Neue Frauen braucht das Land

Interview mit Regisseur Torsten Körner zu seinem Film »Die Unbeugsamen«

Torsten Körner wurde 1965 in Oldenburg geboren. Er studierte Germanistik und Theaterwissenschaft, ist Journalist, Autor und Dokumentarfilmer. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat er zahlreiche Bücher über bedeutende Männer aus Kultur, Sport und Politik der deutschen, vor allem der westdeutschen Geschichte geschrieben, dann 2016 zunächst einen Film über eine Frau (»Angela Merkel – Die Unerwartete«) und nun einen über Politikerinnen der Bonner Republik (»Die Unbeugsamen«) gedreht und Letzteren auch gleich noch ein Buch (In der Männerrepublik: Wie Frauen die Politik eroberten) gewidmet. Angela Stuhrberg hat für die SAX mit dem Autor und Regisseur gesprochen.

SAX: Was hat Sie dazu gebracht, sich nach den vielen Männer-Büchern filmisch den Frauen in der Politik zuzuwenden?
Torsten Körner: Mir ist gar nicht aufgefallen, dass die Protagonisten meiner Bücher fast ausschließlich männlich waren. Vielleicht war das ja ein Teil meiner männlichen Blindheit. Das hing immer damit zusammen, dass das Figuren meiner Kindheit und Jugend waren. Heinz Rühmann, Franz Beckenbauer, ich habe leidenschaftlich Fußball gespielt, Götz George, eine richtige Identifikationsfigur für westdeutsche Jugendliche.

SAX: Eine der größten Ikonen der westdeutschen Gesellschaft, die Sie in einem Buch porträtiert haben, war Willy Brandt…
Torsten Körner: Mich haben immer diese Ikonen interessiert, wofür stehen die, für welche Wünsche und Sehnsüchte, für welche kollektiven Mentalitäten. Bei dem Buch über Brandt wollte ich eigentlich die ganze Familie in den Blick nehmen, wurde allerdings durch diese Gravitation von Willy Brandt immer wieder auf den Mann selbst zurückgeführt. Ich habe da schon mit vielen Politikerinnen, Journalistinnen, Frauen von Politikerinnen gesprochen, die wahnsinnig interessante Geschichten über die Bonner Republik zu erzählen hatten, und ich fand auch, dass diese Frauen einen anderen, einen angenehmeren Blick auf die Wirklichkeit und die Machtprozesse haben, als die Männer. Ich bekam Lust, diese Geschichten der Frauen der Bonner Reublik zu sammeln. So bin ich zu dem Buch und letztendlich auch zu dem Film gekommen.

SAX: Gleich zu Beginn des Films sagt die 1949 geborene CDU-Politikerin Renate Hellwig, dass sie von ihrem Vater immer gehört hat »Mädel lern nicht so viel, du bekommst keinen Mann«. Für Frauen, die in der DDR aufgewachsen sind, studiert haben, ein sehr merkwürdiger Satz.
Torsten Körner: Meine Eltern sind 1960 aus der DDR geflohen, mein Vater hatte noch in Leipzig studiert, und meine Mutter hat immer darunter drunter gelitten, dass sie die formale Bildung nicht hat nachholen können. Bis in die 1970er Jahre mussten Frauen in Westdeutschland ja sogar noch ihre Ehemänner fragen, ob sie eine Stelle annehmen dürfen, da war die Benachteiligung im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. In meinem Heimatdorf gab es eine Kommunalpolitikerin. Aber Frauen und Politik, das war seltsam verdächtig zu dieser Zeit.

SAX: Weite Teile des Films befassen sich mit der Situation im Bundestag in den 1980er Jahren. War Ihnen als junger Mann klar, welche Kämpfe die Frauen dort auszufechten hatten?
Torsten Körner: Richtig bewusst geworden, ist mir das erst nach der Wende. Meine Generation dachte, und das war natürlich ein Trugschluss, dass die Gleichberechtigung schon irgendwie erreicht sei. Von den Schlachten, die die Frauen in den Parlamenten schlugen, habe ich nichts mitbekommen. Es war bei mir eher eine Abneigung gegen machvolle Männer in Staat und Kirche und ihr Tun, weniger ein bewusstes Reflektieren, dass Frauen unter dieser Situation leiden. Das Buch und der Film waren deshalb für mich eine echte Entdeckungsreise. Dieser Sexismus der ihnen da entgegenschlug, war schon beschämend für das eigene Geschlecht. Was mich aber fast noch mehr erschüttert hat, war: Die ganze Bundesrepublik bestand auf der unausgesprochenen Verabredung, dass Frau nicht Bundeskanzler kann, das war wie ein Naturgesetz. Und mit dem gleichen Gestus ist man auch an Angela Merkel rangegangen. Und dann der Gedanke, dass man als junger Mann auch Teil dieser Verabredung war, weil man selbst auch nicht an Frauen in politischen Spitzenpositionen gedacht hat. Der Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 war ermutigend für eher links empfindende junge Menschen wie mich, aber auch da war der Blick verengt durch Männer wie Otto Schily und Joschka Fischer.

SAX: War es schwierig, Unterstützung für ein Projekt wie dieses zu finden?
Torsten Körner: Die Produktionsfirma Broadview TV mit Leopold Hoesch und die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen waren sofort sehr offen für das Thema und fanden es spannend. Dass ich einen Film nur aus dem Blickwinkel von Frauen machen will, war immer klar. Die Geschichte der Bundesrepublik ist immer von Männern erzählt worden, und ich fand es nur gerecht, dass ich das mal umgekehrt mache und nur Frauen vor die Kamera hole. Und dann haben wir uns auf die Suche nach Zeitzeuginnen begeben.

SAX: Sie haben mit Frauen aus allen politischen Lagern gesprochen. Gab es Überraschungen?
Torsten Körner: Mich überraschte schon, dass ich mit einer CDU-Politikerin wie Renate Hellwig so offen reden konnte, das hätte ich mir in den 1980ern nicht vorstellen können. Die gehörte damals zur Wahlkampfmannschaft von Franz Josef Strauß, für junge Linke das Feinbild schlechthin. An Christa Nickels von den Grünen erinnerte ich mich noch aus meiner Jugend, dass die so kraftvoll und witzig ist, war toll zu erleben. Und Ursula Männle war großartig, sie ist neben Nickels diejenige, die sich vielleicht am meisten geöffnet hat, da fühlt man eine innere Lebendigkeit, und auch, dass die Kämpfe mit den Männern in dieser CSU immer noch in ihr arbeiten.

SAX: Warum haben sie sich gegen Kommentare und stattdessen für die Unterteilung in 12 thematische Kapitel entschieden?
Torsten Körner: Einerseits komme ich vom Schreibtisch, und das Einteilen in Kapitel gibt einem als Buchautor eine gewisse Sicherheit. Andererseits merkte ich zusammen mit meiner Editorin Sandra Brandl, dass wir einen Essay-Film machen wollten, der zwar ein großes Thema hat aber verschiedene Kapitel aufmacht. Durch die Überschriften hat der Film eine Struktur und ist gleichzeitig offen. Mir haben Überschriften im Kino schon immer gut gefallen, etwa bei Éric Rohmer oder Quentin Tarantino, das habe ich nie als etwas Nicht-filmisches, Nicht-cineastisches verstanden. So konnten wir Kapitel wie »Petra & Hannelore« oder »Papa«, die kleine Exkurse sind, organisch in die Filmerzählung einbetten.

SAX: Stichwort »Petra & Hannelore«. Was hat Sie an dieser Kombination gereizt?
Torsten Körner: Eine der größten Überraschungen während der Arbeit am Film war, wie sich für mich das Frauenbild von Hannelore Kohl geändert hat. Man kannte sie seinerzeit als Teil dieser konservativen Bilderbuch-Vorzeige-Familie, und schon damals als Jugendlicher empfand man das als seltsam falsch. Als ich dann viel Archivmaterial von Hannelore Kohl schaute, habe ich eine ganz selbstbewusste, starke, kluge, schlagfertige Frau entdeckt, die natürlich darunter gelitten hat, dass sie immer angefeindet wurde als Frau von Kohl. Da ist bei mir nicht nur Mitgefühl, sondern auch Wertschätzung entstanden, zumal wenn man sieht, wie arrogant und herablassend sie in TV-Interviews von Journalisten behandelt wurde. Beide, die Grüne Petra Kelly und Hannelore Kohl, sind für mich ein Stück weit Opfer dieses männlich geprägten Machtbegriffs, weil beide auf ihre eigene Art und Weise daran zerschellt sind, wie die Bonner Politik geprägt war, von Freund-Feind-Denken und persönlichen Auseinandersetzungen. Das war ein Politikstil, mit dem beide nichts anfangen konnten. Da waren sie sich dann doch ähnlicher als man dachte. Eigentlich hätte man aus diesem Kapitel einen 90-Minuten-Film machen können.

SAX: Wir haben seit 15 Jahren eine Bundeskanzlerin. Ist damit alles gut?
Torsten Körner: Angela Merkel sagt ja selbst, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Die lange Amtszeit der Bundeskanzlerin ist natürlich kein Anzeichen dafür, dass Gleichberechtigung in der Politik auf Dauer gelungen wäre. Der Frauenanteil im Bundestag ist zurückgegangen, in den meisten Länderparlamenten ebenfalls oder er stagniert. Bei der AfD und Populisten weltweit herrscht ja das Denken vor, dass Frau wieder traditionelle Rollen zu übernehmen hat. Ich sehe da insgesamt einen globalen Backlash. Ich glaube tatsächlich, dass wir eine lebendigere Demokratie hätten wenn es mehr Frauen in Führungspositionen gäbe, nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft, wenn Männer und Frauen gemeinsam entscheiden würden, statt nur der einsame Mann auf dem Feldherrenhügel. Neue Frauen braucht das Land!

SAX: Sind Quoten ein geeignetes Mittel, Frauen in Führungspositionen zu bringen? Selbst CDU-Frauen denken inzwischen darüber nach, vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar.
Torsten Körner: Absolut. Ich bin absolut für die Quote, als ein Instrument.

SAX: Das 12. und letzte Kapitel widmet sich einer Frau, die nicht von der Bonner Republik geprägt ist, der ersten deutschen Bundeskanzlerin.
Torsten Körner: So wenig ich parteipolitisch mit diesem Lager anfangen kann, nimmt es mich doch für diese Frau und Kanzlerin ein, dass sie es gegen diese lange wirkenden Ressentiments geschafft hat, Kanzlerin zu werden und zu bleiben. Mich würde auch sehr interessieren, wie die Ostfrauen, die im ersten gesamtdeutschen Bundestag saßen, auf diese alte Bonner Republik geblickt haben, aus einer ganz anderen Gesellschaft kommend, die einerseits keine freiheitliche Gesellschaft war, aber doch den Frauen zumindest nominell mehr Gleichberechtigung eingeräumt hat und ihnen im Arbeitsalltag auch mehr Gleichberechtigung verschaffte. Ich habe das im Kopf schon immer als Trilogie gedacht. Die Bonner Republik wäre der erste Teil, die Ostfrauen im gesamtdeutschen Parlament der zweite und der dritte Teil wäre die Situation in der Gegenwart.

Die Unbeugsamen BRD 2020, Regie Torsten Körner
Zu sehen ab dem 26. August im Programmkino Ost
www.dieunbeugsamen-film.de

Die Unbeugsamen
Deutschland 2020 • Regie: Torsten Körner

In seinem neuen Dokumentarfilm führt uns Torsten Körner zurück in eine seltsam fern scheinende Zeit, in die Jahre der Bonner Republik. Über Jahrzehnte war der Bundestag ein Männerklub, in dem Frauen meist nur einen Platz am Katzentisch zugewiesen bekamen. Der Film erzählt von jenen Frauen, die sich ihre Beteiligung an den demokratischen Entscheidungsprozessen gegen erfolgsverwöhnte und amtstrunkene Männer erkämpfen mussten, etwa von Pionierinnen wie Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, als Gesundheitsministerin in den 1960ern die erste Frau als Chefin eines deutschen Bundesministeriums. Sie wird in einem alten TV-Interview gefragt, wie denn nun ihre Anrede sei: Frau Minister oder Frau Ministerin? Darauf sie mit nachsichtigem Lächeln: »Ich meine Frau Ministerin, da ich eine Frau bin, und da die deutsche Sprache zwei Formen, eine weibliche und eine männliche, für derartige Worte hat.« Manche dieser Archiv-Schnipsel wirken wie ein Loriot-Sketch.

In den 1980ern stieg der Frauenanteil im Bundestag erstmals über 10 Prozent. Eine Offenbarung sind die spannenden oft witzigen Interviews mit Frauen aus unterschiedlichsten politischen Lagern, die ihn zu dieser Zeit eroberten, wie Ursula Männle (CSU), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD), Rita Süßmuth (CDU) oder Christa Nickels (Grüne). In ihren Erzählungen und in Aufnahmen aus Bundestagsdebatten wird deutlich, welcher heute kaum noch vorstellbaren Häme, welchem unverblümten Sexismus sie ausgesetzt waren. Auch die Frauen in der DDR-Volkskammer hatten nicht viel zu melden, die dreiste Überheblichkeit die den westdeutschen Politikerinnen von ihren männlichen Kollegen entgegenschlug, welche ihre sicher geglaubte Allmacht schwinden sahen, werden aber wohl vor allem Ostfrauen mit ungläubig-entsetztem Staunen betrachten.

Torsten Körner verzichtet auf einordnende OFF-Kommentare und verlässt sich ganz auf die mit Archivbildern klug montierten Aussagen seiner Protagonistinnen. Sein Film gibt Hoffnung, darauf, dass sich die Welt zum Besseren ändert, weil er zeigt, wie viel sich in den letzten drei Jahrzehnten verändert hat. Und doch: Angesichts von #MeToo, Gender- und Quoten-Debatten oder neuem Sexismus gegenüber Politikerinnen, nicht nur von Populisten, wird klar, welche Kämpfe noch vor den Frauen liegen. Deshalb gilt noch heute das, was die FDP-Politikerin Marie-Elisabeth Lüders 1958 in einem Interview am Anfang des Films zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau sagt: »Na zum Teil ist sie erreicht, zum anderen noch nicht. Und wenn die Leute nicht weiterkämpfen, werden sie das, was sie haben, wieder verlieren«.
Angela Stuhrberg