Shoutout Kammerknecht, Standard!

Beim Sieg in Ulm muss die SGD Härte zeigen

Foto: SG Dynamo Dresden

Nach dem nahezu ereignisfreien Auswärtspiel bei den Münchner Löwen wollte und sollte mir partout nichts Sinnreiches einfallen, um eine Nachspielgeschichte zu erzählen. Nur der verweigerte Elfmeter in der Schlussminute regte den Adrenalinfluss kurzzeitig an – das war es schon. Und eine ganze Zeitlang schien es auch in Ulm auf etwas Ähnliches hinauszulaufen, bis sich dann doch alles änderte.

Schließlich ging es im sold out Donaustadion um nichts Geringeres als die Tabellenführung. Und natürlich auch darum, den Ulmern, die hier einen auf Elversberg machen, mal die Grenzen aufzuzeigen: Bis hierhin, aber nicht weiter. Dafür rückte Dennis Borkowski wieder in die Startelf für den zuletzt etwas blassen Jakob Lemmer, Lars Bünning bekam seine zweite Chance von Beginn an, während Asienchampion Kyu-Hyun Park im Kader (noch) fehlte. Ein Bekannter auch auf der Gegenseite: Lucas Röser – von 2017 bis 2019 in Schwarzgelb mit 14 Toren bei 57 Einsätzen.

Augenfällig: Da Ulm untenrum Schwarz trägt, musste Dresden diesmal gänzlich in Gelb auflaufen, der Ball kam derweil mit einem riesigen Automower auf den Platz – ein Blick auf die Trikotwerbung der SSV-Spatzen verrät, warum. Na dann mal los.

Die erste Halbzeit: Ecke, Freistoß, Tore

Sehr schnell wird klar, wie die Methode Ulm funktioniert. Attacke in voller Härte, Ballverluste erzeugen, Konter fahren. Bis hierhin 35 gelbe Karten (am Ende des Spiels werden es 39 sein) kommen ja nicht von Ungefähr. Auf diese Weise will man dem Gegner den Spaß am Fußball nehmen. So brauchst Du aber einem Paul Will nicht kommen. Noch bevor die erste Ulmer Grätsche sitzt, haut der Rotschopf schon mal dazwischen – nach nicht einmal zwei Minuten. Ansage! Ansonsten geht es bisschen nach hier, bisschen nach da. Viel Abtasten und Rumprobieren, wenig guter Plan nach vorn. Die erste ansehnliche Kombi hat Dynamo nach zehn Minuten, die Luca Herrmann mit einem satten Strahl finalisiert, der aber genau auf den Mann im Tor geht.

Die erste Gelbe im Spiel – und wie schon in München eine sehr zeitige – bekommt Jakob Lewald in der elften Minute für einen Mach-mal-halblang-Zupfer im Mittelfeld, man kann es als taktisches Foul sehen. Putzigerweise wird es der einzige Karton sein, den die SGD in diesem Spiel sehen wird, obwohl es so ziemlich zu Sache geht.

Nach einer reichlichen Viertelstunde dann ein kleiner Hallowach-Moment, als es Tobias Kraulich hinten vielleicht etwas langweilig wird. In die gegnerische Hälfte stürmend, zeigt er mit einer Hacke-Spitze-Drehung, was er Messi-mäßig so draufhat. Es gibt ja immer Leute, die dann sagen, das wäre nur was für die Galerie. Aber hey, wir sind die Galerie, und haben mehr verdient als nur Langholz und Querpass. Ab hier jedenfalls übernimmt Dynamo das Geschehen, ohne dringlich gefährlich zu werden. Im Mittelfeld entwickelt sich derweil ein Festival des Hauens und Stechens, Fouls teils am Fließband mit viel Liegezeit vor allem bei Ulm. Dem Referee fällt es zunehmend schwer, hier eine Linie zu finden, mal pfeift er minimale Nicklichkeiten ab, dann wieder lässt er Tritte durchgehen – wie einen heftigen gegen Stefan Kutschke.

Ansonsten gibt es viel von der üblichen offensiven Mangelware: letzter Ball semigut, Flanken ins Nichts, fehlerhafte Pass-Ausgabe, kaum Standards. Doch intensiv ist das Spiel allemal, beide Mannschaften pressen hoch und aggressiv, Dresden ist von Anfang an klar, was hier passieren wird und ist mental und körperlich präsent. Geht das hier immer so weiter, kann man mit einem Punkt (fast) zufrieden sein.

Dann aber kommt die 28. Minute und es wird ganz wild bis zum Pausenpfiff. Eine Spatzen-Ecke geht auf den Kurzen, wo sich Yarbrough nicht einmal allzu hoch schrauben muss, um an die Stirn von Lewald zu köpfen, von wo der Ball ins Tor geht. Allerdings geht die Dresdner 31 nicht richtig hin, macht nur einen kleinen Hüpfer und steht bisschen falsch. War das die frühe Gelbe im Kopf? Einsnull. Fuck! Apropos drehen: Das haben wir ja in dieser Saison schon gemacht. So dauert es keine fünf Minuten bis zum Ausgleich: Borkowski schickt einen Freistoß aus dem rechten Halbfeld an den Fünfer, wo Kutschke punktgenau einläuft und per Aufsetzer zum Ausgleich einschädelt. Ein Tor nach einem Standardtore! Neu im Angebot jetzt bei der SGD! Die werden das doch nicht etwa trainiert haben?!

Zwei Minuten später muss der Ulmer Keeper fast in die Schwerelosigkeit gehen, um einen Körperabpraller von Borkowski zur Ecke zu lenken. Jetz gähts lohous! Aber sowas von: Die folgende Ecke bringt Borkowski so in den Fünfer, dass dort auf einmal komplettes Chaos entsteht, aus dem heraus der Ball direkt vor die Füße von Claudio Kammerknecht fällt: kurze Annahme und rein damit. Einszwei! Wie war das mit dem Hund in der Pfanne? Genau verrückt. Und hört mir auf mit „Das war Hand!“ Standardtore! Neu im Angebot bei der SGD: Nimmst du eines, gibt es noch ein zweites dazu.

Jetzt mit der Führung in die Pause. Doch bevor es dazu kommt, muss Kraulich paar Minuten eher vom Rasen. Ein mutmaßlich muskuläres Problem, dass sich nach einem Zweikampf nicht rauslaufen läßt, zwingt ihn, den Arbeitsnachmittag zu beenden. Dabei hatte der Mann gerade so richtig angefangen. Okay, dann Ehlers rein und Bünning nach links. Denkste. Markus Anfang bringt Jonathan Meier und schickt Bünning nach innen. Und das funktioniert zunächst und sofort – nun ja – nicht. Eine hohe Flanke, gefühlt 20 Minuten unterwegs, geht auf den Langen, wo ausgerechnet Lucas Röser steht. Und zwar nur Lucas Röser. Will sichert die Mitte, Meier steht im Weißnichtwo in großer Entfernung hinter dem Stürmer. So kann Röser in einem Zug ungestört wie im Training annehmen und abschließen – auch noch durch die Beine von Stefan Drljaca. Kurzer Jubel, dann Tschuldschung-Geste zum Dresdner Block. Sympathisch isser schon, der Lucas, der auch heute noch nur Gutes über seine Dynamo-Zeit sagt. Trotzdem schmerzt dieser Ausgleich, ein vermeidbarer zudem. Jetzt Halvtid, wie die Schweden sagen.

Die zweite Halbzeit: Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey hey!

Ohne Banktransfer geht es weiter. Immer weiter. Die Tabellenführung ist noch da, aber für ein wenig mehr Deutlichkeit fehlt ein Treffer. Zunächst gibt es aber erst jetzt die zweite Gelbe für Ulm – ein Witz angesichts der an den Tag gelegten Härte. Selbst liegt man aber auch weiterhin gern auf dem Grün und beschwert sich und beschwert sich und beschwert sich. Jungs, kriegt euch ein, möchte man rufen. Und Meier will in der 50. seinen Defensiv-Fauxpas mit einem Freistoß wettmachen, verfehlt aber den Knick um Zentimeter.

Die Gelbgelben übernehmen nun vollends das Geschehen und Ulm muss einsehen, dass das ganze Geholze an diesem Tag nicht verfängt. Allein schon Paul Will steht wie die Große Mauer vor dem Strafraum – er verteilt und teilt aus. Dahinter arbeiten Lewald und Bünning souverän, davor wuseln Herrmann und Hauptmann wirkungsvoll, wenn auch nicht so augenfällig. Borkowski und Kutschke finden sich immer wieder in absurdesten Konstellationen, nur Zimmerschied fällt in diesem Spiel irgendwie durch den Rost. Und Kammerknecht? Ja, der Kammerknecht!

Knappe Stunde rum, wieder mal ein Freistoß aus dem leichtrechten Halbfeld. Und auch das ist eine einstudierte Variation: Will läuft am Ball vorbei, ein noch mal abgelegter Ball fliegt in den Strafraum, wo Bünning ganau in den Lauf von Zimmerschied köpft, der frei vor dem Goalie auftaucht, aber einen Tick zu nah dran ist. Geistesgegenwärtig geht er zur Grundlinie durch und legt mit letztem Einsatz den Ball zurück, wo Kammerknecht zum dritten Dresdner Tor einhämmert. Standardtore! Neu im Angebot bei der SGD: Nimmst du zwei, gibt es eines obendrauf gratis dazu. Hatte ich gerade über Zimmerschied rumgemosert? Für diese eine Aktion nehme ich alles zurück. Dafür läuft er nur Minuten später bei einem wunderbaren Will-Seitenwechsel ins Abseits und trifft den Pfosten …

Die Heimelf wird jetzt fast komplett ausgetauscht, aber es ändert sich auf dem Platz nichts für sie. Da ist nichts zu holen. Und trotzdem verliert Dynamo etwas – und zwar Borkowski. Nach einem eigentlich unspektakulär anzusehenden Duell bleibt er liegen, wird behandelt und humpelt mit dem Support der Docs vom Rasen. Wir wissen: Geht ein Spieler so vom Platz, ist es in der Regel schwerwiegend. Lemmer kommt wie auch Ehlers für den „gelben“ Lehwald.

Das war es für die Spatzen, die froh sein können, nicht noch ein viertes zu bekommen. Denn Ehlers köpft in der 83. an den Pfosten, für den zurückspringenden Ball steht wieder Kammerknecht bereit, er trifft diesmal aber nur das Außennetz. Hatte ich erwähnt, dass dies nach einem Freistoß geschah? Den Schlusspunkt setzt Hauptmann, der einen satten Schlenzer aus dem Schuh zieht, aber eben auch leicht verzieht. Nur einmal noch kommt ein bisschen Gefahr auf, wenn auch aus den eigenen Reihen bei einem misslungenen Eigentorversuch von Ehlers. Dann ist Schluss, auch in den fünf Minuten Nachspielzeit hat Ulm nichts mehr zu bieten.

Was noch zu sagen wäre

Der Klassenerhalt ist fast schon in Sicht. Jetzt im Heimspiel gegen Münster noch einmal siegen und Dresden verlangt den direkten Aufstieg in die Bundesliga. Und wer noch wissen will, warum die Ulmer Spatzen sind, werfe die Suchmaschine seiner Wahl an für die „Legende vom Ulmer Spatz“. Die besagt nämlich, dass das kleine Federvieh viel klüger ist als die Einwohner der Stadt. Damals zumindest. Aber wir singen jetzt derweil noch mal gemeinsam mit Tretti das Lied vom Standard.
Uwe Stuhrberg

SSV Ulm 1846 Fußball vs. SG Dynamo Dresden
15. Oktober 2023, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 1:0 Yarbrough (28.), 1:1 Kutschke (33.), 1:2 Kammerknecht (37.), 2:2 Röser (45.), 2:3 Kammerknecht (57.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Lewald (70. Ehlers), Kraulich (42. Meier), Bünning, Will, Herrmann, Hauptmann (90. Berger), Borkowski (70. Lemmer), Kutschke, Zimmerschied (90. Oehmichen)
Ohne Einsatz: Broll, Vlachodimos, Meißner, Schäffler
Schiedsrichter: Lukas Benen
Fans: 17.000
www.dynamo-dresden.de