Einsamkeit und Sex und Mitleid

Ein skurriler Film - frei nach Helmut Krausser

Ecki hat einen Papageien, eine aufblasbare Sauna und mag Kartoffelchips, aber nur die von Kettle. Er war mal Lehrer und zwar ein verdammt guter, bis eine pubertierende Schülerin behauptet hat, er hätte sie angegrapscht. Doch das ist eine dreiste Lüge und er sieht sich als das eigentliche bemitleidenswerte Opfer, deshalb will er jetzt Rache. Die pubertierende Schülerin heißt übrigens Swentja und hat gerade Mahmud kennengelernt, der sie für 100 Euro lecken will. Mahmud findet Swentja eigentlich ganz süß, aber mit einem deutschen Mädchen was anfangen, das geht gegen seine Religion. Also dann eben gegen Bezahlung, dann wird das schon in Ordnung sein.

Für Johannes hingegen geht gerade nichts mehr so richtig klar, er liebt Jesus, doch Swentja liebt er noch viel mehr und hat sich mit seiner Hand schon in ihren Geburtskanal vorgetastet. Das finden die Oberhäupter seiner Kirche jedoch nicht sehr prickelnd, denn ihrer Meinung nach dient Sex einzig und allein der Produktion von Kindern und ist nur in der Ehe gestattet. Wer sich als heranwachsender Junge einen Porno reinzieht und sich dabei einen runterholt, gehört ausgepeitscht, so sieht das zumindest die Mutter von Johannes. Auspeitschen und vieles mehr, das machen auch Vivien und Vincent, wenn sie dafür bezahlt werden. Außerdem führen sie eine moderne Escort-Service-Beziehung. Vivien liebt Vincent und Vincent liebt Vivien und beide lieben Weiß, aber mit anderen geschlafen wird nur aus beruflichen Gründen und unter strengen Regeln. Eine davon: Abgespritzt wird für Vincent nur im eigenen Bett. Freierin Julia, die sich gerade von ihrem Mann Uwe getrennt hat und ganz genau weiß, was und wie sie es will, ist davon jedoch nicht sehr begeistert. Ihr Ex-Mann Uwe weiß auch so einiges, besonders über Gin, Gesundheit und Datingportale.

Als „Bandbeschleuniger XL“ lernt er „Nixe 74“ alias Künstlerin Janine kennen, die Menschen anmalt und anschließend fotografiert. Robert, eines ihrer Modelle, liebt seine Bienen und eigentlich auch Männer. Seine Frau Maschjonka ist Veganerin und fest davon überzeugt, dass Robert keine Struktur mehr hat und seine Bienenzucht auch nur Tierquälerei ist. Zu guter Letzt sind da noch Thomas und Carla - Vollblutnazis, nein nicht ganz korrekt, sie haben einfach nur was gegen Ausländer. Thomas ist Bulle und ein echter Mann, der keine Angst vor niemanden hat und besonders nicht vor Leuten mit Migrationshintergrund. Er ernennt sich selbst zu Carlas Beschützer, doch die kann eigentlich auch ganz gut für sich alleine sorgen und isst am liebsten Fisch. Übrigens hat Thomas Mahmud verprügelt.

Klingt alles komplizierter und verstrickter als es eigentlich ist. In seinem Kinodebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ hat Lars Montag nicht nur die 36 Charaktere aus Helmut Kraussers gleichnamigen Roman drastisch reduziert, sondern führt die 13 übriggebliebenen Figuren geschickt und häppchenweise ein, damit der Zuschauer nicht überfordert, sondern einfach nur von der genialen Dramaturgie umgehauen wird. Dieser Film übertrifft wirklich alle Erwartungen und räumt mit jeglichen Klischees der deutschen Filmindustrie auf. Es ist fast schon unbegreiflich, dass dieses Kunstwerk wirklich ein deutscher Film sein soll. Eine großartige Mixtur. „Nynphomaniac“ meets deutsche Mittelschicht, politisch-kritischer Kontext meets rabenschwarzer Humor, Einzelkämpfer meets Familienmensch, Nazis meets Immigranten, Jung meets Alt, Einsamkeit meets befriedigende Zweisamkeit, Ehemänner meets Ehefrauen und am Ende bemitleiden sich alle einfach selber.

Einsamkeit und Sex und Mitleid für das deutsche Vaterland, danach lasst uns alle streben. Lars Montag hat mit seinem Filmtitel imaginär die Nationalhymne umgeschrieben und der Realität angepasst. Ein skurriler Film, der manchmal vielleicht etwas absurd wirkt, aber wenn man genauer darüber nachdenkt, sehr realitätsbezogen ist.
Felicitas Galinat

Einsamkeit und Sex und Mitleid Deutschland 2017; Regie: Lars Montag
Mit Bernhard Schütz, Friederike Kempter, Katja Bückle und Eva Löbau
Zu sehen im Programmkino Ost und in der Schauburg