Mühevolle Zebrajagd

Drei Punkte gegen Duisburg aus der Nachmittagshitze gerettet

Es gibt Fußball-„Weisheiten“, die zum Kotzen sind. Eine davon ist heute wieder allerorten zu lesen: Mit der Verletzung von Pascal Testroet hätte Dynamo Dresden den Sieg gegen den MSV Duisburg „teuer erkauft“. Was für ein Schwachsinn! Gab es etwa die Option, ohne das kaputte Stürmerknie nicht zu gewinnen? Ich glaube es kaum. Sicher scheint dagegen, dass Ralf Minge nun keine Wahl mehr hat, und einen weiteren Stürmer einstellen muss, wenn Testroet voraussichtlich monatelang fehlen wird. Dass der faktische und zeitliche Druck für einen Transfer nicht unbedingt förderlich ist, liegt auf der Hand. Ob es ein Ergebnis noch vor dem Pauli-Spiel am kommenden Montag gibt, bleibt abzuwarten.

Erste Halbzeit: Chancensterben hier wie da

Der Blick auf den Teamzettel brachte das eine oder andere Augenbrauenhochziehen mit sich: Hatte man nach den letzten Uwe-Neuhaus-Aussagen eigentlich mit der Rückkehr von Marco Hartmann, Florian Ballas und/oder Aias Aosman gerechnet, so fanden sich alle drei auf der Bank wieder. Ansage eins: kein gesundheitliches Risiko eingehen. Ansage zwei: Der Kader mit drei Neuen (Gonther, Möschl, Benatelli) hat das Vertrauen. Ein weiterer Fingerzeig: Statt Wiegers saß Schubert (nicht Olaf) auf dem Auswechsel-Sitzmöbel. Beim MSV dagegen gab es kein Wiedersehen mit Thomas Bröker, denn die Duisburger hatten den Stürmer nicht einmal im Kader, dafür Namhaftes mit Simon Brandstetter und Moritz Stoppelkamp (remember the 83-Meter-Tor von 2014).

Im Vorfeld vermutete Uwe Neuhaus ein „enges Spiel“ – und das sollte es auch werden. Denn die Männer von der Ruhr-Mündung dachten überhaupt nicht daran, sich als Aufsteiger im Hollerbusch zu verstecken. Schon nach 120 Sekunden tauchten sie erstmals vor dem Schwäbe-Kasten gefährlich auf, nur zwei Minuten später zielte Souza in aussichtsreicher Distanzposition zu schlecht. Und so manifestierte sich das Bild: Dynamo hat den Ball (am Ende insgesamt 62 Prozent), die Zebras warten auf Einladungen zum Kontern.

Von Beginn an besonders im Fokus: Patrick Möschl. Die 22 ackerte von Minute eins an, zeigte Spielwitz, meistens Übersicht und hat eine enorme Schnelligkeit – alles in allem erinnert er in seinem Stil ein wenig an den noch nicht wieder einsatzbereiten Niklas Hauptmann. Sören Gonther wiederum fällt erstmals auf, als er nach einer Viertelstunde Brandstetter im Strafraum vom Ball trennt. In der Folgezeit verrichtet er neben Jannik Müller abgeklärt sein Tagwerk und strahlt die Ruhe aus, die man mit seiner Berufserfahrung eben haben sollte.

Es dauerte schließlich 16 Minuten, bis Dresden etwas klar Strukturiertes in der Offensive zustande bekommt, aber das sieht dann schon mal sehr schick aus: Ein feiner, sanft getretener Heber kommt in den Strafraum, wo sich Berko und Möschl fast über den Haufen rennen, der 40er sich aber durchsetzt und nach einem Schlenker um den Gegner an Mark Flekken scheitert. Neue Saison, altes Thema: Chancenverwertung. Kurz darauf gibt es einen Wolfsburg-Déjà-vu-Moment: Ecke Kreuzer auf Konrad, der zieht wieder direkt ab – doch diesmal scheppert es nicht im Netz, denn Flekken hat den richtigen Kurs beim Segeln. Gerade mal zwei Minuten später will  es dann wieder Stoppelkamp besonders sehenswert machen, indem er mit dem Außenrist vollenden will, doch knapp vorbei ist auch daneben (dies eine Fußballweisheit, die in sich stets stimmig ist).

Fast im Gegenzug passiert es dann: Philip Heise bringt eine seiner unnachahmlich scharfen Hereingaben vor das Tor, Flekken ist kurz vor Testroet am Leder, beide rasseln zusammen, wobei der Stürmer mit dem Oberkörper über den Keeper fliegt, sein Bein jedoch nicht. Sofort ist klar, dass hier etwas Gravierendes passiert ist, auf der Trage und mit Schmerzen muss die 37 das Stadion Richtung Spital verlassen. Es kommt Lucas Röser.

Ob es am Schock lag oder nicht, das Spiel verliert nun an Ansehnlichkeit, Dramatik und Fluss. Bisschen hier, bisschen da, alles daneben oder gehalten. Eine Dresdner Ecke direkt ins Aus lässt den Betrachter etwas unschlüssig zum Pausenkaffee traben.

Zweite Halbzeit: Hau den Lucas, Dornröschen

Die zweite Hälfte beginnt wie die erste: mit etwas niederrheinischer Offensive. Stoppelkamp probiert es aus der Ferne, gehalten; überhaupt hat Marvin Schwäbe einen überragenden Tag. Aber auch sein Gegenüber zeigt sich immer wieder, auch als Möschl in Minute 52 von der Strafraumgrenze abzieht.

Nach einer knappen Stunde gibt es die fast schon obligatorische – und bei der Hitze auch zu erwartende – Auswechslung von Lumpi, für den Sascha Horvath den Rasen betritt. Für Zungenschnalzen sorgt aber zunächst wieder Möschl, der einen Benatelli-Pass sensationell in der Luft annimmt, den Ball aber dann doch über das Tor schaufelt. Benatelli, der nur sporadisch auffällt, hat dann auch selbst die große Chance, hämmert aber zu zentral auf den Zebra-Torwart. Hatten wir das Wort Chancenverwertung schon geschrieben? Denn nach fast 70 Minuten ballert auch Sören Gonther aus guter Position über den Kasten.

Aber jetzt erwacht das ganze Stadion, das sich dem Dauersupport des K nun endlich anschließt. Denn es geht hin und her: Der beständig gefährliche Stoppelkamp trifft erst den Pfosten. Benatelli zeigt ein schönes Solo, entscheidet sich aber final falsch. Berko kann einen Konradschuss nicht ins Tor lenken. Schwäbe entschärft Brandstetter aus Nahdistanz überragend. Möschl verzieht. Atemlos durch den Nachmittag!

Die letzten zehn Minuten. Und noch mal das Stadion. Jetzt oder nie! Schwarzgelb ruckt noch einmal an, bekommt die Überhand, während die Zebras der Hitze und der Laufleistung doch Tribut zollen müssen. Immer wieder kommt der Ball vor den Tekken-Kasten. Dann, zwei Minuten vor 90, eine Ecke. Niklas Kreuzer tritt, der Ball segelt in aller Schönheit, Lucas Röser läuft perfekt in eine sich auftuende Lücke und nickt mit voller Wucht ein. Das isses, da kannst du noch fünf Minuten nachspielen, da passiert nichts mehr. Duisburg hat die Köpfe unten, der noch schnell eingewechselte Hartmann schießt sogar noch mal aufs Tor, aber das war es.

Fazit: Der erste Sieg gelang auch ohne wichtige Stammkräfte, wenn es auch hinten mal wackelte und vorn nicht ganz stimmte. Dass die wohl schwere Verletzung von Pascal Testroet taktische und auch psychologische Folgen hatte, war offensichtlich. Doch man sieht hier, wie in der Vorsaison, eine Mannschaft auf dem Platz, an der man noch einige Freude haben wird, wenn sich die Neuzugänge weiter verbessern und das Mittelfeld mehr Vollstreckermentalität entwickelt. Gegen eine Mannschaft, die besser im Abschluss ist wie der MSV, wäre ein Sieg noch schwerer geworden, St. Pauli am kommenden Montag wird das zeigen. Aber dann stehen sicher auch einige der noch geschonten „Bankdrücker“ vom ersten Spieltag von Anfang an auf dem Grün.
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. MSV Duisburg

30. Juli 2017, Anstoß: 15.30 Uhr
Tor: 1:0 Röser (88.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, J. Müller, Gonther, Heise, Konrad, Lumpi (56. Horvath), Benatelli, Möschl, Berko (89. Hartmann), Testroet (23. Röser)
Ohne Einsatz: Schubert, Aosman, F. Müller, Ballas
Schiedsrichter: Felix Zwayer
Zuschauer: 28.520
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