Feine Sache das!

Toby Walker war im Café Friedrichstadt

Ist der Blues ein Synonym für nonkonformistisches Verhalten? Das Publikum, langhaarige Kunden in Blue Jeans, Parka und Jesuslatschen? Also lange Haare vielleicht noch, oder zumindest das, was davon übrig bleiben wollte. Der Rest, liebe Leute, ist so was von Geschichte! Aber im Mississippi-Delta, wo der Blues ganz wesentlich herkommt, wird die Musik auch nur noch selten traditionell in Bretterbuden dargeboten, die Juke Joints hießen und bei mitteleuropäischen Wohlstandsbürgern höchstens als Geräteschuppen im Garten stehen. Zwischen Vicksburg, Mississippi, und Memphis, Tennessee, ist der Blues in die Casinos abgewandert und beweist seine Nützlichkeit als manierliche Beschallung nach einem anstrengenden Tag mit einarmigen Banditen, Roulette und All You Can Eat-Buffett.

Nicht ganz unähnlich waren die Rahmenbedingungen bei Toby Walker im Café Friedrichstadt, das eigentlich eher ein Gasthof mit Hotel ist. Die mobile Werbetafel am Gaststätteneingang trommelt nicht etwa für den Star des Abends, sondern nennt das Tagesmenü: Kalbsbraten, wenn die Erinnerung nicht trügt. Im Weinkeller, den es nebenan auch gibt, waren dort, wo sonst edle Tropfen zur Verkostung anstehen, die Tische an die Seite gerückt, Stuhlreihen aufgebaut und eine Minibühne vorbereitet. Getränke wurden bequem an den Platz serviert. Und das Publikum bestand aus Künstlerberühmtheiten des Stadtviertels, Hotelgästen und anderer Laufkundschaft, Leuten ganz einfach, die schlicht auf ein wenig kulturvolle Unterhaltung am Freitagabend aus gewesen sind.

Blueskenner dürften, wenn überhaupt, nur zu Bruchteilen anwesend gewesen sein. Ist das schlimm? Nee, überhaupt nicht! Auf diese Weise wird der Blues wenigstens der neunmalklugen Bluespolizei entrissen, die sowieso alles besser weiß und mit Vorliebe in Schubladen einsortiert. Stattdessen wird Blues auf seine ursprüngliche Unterhaltungsfunktion zurückgeworfen, was bei anderen Musikformen sicherlich problematisch wäre, hier aber derzeit ein Schritt in die richtige Richtung ist. Zumal die Unterhaltung als solche allererste Sahne war. Der begnadete Entertainer kam zwar weniger zum Vorschein, weil unsicher, ob die Englischkenntnisse beim Publikum ausreichen, seinen lustigen Zwischenmoderationen im Detail zu folgen. Der Musikant aber sollte zu Bestform auflaufen.

Jegliche Stilgrenzen ignorierend, ist Toby Walker von Bluesklassikern wie „Got My Mojo Working“ oder „Statesboro Blues“ zum Jazzstandard „Sweet Georgia Brown“ gewechselt und von dort weiter zu Judy Garlands „Over The Rainbow“ beziehungsweise „Norwegian Wood“, einem George Harrison-Song aus dem Repertoire der Beatles. Gegen Ende des ersten Programmteils kam dann „I Know You Rider“, ein Folksong mit Blueswurzeln, aber auf den Basssaiten der Akustikgitarre im Fingerpicking-Stil einst von Country-Urgestein Merle Haggard gespielt. Und praktisch jeder Song war anders, allein eben durch eine jeweils andere Gitarrenbegleitung. Oft klang der Soloartist wirklich wie ein ganzes Orchester. Feine Sache das, wirklich war! Schon jetzt ist für nächstes Jahr eine weitere Deutschlandtournee in Planung. Dann sicher erneut mit Toby Walkers Düsseldorfer (und wahlösterreichischen) Konzertagenten und Blueskollegen Andi Saitenhieb, der mit humorvollen Bluessongs in deutscher Sprache das Vorprogramm bestritt. In Dresden wird bestimmt auch wieder Station gemacht, das Café Friedrichstadt jedenfalls wird die Konzertreihe im Weinkeller fortsetzen.
Bernd Gürtler

Toby Walker 16. September, Café Friedrichstadt
www.littletobywalker.com