Der Herrmann’sche Komet

Gegen Freiburg II trifft Dynamo sehr früh und sehr spät

Foto: SG Dynamo Dresden

Volle Hütte gegen eine sogenannte Zweitvertretung – das gibt es auch nur in Dresden. Zugegebenermaßen auch nur dann, wenn die schwarzgelben Goldfüße vom Tabellenthron grüßen. Wobei: Die Spitze war es ja nur gefühlt, da die ergebnislose Wasserschlacht von Saarbrücken den Jahn aus Regensburg mal hauchdünn vorbeiziehen ließ. Nach dem Ausflug in die Feuchtgebiete der kleinsten großen Stadt in Schland gab es eigenltich nur eine Frage: Warum findet eine Rasenbegehung direkt vor dem Anpfiff ohne Ball statt? Der Kollege mit der Pfeife kann ja die Capitanos beider Teams mitnehmen, die dann mit dem Leder mal antesten und ihre Meinung kundtun. Wenn der Schiedsrichter behauptet, zum Anpfiff wäre es noch okay gewesen, aber vom Anpfiff weg kein Fußball stattfand, hatte man entweder Wahrnehmungsprobleme oder Angst vor den Fans. Nur stelle man sich mal vor, eine der Mannschaften hätte zur Halbzeit beim Abbruch in Führung gelegen. Das wäre dann wohl deutlich komplizierter geworden. Wie das ausgeht, erfahren wir am 19. November.

Gegen die Breisgauer schickt Markus Anfang derweil dieselbe Elf auf das Harbig-Grün wie beim Badespaß vor einer Woche. Auf der Bank fehlen jedoch Jonathan Meier und Manuel Schäffler. Dafür kehrt Tom Zimmerschied frisch geschultert zurück in den Kader, neben ihm sitzen unter anderem Robin Meißner, der im S-Pokal doppelt traf, und Dennis Borkowski, der in Niesky dreifach einnetzte. Beim Verlesen der Aufstellung gibt es drei Fußballgott-Kategorien: Vlachodimos verhalten, Hauptmann deutlich, Kutschke sehr deutlich. Überhaupt schallt es mal wieder extrem laut durch die Schüssel, zudem gibt es Puffer heute nur am Fressstand.

Die erste Halbzeit: Einschlag aus 50 Metern

Dynamo hat Anstoß und sofort zeigt sich, dass das hier und heute kein Allerweltskick sein wird. Nach sechs Sekunden lässt Claudio Kammerknecht seinen Gegenspieler mal gekonnt isn Leere laufen, nach 40 Sekunden spielt Niklas Hauptmann den Ball in die Füße von Panagiotis Vlachodimos, dessen Flanke aber außerhalb der Reichweite von Stefan Kutschke liegt. Im direkten Gegenzug kopiert Freiburg diesen Spielzug mit gleichem Ergebnis.

Der Block ist schon voll da, der Presse-Kaffee noch richtig warm, da passiert es: Luca Herrmann erschlingelt sich in der eigenen Hälfte den Ball, geht ein paar Schritte, hebt den Kopf und schießt einfach mal aus 48,679 Metern aufs Tor. Keeper Benjamin Uphoff steht weit vor dem Kasten, hastet zurück, erreicht das Runde aber nur noch mit den Fingerspitzen und gibt dem Ball so die Richtung für den sicheren Einschlag (sonst wäre er vom Innenpfosten reingegangen, ich schwöre). Was ist den heut bei Findigs los!?!?! Ein Komet! Völlig schwerelos! Noch nicht mal richtig angekommen, schon gehen über Dreißigtausend steil! Man weiß nicht so recht, wohn mit den Gefühlen. Ist das da eben wirklich passiert? War das nicht doch ein Tagtraum? Aber ein ganzes Stadion kann nicht irren. Und die Anzeigetafel lügt nicht. Einszunull. Aber sowas von. Aber sowas von! Da hat der Kollege Herrmann für sein erstes Pflichtspieltor mit dem D auf der Brust aber etwas ganz Besonderes hingezaubert. Und wem hätte man es nach seiner langen Leidenszeit auch mehr gewünscht? Es ist allerdings etwas armselig, dass viele im Nachgang was Harry Kane faseln, denn auch, wenn solche Tor Seltenheitswert haben, gab es schon eine ganze Reihe von Kunstschützen aus der Ferne: Dem walisischen Keeper Tom King von Newport County etwa gelang 2021 ein Tor aus 96,01 Metern. Das nur mal so.

Aber fast, nur fast, wäre der ganze Jubel wieder verhallt. Denn nur 120 Sekunden später begräbt Jakob Lewald mit gefühlter Schuhgröße 67 den Torschuss von Al Ghaddioui, der frei vor Stefan Drjlaca auftaucht, und auch bei der nachfolgenden Ecke steht der Dresdner Goalie genau richtig. Alles klar, das wird hier kein Selbstläufer. Denn Freiburg zeigt sich nicht von Herrmanns Traumtor konsterniert, sondern übernimmt nun das Geschehen auf dem Platz. Vor allem Franci Bouebari ist vorn wie hinten überall zu finden, treibt mit Tempo und Körperlichkeit das Spiel immer wieder an. Und Kammerknecht findet oft nicht die Mittel, ihn zu stoppen. Und weil die beiden Außenverteidiger im hohen Pressing weit vorn im Einsatz sind, wissen Streichs Jungspunde das auszunutzen, was Paul Will wiederum eine Menge Aufräumarbeit einbringt und die Innenverteidigung immer wieder auseinanderzieht.

Ergo: Bevor hier irgendwas ganz Dummes passiert, sollte fix das zweite Tor her. Das hat dann Kutschke auf dem Fuß, denn Vlachodimos serviert wunderbar von links, aber der Dynamo-Käptn bringt keinen Druck auf den Ball und so kann Uphoff retten. Retten hätte Drljaca wohl wenig können, wenn Baur nach 20 Minuten den von Park in die Mitte geköpften Rebound einen Meter weiter links angesetzt hätte. Glück kommt nun auch dazu. Allerdings nicht für Lars Bünning, der wegen eines vollkommen überflüssigen Ballwegschlagens zeitig Gelb sieht.

Es geht nun munter hin und her. Durchbruch der Freiburger und das Leder rollt auf den linken Pfosten. „Nimm du ihn, ich hab ihn sicher“, ruft Lewald seinem Torhüter zu, aber ein Gastspieler kommt dazwischen, Drljaca boxt im Fallen die Kugel weg mit Mann und Maus. Elfmeter rufen die Roten, aber nix da. Im Gegenzug schickt Jakob Lemmer Vlachodimos in den Strafraum, der sein Tor erzwingen will statt den frei stehenden Kutschke zu bedienen: Sieger ist leider Uphoff. Es wird irgendwie atemlos: Ambros verfehlt per Kopf in aller Knäppe das Dynamo-Tor, dann wieder schickt Hauptmann Kutschke mit perfektem Steilpass gen Freiburg-Kasten, aber der Stürmer sucht den Abscholuss zu spät und wird geblockt. So nach einer halben Stunde beschleicht einen der Gedanke: Ein einziges Tor wie gegen Münster wird hier wohl nicht reichen, denn die Gäste machen sicher noch eins. Und die drücken und wollen, gutes Passspiel von hinten raus über das Mittelfeld – nur vorn zeigen sie sich ineffektiv. Und das kennen wir ja selbst zur Genüge.

In den fünf Minuten bis zur Pause will Dynamo aber doch noch den zweiten Treffer. Aber erst schlenzt Vlachodimos drüber, dann stochert Kutschke vorbei, dann wieder ist das Zentrum vor dem Tor nicht besetzt als wieder einmal Vlachodimos von der Grundlinie nach innen gibt. Doch es ist auch die Dresdner Sieben, die den Gästen fast noch einen auflegt: Ein Rückpass gerät zu schwach, sodass Drljaca einen abteuerlich anmutenden Ausflug machen muss, an dessen Ende er nach drei Klärungsversuchen weit vor dem Tor im Liegen ins Aus schießt.

Die zweite Halbzeit: Der Deckel von der Bank

Die Suche nach dem Zweizunull geht nur Sekunden nach dem Wiederbeginn weiter. Wieder ist es der hochmotivierte Vlachodimos, der übersteigt und tunnelt, was das Zeug hält. In der Mitte kann Lemmer aber den Ball nicht über die Linie bringen – überhaupt hat der Zehner irgendwie sein Mojo verloren. Seine Tempoläufe versanden meist, die Vorlagen kommen unpräzise, vom Ball trennt er sich öfter mal zu spät. Aber immerhin übernimmt die SGD jetzt das Geschehen. Doch auch als Lewald aus dem Gewühl nach einer Ecke frei zum Schuss kommt, wird das Ding von der Linie geköpft.

Nach einer Stunde müssen die Freiburger schon wieder den Ball von der Torkreide kratzen, wo eine Vlachodimos-Haupt-Kombo fast in ein Eigentor der Gäste mündet. Lemmer bekommt noch zwei weitere Gelegenheiten, scheitert aber an sich selbst (Ball zu weit vorgelegt) oder an der Kopfballstärke der guest defense. In der 72. wird gewechselt, aber nicht Lemmer muss gehen, sondern Vlachodimos und Kutschke verlassen ihre Arbeitsplätze für Meißner und Zimmerschied.

Mit dem Anbrechen der letzten Viertelstunde flacht das Spiel etwas ab. Zwar spielt Freiburg noch Fußball, aber zusetzen können sie nichts mehr. Dynamo tanzt auf der Grenze zwischen Ergebnishalten und Entscheidungsuchen. So bleibt die zweite Hälfte etwas ereignisärmer als der erste Durchgang. Immerhin Meißner zieht in der der 82. Minute einfach mal ab, aber Uphoff hat ihn sicher. Überhaupt muss mam vermuten, dass das Torpersonal der Dresden-Gegner in den Spielen gegen uns stets einen Toptag habt – sieht man mal vom Herrmann-Treffer ab (was aber auch kein richtiger Torwartfehler war).

Die Schlusswechsel bringen Tom Berger und Dennis Borkowski für Hauptmann uns Lemmer. Noch vier Minuten sind regulär zu gehen, da zeigt sich doch noch die Bank mit einem starken Ausrufungszeichen. Zimmerschied geht auf links am ersten vorbei, tunnelt den zweiten – immer den Ball Messi-like eng am Fuß – und bedient mit dem Außenrist Meißner, der am Fünfer lauert. Meißner aber hat Auge und die Ruhe: Er zieht nicht sofort ab, sondern lässt mit einem Schlenker nach links die Verteidiger ins Leere laufen und schießt dann Uphoff durch die Beine ins Netz. Ein Sahnetor allererster Kajüte, das allen schwarzgelben Offensivkräften einmal am Tag gezeigt werden sollte. Besser zweimal. So machen die beiden zeitgleich Eingewechselten hier den Deckel drauf. Zweinull!

Was soll jetzt nch passieren: Okay, Jonas Oehmichen bekommt seine paar Minuten, dafür geht Herrmann raus mit Applaus. Und fast fällt noch das dritte Tor, als sich Borkowski in der knappen Zeit, die ihm heute zuteil wird, zeigen will. Auf rechts lässt er den Gegenspieler einfach stehen, zieht von der Grundlinie nach innen und zimmert das Leder mit Karacho an die Latte. Dass am anderen Pfosten der Mitspieler komplett frei stand, hat er leider „übersehen“. Allerdings: Macht heute nix. Abpfiff und Sieg.

Und sonst so?

Nach dem Spiel ist bei den Freiburgern viel die Rede von nicht gegebenen Strafstößen, aber auch auch die Jungs aus dem Breisgau müssen lernen: Das Leben ist kein Elfmeterschießen. Heute war eben der Tag, an dem sich so manche der viel klareren Fehlentscheidung gegen Dynamo aus den letzten Wochen ausgeglichen hat. Zudem: Tabellenspitze ist zurück, obwohl ein Spiel weniger absolviert ist (na ja, am Ende wird es ein halbes mehr sein). Acht Punkte Abstand auf Platz vier sind durchaus ein Statement, das man in Köln aber unterstreichen sollte. Man weiß ja nie, was eine Rückrunde so mit sich bringt …
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs: SC Freiburg II
4. November 2023, Anstoß 14 Uhr
Tore: 1:0 Herrmann (3.), 2:0 Meißner (86.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Lewald, Bünning, Park, Will, Herrmann (88. Oehmischen), Hauptmann (84. Berger), Lemmer (84. Borkowski), Kutschke (72. Meißner), Vlachodimos (72. Zimmerschied)
Ohne Einsatz: Broll, Ehlers, Menzel, Seo
Schiedsrichter: Nico Fuchs
Fans: 30.456
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