St. Pauli. In Minute 22 versucht sich Möschl an der Außenlinie in jugendlichem Überschwang gegen drei Hamburger, was ihm misslingt und sofort Folgen hat. Balleroberung, Pass auf Buchtmann, der „dank“ Möschl keinen Gegenspieler mehr hat, Linienlauf an der Strafraumgrenze, Kreuzer zu spät, Schlenzer, 1:0. Kleiner Fehler, große Wirkung, das können die Neuen hier anschaulich lernen.

Nun wichtig zu wissen: Zeigt die SGD in dieser Saison wieder jene Comeback-Kid-Qualitäten aus der vergangenen Spielzeit? Jaaaaaa! Und nur fünf Minuten später ist es soweit. Aus dem Hamburger Strafraum wird ein Ball zu kurz herausgeschlagen und landet an der Sechzehner-Grenze vor den Füßen von Benatelli. „Tanze Samba mir mir“, ruft der Rico den umstehenden Sanktpaulianern zu, die aber die Schrittfolge des Dresdners nicht ganz nachvollziehen können. Nun herrscht reichlich Wirrnis im Strafraum von Keeper Himmelmann, zumal Benatelli ein softigen Flachpass in die Nähe des Elfmeterpunktes tritt. Dort hat Marco Hartmann das Geschehen gut im Blick, weil er aber so allein ist, hat er sich ein Stehtischchen mit Kaffee und Torte kommen lassen. In Ruhe kann er alles verputzen, guckt dann auf den heranrollenden Ball, sendet einen mitleidigen Blick auf den gegnerischen Trowart und schiebt mit aller Weisheit und Ruhe das Runde in die rechte untere Ecke.

Bis zur Halbzeit wird sich nun am Gesamtbild nichts ändern: St. Pauli versucht es gelegentlich, am Drücker sind aber vor allem die Gelbhemden. Auf links Heise und Berko, auf Rechts das Dreieck Möschl-Kreuzer-Benatelli und immer wieder vorn zu finden: Hartmann. Hinten verrichten Sören Gonther und Jannik Müller ein routiniertes Tagwerk mit dem – wie erwähnt – ackernden Konrad vor der Nase.

Und Lucas Röser? Der hat kurz vor dem Pausenpfiff doch noch die Chance: Wieder einmal findet Benatelli Berko, der den Lucas nicht haut, sondern findet, weil der Stürmer diesmal die richtige Überraschungsroute läuft, allein der Winkel ist am Ende etwas spitz und Himmelmann zu gut.

Zweite Halbzeit: Geteilte Freud, geteiltes Leid


Fünf Minuten passiert fast nichts, dann – so fürchtet man es – läuft Bouhaddouz allein auf Marvin Schwäbe zu. Aber nur fast. Denn zu sehen, wie Sören Gonther hier noch einen Fuß dazwischen bekommt, dafür hat sich seine Verpflichtung jetzt schon gelohnt. In der 57. Minute bekommen dann Berko und Hartmann eine halbgare Situation nicht zu Ende gespielt, und kurz danach geht die bis dahin sichtbare Überlegenheit mehr und mehr verloren. Erstes Anzeichen ist ein schlechtes Schwäbezuspiel auf den sich schon in Bedrängnis befindlichen Benatelli, der versucht, auf Konrad zu spielen. Das geht gründlich schief, doch der Dresdner Keeper vernichtet den folgenden strammen Schuss von Möller Daehli.

Kurz darauf muss Marco Hartmann dem Viellaufen Tribut zollen und geht vom Platz. Für ihn kommt Florian Ballas und Jannik Müller rückt vor auf die 6, Gonther trägt nun die Binde und ist schon wieder Kapitän auf St. Pauli.

Doch jetzt kommt die Heimelf und drückt wie der Sparfuchs den Rest aus der Zahnpastatube. Noch einmal Möller Daehli, noch einmal Schwäbe. Von wegen: Ein Schwäbe macht noch keinen Sommer! Oder doch nicht? Denn kurz bevor die Minutenuhr 70 anzeigt, wird Buchtmann zentral freigespielt, hat Zeit, Übersicht wie auch Härte und jagt den Ball mit Linkseffet tormittig unter die Latte. Schwäbe sieht da etwas komisch aus, kann aber nichts machen, weil er das Runde, das durch mehrere Beine segelt, sehr spät sieht. Und nun?

Nur 120 Sekunden später steht es 3:1. Fast. Der Linienrichter sieht den torlupfenden Allagui knapp im Abseits, vielleicht wollte er auch nur dem Spiel nicht die Spannung nehmen. Wir sind parteiisch und sehen mit dynamischen Augen ein glasklares Abseits, darauf hoffend, dass sich das in der Saison nicht ausgleicht.
Fast im Gegenzug beweist sich Uwe Neuhaus ein weiteres Mal als Trainerfuchs, denn der Neusechser Jannik Müller sieht links vom Hamburger Strafraum Heise und spielt einen milimetergenauen Pass zwischen zwei Gegnern hindurch auf den auch heute wieder extrem agilen Außenverteidiger. Der wiederum zieht brachial ab, so scharf, dass Himmelmann den Ball nicht festhalten kann – und dann, endlich, steht Lucas Röser dort, wo er hingehört: in the middle of the Stürmers universe. Im Wortsinne kniet er sich und den Ball aus Nahdistanz über die Linie.

Damit ist diese Begegnung quasi zu Ende. Sicher, es wird noch gespielt, also eher gekämpft. Es wird gerungen, es gibt Krämpfe und Wechsel. Aber Entscheidendes passiert bis zum Ende nicht mehr. Aufregung nur noch in der Nachspielzeit abseits des Feldes, als sich Uwe Neuhaus kurzfristig entscheidet, für die letzten Sekunden Lumpi statt den im Trikot bereitstehenden Aosman einzuwechseln, weshalb letzterer mal wieder einen filmreifen Ausraster hinlegt. Ach, Aias ...

Fazit: Im Nachinein scheint es, als wäre nichts logischer gewesen als diese Punkteteilung. Allerdings liegt die Freude über den einen Zähler eher bei Dynamo wie auch das Leid eben bei St. Pauli. Gesehen haben wir auf jeden Fall ein Zweitligaspiel der besten Sorte – und eine Dynamo-Mannschaft, die jetzt schon vielversprechend anzusehen ist. Was erst, wenn sie noch besser zusammenwächst, die Neuen sich mehr eingewöhnt haben, die Genesenen zu alter Form finden und Hauptmann wieder da ist? Wir werden es sehen. Frank Dehlis leider nicht mehr. R.I.P.
Uwe Stuhrberg

FC St. Pauli vs. SG Dynamo Dresden

7. August 2017, Anstoß: 20.30 Uhr
Tore: 1:0 Buchtmann (22.), 1:1 Hartmann (29.), 2:1 Buchtmann (69.), Röser (73.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer (85. F. Müller), J. Müller, Gonther, Heise, Konrad, Hartmann (63. Ballas), Benatelli, Möschl (90.+3. Lumpi), Berko, Röser
Ohne Einsatz: Schubert, Aosman, Horvath
Schiedsrichter: Guido Winkmann
Zuschauer: 28.699
www.dynamo-dresden.de