Musik in der DNA

Ein SAX-Gespräch mit der Musikerin Judith Beckedorf

Aufgewachsen in Winsen an der Luhe, nahe Hamburg, kommt Judith Beckedorf mit der Mission »Akustische Gitarre« nach Dresden zum Studium an die Musikhochschule. Inzwischen ist sie fest verankert in der hiesigen Musikszene, sowohl solo als Gitarris-tin wie auch als Mitglied des Trios Standard Crow Behavior, das am 19. Juni in der Tonne spielen wird. Uwe Stuhrberg traf sich mit Judith Beckedorf zum Interview.

SAX: Du hast im Jahresabstand zwei Alben veröffentlicht: Fast pünktlich zum ersten Lockdown das Solo-Debüt »Behind The Blue Sea«, vor wenigen Wochen erschien dann der erste Longplayer des Trios Standard Crow Behavior unter dem Titel »Talking To Space«.
Judith Beckedorf: Vom Gefühl her war das Jahr vorbei wie ein Fingerschnippen, obwohl in dieser Zeit ganz viel passiert ist. Grob zusammengefasst kann ich sagen: Es war spannend und keineswegs langweilig. Am Anfang war ich natürlich sehr geknickt, denn so vieles, was geplant war, musste verschoben werden oder fiel aus.

SAX: Hast Du überlegt, das Erscheinen von »Behind The Blue Sea« wegen der Corona-Situation aufzuschieben?
Judith Beckedorf: Die Planungen gingen schon Monate vorher los, zudem habe ich zum ersten Mal mit einem Label, Timezone, zusammengearbeitet. Das Album war auch schon fertig, nur die offizielle Veröffentlichung hatten wir auf den Mai 2020 verschoben, um danach eine Releasetour planen zu können. Das hat dann natürlich durch Corona nicht funktioniert. Klar war ich da traurig, habe das dann aber so angenommen.

SAX: Du hast dann ein Online-Konzert zum Erscheinen des Albums gespielt.
Judith Beckedorf: Ja, das war schon etwas Besonderes. Ich saß in meinem Wohnzimmer, habe gespielt und die Kommentare verfolgt. Da waren Menschen aus ganz Europa und den USA dabei. Im Chat hat man sich ausführlich ausgetauscht, und diese Interaktionen hätte es so nie ohne dieses Youtube-Konzert gegeben. Es war für mich eine schöne Entdeckung, wie man sich so verbinden kann.

SAX: Du bist ein Drittel der Band Standard Crow Behavior, deren erster Longplayer »Talking To Space« im April dieses Jahres erschien. Habt ihr dafür die Corona-Konzertpause genutzt?
Judith Beckedorf: Das Album wurde schon im Februar 2020 aufgenommen. Wir waren zum ers-ten Lockdown fertig, nur ein paar Mixing-Sessions mussten erst mal ausfallen, weil unser Mann im Studio ziemlich krank wurde. Damals war man bei jeder Erkältung sehr vorsichtig, Tests gab es noch nicht. Der Release des Trio-Albums war dann für September 2020 geplant. Mitte des vergangenen Jahres entschieden wir dann, den Termin auf April 2021 zu verschieben, weil wir uns – wie fast alle anderen auch – sicher waren, dass dann alles wieder geht. Der Vorteil war, dass wir für den finalen Mix ein halbes Jahr mehr Zeit hatten.

SAX: Du bewegst dich als Musikerin im weiten Feld der akustischen Gitarre. Während viele sich auf die reine Instrumentalkunst fokussieren, hast du dich auch als Sängerin und Texterin profiliert. Wie war dein Weg vom Instrument zum Song?
Judith Beckedorf: Bei mir ging es als Kind mit der Blockflöte los, später kam das Klavier hinzu, weil meine Mama eine sehr gute Pianistin ist. An der Gitarre bin ich eigentlich eine Späteinsteigerin. Bei uns zu Hause lag eine rum und mein Bruder spielte darauf hin und wieder. Als kleine Schwester wollte ich das auch und bin dann dran geblieben, da war ich 14. Genau zu der Zeit ging mein großer Gitarrenheld Tommy Emmanuel auf Youtube durch die Decke. Da war ich endgültig für das Instrument eingefangen. Richtig entwickelt hat sich mein Songwriting aber erst, als ich ein Jahr in Nashville war.

SAX: Wann war für dich klar, dass das schöne Hobby auch der Beruf werden soll?
Judith Beckedorf: Mein Elternhaus ist sehr akademisch. Es war also klar, dass ich etwas Gescheites studieren sollte. Nun kann ich zwar viele Sachen ganz gut, aber was ich richtig gut kann, sind Sport und Musik. Für eine Sportlerin war es wohl schon zu spät und für die Musik fand ich mich so an der Grenze. Also habe ich in Hannover das auf Lehramt studiert, was ich beim Abi am besten konnte: Mathe und Physik. Im Nachhinein wäre ein Freiwilliges Soziales Jahr besser für mich gewesen. Während des Studiums kam dann aber doch die Entscheidung für die Musik und ich bewarb mich für Aufnahmeprüfungen.

SAX: War Dresden mit Thomas Fellow dein Wunschzielort?
Judith Beckedorf: Auf jeden Fall. Meine Gitarrenlehrerin kannte Thomas Fellow auch und hat mich richtig heiß gemacht, bei ihm zu studieren. Parallel bewarb ich mich in Hamburg für klassische Gitarre und in Hannover für Jazzgitarre. Angenommen wurde ich überall, aber in Dresden muss man sich nicht für Jazz oder Klassik entscheiden, weil man – je nach Ansicht – beides macht oder beides nicht macht.

SAX: Du hast den Sport erwähnt. Gespielt hast du unter anderem Handball. Eine weitere Sportart, die dich begeistert, ist Ultimate Frisbee, das auch hier in Dresden betrieben wird. Stimmt es, dass du sogar in der Nationalmannschaft warst?
Judith Beckedorf: Ja. In Dresden existiert mit dem Drehst'n Deckel e.V. sogar einer der ältesten Vereine in Deutschland. Ausprobiert habe ich das bereits in der Schule. In Dresden war klar, dass ich als Musikstudierende nicht wieder Handball spielen kann, also habe ich mir die Uni-Sportliste angesehen und Ultimate Frisbee entdeckt. Von dem Kurs bin ich 2014 zum Verein gekommen und ein Jahr später vom Verein ins Nationalteam.

SAX: Wie bist du als Norddeutsche in Dresden angekommen?
Judith Beckedorf: Das ging fix. An der Musikhochschule ist man als Neue ja eine von vielen Neuen, da vernetzt man sich schnell, und durch den Sport hatte ich noch ein zweites Netzwerk. Dresden war für mich angenehm bodenständig und in einem guten Sinne auch langsam. Ich mag das. Ich könnte mir nie vorstellen, nach Hamburg zu ziehen, das wäre mir viel zu anstrengend, zu hipp, zu schick.

SAX: Hattest du einen Plan für dich oder hast du das Studium eher als Abenteuer angenommen?
Judith Beckedorf: Eher Letzteres, einen Plan für mich als Musikerin hatte ich eigentlich nicht. Mein Interesse galt ausschließlich dem Instrument in meiner Fingerpicking-Ecke – einer Nische in der Gitarren-Nische. Das Studium hat dann meine Sicht extrem geweitet – das macht den Studiengang »Akustische Gitarre« so besonders. Die Lehrenden sind sehr divers – in ihrer Persönlichkeit und musikalisch – und geben einem die Möglichkeit, zu entdecken, was man wirklich will. Es ist für mich ein totales Glück, dass ich dort gelandet bin.

SAX: Du bist 2016 für ein Jahr nach Nashville gegangen. War das ein Austausch innerhalb des Studiums?
Judith Beckedorf: Ja, und allein daran teilzunehmen, ist ein krasses Privileg. Die Dresdner Musikhochschule unterhält eine Kooperation mit der privaten Belmont University Nashville, bei der zwei Studierende aus Dresden pro Semester aufgenommen werden, wenn sie die Aufnahmeprüfungen bestehen. Ein weiteres Privileg ist, dass ein komplettes Studium dort in Nashville normalerweise rund 200.000 Dollar kostet, ich konnte für einen Bruchteil dessen dort studieren und lernen. Das war für mich aber auch Ansporn, das Beste herauszuholen. Ich konnte mir dort Kurse zu Themen heraussuchen, die in Dresden eher keine Rolle spielen, denn das Angebot reicht dort von Music Technology über Music Business bis zu Songwriting.

SAX: Hat so das Thema Songwriting noch einmal eine neue Stufe bei dir erreicht?
Judith Beckedorf: Defintiv auch, weil ich da mit Thomm Jutz einen tollen Mentor hatte. Thomm ist Deutscher, der aber schon viele Jahre in Nashville lebt. Mit ihm habe ich gemeinsam viel geschrieben, und er hat mir vermittelt, was für ihn beim Songwriting wichtig ist – das Say-it-without-saying-it, wie man detailreich eine Szenerie beschreibt oder die Zuhörenden zum Nachdenken bringt.

SAX: Als du in Nashville warst, wurde Donald Trump Präsident. Wie hast du das als »Alien« vor Ort erlebt?
Judith Beckedorf: Das war krass, denn er wurde just an meinem Geburtstag gewählt. Nashville ist als Großstadt etwas liberaler als Tennessee an sich, und in meiner Bubble dort waren alle der Meinung, dass Hillary Clinton gewinnen wird. Also gab es am nächsten Tag um mich herum eine totale Schockstarre. Ich kann für mich sagen, dass mich das wirklich politisiert hat.

SAX: Im Trio Standard Crow Behavior spielst Du nicht nur Gitarre und singst, sondern bist auch an Banjo und Mandoline zu erleben. Kam diese ins-trumentale Erweiterung durch Nashville?
Judith Beckedorf: Mit der Mandoline habe ich in Nashville angefangen. Ich wohnte dort in einem Haus mit vielen Instrumenten, die ich auch spielen durfte. Dann brach ich mir beim Frisbee den linken kleinen Finger, was Gitarrespielen unmöglich machte – diese Zeit nutzte ich für die Mandoline. Mit dem Banjo habe ich mich erst nach meiner Rückkehr befasst. Beides war eine gute Grundlage, die ich bei den Crows einbringen konnte; ohne die Band hätte ich mich wohl nicht so mit diesen Instrumenten weiterbeschäftigt.

SAX: Wie entstanden Standard Crow Behavior?
Judith Beckedorf: Mit Filip Sommer und Steve Voltz verbindet mich die Musik, die wir mögen, und als wir Anfang 2018 aufeinandertrafen, hatten wir auch alle irgendwie gerade Zeit. Ich kann nicht sagen, ob ich ohne meine Erfahrungen in Nashville da so reingepasst hätte, aber geholfen hat es auf jeden Fall. Musikalisch war das für mich noch einmal blickweitend. Ich bin da so die Gitarrenexpertin, Filip ist ein hervorragender Mandolinist und muskalisch extrem gut durch seine klassische Ausbildung, und Steve ist mit seinem absoluten Gehör zuständig für die Gesangsharmonien.

SAX: Du warst Anfang 2019 Mitbegründerin von MusiSHEans. Was hat es damit auf sich?
Judith Beckedorf: MusiSHEans hat sich als privates Netzwerk etabliert. Die Idee am Anfang war ganz simpel: Ich wollte eine Tour nur mit Gitarristinnen spielen. Das hat dann 2019 auch geklappt. Steffen Wilde von der Tonne hat dann gefragt, ob wir nicht ein MusiSHEans Festival bei ihm veranstalten wollen. Da haben wir natürlich sofort ja gesagt, aber wegen Corona musste das verschoben werden und findet nun vom 4. bis 6. März 2022 statt. Inzwischen wirkt MusiSHEans aber auch für eine bessere Wahrnehmung von Gitarristinnen in der Musikszene.

SAX: »Music S Woman« ist eine andere Initiative, in der du dich engagierst.
Judith Beckedorf: »Music S Woman« sieht sich eher als eine auch politisch aktive Plattform, ein Sprachrohr, das sich für alle Musikerinnen einsetzt. Gerade gab es ja eine Ansage an die Veranstalter von Rock am Ring, die in ihren Vorankündigungen zum Line-up 2022 107 Musiker und nur zwei Musikerinnen stehen haben. Die Musikerinnenquote lag bei diesem Festival von 2010 bis 2019 bei gerade mal vier Prozent.

SAX: Fühlst du dich im Touralltag manchmal anders behandelt, als es bei Männern der Fall ist?
Judith Beckedorf: Das habe ich selten erlebt, vielleicht habe ich es auch manchmal nicht so wahrgenommen. Wenn ich solo unterwegs bin, habe ich sowieso das Sagen, und im Duo oder Trio werde ich durchaus genauso ernst genommen wie die Kollegen. Das kann aber in anderen Musikgenres ganz anders laufen.

SAX: Wenn Standard Crow Behavior auftreten, dann steht ihr zu dritt um ein Mikrofon herum, das Gesang und Instrumente verstärkt. Musstet ihr euch da wegen Corona umgewöhnen?
Judith Beckedorf: Corona hat unser Konzept schon torpediert. Als wir letztes Jahr beim Palais Sommer gespielt haben, kam das für uns überhaupt nicht infrage. Es gab ja damals keine Tests und wir wollten auf der Bühne auch nicht den Eindruck erwecken, als wären uns die Regularien egal. Wenn einem tausend Leute zugucken, muss man auch das repräsentieren, was einem wichtig ist. Bei dem Online-Konzert im April im Madness haben wir uns natürlich vorher getestet, sonst hätten wir das nicht in der Weise gemacht.

SAX: Immer wieder kommt die Diskussion auf, was das denn für Musik ist, die Standard Crow Behavior spielen. Es ist sicher angelehnt am US-amerikanischen Folk, hat aber eine starke Singer/Songwriter-Linie. Woher kommt das?
Judith Beckedorf: Wahrscheinlich daher, weil die Stücke bisher als Ein-Personen-Songs entstehen. Wenn ich zum Beispiel einen Song in die Band bringe, dann ist der von vorn bis hinten fertig, ich könnte ihn auch allein spielen. Mit den anderen wird dann noch instrumentiert und arrangiert, wird ein Trio-Stück daraus. Aber so kommt es zu dieser Singer/Songwriter-DNA, die ergänzt wird durch die Einflüsse der anderen. Am Ende wird ein schönes Lied noch so viel cooler – das genieße ich total.

SAX: Jedes Konzert ist wie ein Abenteuer. Wie geht ihr mit Standard Crow Behavior so einen Abend an?
Judith Beckedorf: Unsere Geheimwaffe ist Diversität. Wir haben sehr verschiedene Songs, können die Instrumente wechseln und haben drei Stimmen – solo und in Harmonie. Wir achten auch darauf, dass sich in unseren Stücken nichts wiederholt, denn das wäre langweilig. Man kann unsere Musik auch ganz unterschiedlich hören. Die einen nehmen eher den Vibe auf, für andere spielen die Texte eine größere Rolle, andere nehmen die vielen kleinen Details wahr, über die wir uns stundenlang Gedanken gemacht haben. Man kann also auf vielen Ebenen etwas finden, das interessant ist. Und das ist doch cool.

Standard Crow Behavior 19. Juni 2021, Tonne, Karten bei saxticket.de
Judith Beckedorf24. Januar 2022, Hochschule für Musik Dresden
Music S Woman Festival
am 20. und 21. August 2021, GrooveStation

www.judithbeckedorf.de
www.standardcrowbehavior.com