Bittere Satire über den deutschen Mann

»Der Untertan« im Schauspielhaus

Heinrich Manns vor dem Ersten Weltkrieg entstandener satirischer Roman »Der Untertan« gehörte bis in die späte DDR ganz selbstverständlich zum Schul-Lehrstoff und handelte von einer Zeit, die im antifaschistischen Deutschland längst vergangen schien. Beim Feind hinter dem Eisernen Vorhang verortete man weiter latenten Militarismus und Exemplare des Durchschnittsdeutschen, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Im Lande des neuen sozialistischen Menschen konnte es so einen obrigkeitshörigen, reaktionären Typen gar nicht geben. Wolfgang Staudtes berühmter Film von 1951, ebenfalls

Pflichtprogramm in den Schulen, trug mit seiner Darstellung der vermufften wilhelminischen Atmosphäre der Kaiserzeit dazu bei, den Inhalt in eine ferne Vergangenheit zu delegieren. Was betrafen mich diese überzeichneten Lehrerkarikaturen, diese militanten Obrigkeiten, geschäftlichen Intrigen und das private Umfeld eines deutschen Spießers, der skrupellos am eigenen, gesellschaftlichen Aufstieg arbeitete und Schwächere erniedrigte?

In der BRD, die in den 1950er Jahren über die Wiederbewaffnung stritt, traf Staudtes Film einen Nerv. Er fiel unter die Zensur und durfte lange nur in geschlossenen Veranstaltungen gezeigt werden. Erst zwanzig Jahre später lief er in voller Länge im Fernsehen. Gerade jetzt, da man sich auf Dresdner Straßen gern wieder zu Marschblöcken formiert, mit Fahnen und Militäraccessoires schmückt und auch mal Jagd auf Schwächere macht, kommt »Der Untertan« in einer Spielfassung von Jan-Christoph Gockel und Julia Weinreich nun auf die Bühne des Schauspielhauses.

Das Theater verhandelt unterschiedliche Interessen

Staatsschauspiel-Intendant Joachmin Klement hatte für die beginnende Spielzeit einen Schwerpunt der Gegenwartsdramatik angekündigt: »Das Theater verhandelt unterschiedliche Interessen und widersprüchliche Meinungen, die sich immer um die Frage drehen, wie wir unser Zusammenleben in Zukunft gestalten wollen … Einfache Wahrheiten gibt es nicht – nur die Übereinkunft, dass der Mensch und das Prinzip der Menschlichkeit unantastbar sind.« Ausgangspunkt ist auf der Bühne meist jedoch das Gegenteil: Die Hauptfigur, der Untertan, ist bei Heinrich Mann Diederich Heßling – ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.

Drangsaliert vom Vater wie von Lehrern und durch die Mühle der Vorkriegszeit gedreht mit Studentenvereinigung und Militärdienst, ist er im Innersten ein Versager. Doch als Patriot und glühender Anhänger Kaiser Wilhelm II. findet er seinen Platz in der Gesellschaft und steigt auf. Sein Leben wird zum Prototypen des autoritätsgläubigen, deutschen Spießbürgers, der seinen gesellschaftlichen Erfolg auf Doppelmoral und Nationalismus begründet. Kurt Tucholsky rühmte den Roman als »Enthüllung des deutschen Seelenzustandes« und schrieb über diesen Untertan: »Hier ist er ganz, in seiner Sucht, zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Rohheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolgsanbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit.« Ein Prototyp, der als Folge einer gescheiterten Revolution 1845 in Deutschland betrachtet werden kann und als Kind eines Kaiserreiches, das – erfasst vom nationalen Größenwahn – Europa in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und weitere Katastrophen des 20. Jahrhunderts führte.

Der deutsche Untertan
 
»Heute sind die Fürsten lange fort. Und der deutsche Untertan? Gibt es ihn noch?«, fragt das Theater in der Ankündigung der Inszenierung. Regisseur Jan Christian Gockel (er studierte Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und arbeitet seit 2009 als freier Regisseur) hat sich mit deutschen Vorkriegsstimmungen bereits in seiner ersten Dresdner Regiearbeit »Parole Kästner« auseinandergesetzt. Seinen Untertan spielt Jannik Hinsch, ein sehr junger Schauspieler aus dem Dresdner Schauspielstudio, der erst seit der Spielzeit 2017/2018 festes Ensemblemitglied in Dresden ist. Gedoppelt wird er von einer Puppe, die der Puppenbauer- und Spieler Michael Pietsch einbringt. Im Trailer zum Stück verwandelt sich Jannik Hinsch mit passendem Haarschnit, Schnurrbart und Schmiss im Gesicht schon mal in einen mir unsymphatischen, widersprüchlich wirkenden Typen. »In dieser Sache denken wir alle national« ist ein Zitat aus dem Roman.
Isolde Matkey

Der Untertan
Nach einem Roman von Heinrich Mann, Regie: Jan-Christoph Gockel, Schauspielhaus
www.staatsschauspiel-dresden.de