Spiegel

Die Dresdner Musikfestspiele in ihrem 41. Jahrgang

»Spieglein, Spieglein an der Wand …« heißt es im Märchen. Spiegel sind dazu da – neben allerlei (un-)befriedigter Eitelkeit –, Überprüfungen vorzunehmen, Selbstkontrolle zu praktizieren, das Ego en detail und in seiner Gesamtheit zu reflektieren. Spiegel können auch rätselhaft sein, wenn sie verzerren, entstellen. »Die Musik ist ein Spiegel der Seele«, lautet ein großartiger Satz in der aktuellen Broschüre der Dresdner Musikfestspiele, die ihren 41. Jahrgang just unter das auf den ersten Blick allzu beliebig anmutende Motto »Spiegel« gestellt haben. Das Selbst-Bespiegeln des kreativ tätigen Menschen ist schließlich ein Grundquell aller Kunst.

Bei genauerem Hinschauen scheint dieses Thema freilich gar nicht so austauschbar zu sein. Zumal bereits seit Jahresbeginn als eine Art Festival im Festival – die »Cellomania« – hinzugekommen ist. Diese endet am 21. Mai mit einer »Langen Nacht des Cellos« und nicht weniger als 17 Cellistinnen und Cellisten – nach Auftritten von unter anderem Steven Isserlis, Elisabeth Leonskaja, Mischa Maisky, Johannes Moser, Daniel Müller-Schott und nicht zuletzt auch Intendant Jan Vogler. Da gibt sich die internationale Elite dieser Instrumentenzunft ein spiegelndes Stelldichein.

Zum Eröffnungskonzert der diesjährigen Musikfestspiele tritt mit Hartmut Haenchen am Pult ein ehemaliger Intendant gemeinsam mit dem derzeitigen auf, um Dmitri Schostakowitschs Violoncellokonzert zu interpretieren. Eine eigenständige Reihe »Originalklang« eröffnet tags drauf Altmeister John Eliot Gardiner mit den English Baroque Soloists und dem Monteverdi Choir. Sie werden in der Frauenkirche ein reines Kantaten-Programm von Johann Sebastian Bach präsentieren. Spielstätten wie das Palais im Großen Garten und die Reithalle verbinden Tradition mit Moderne, insbesondere die »Classical Beats« werden Klassik und Clubkultur miteinander verschmelzen lassen und münden in einem DJ-Set mit Jueri Gagarino aus Berlin.
Wie stets werden zu den Musikfestspielen auch große Namen gespiegelt, sei es der argentinische Tenor José Cura mit einem Liedprogramm in der Semperoper (13.5.), sei es der junge Pianist Daniil Trifonov, der mit dem Concertgenouw Orchestra unter Daniele Gatti Sergej Prokofjews 3. Klavierkonzert der 1. Sinfonie von Gustav Mahler voranstellt (16.5.). In diese Reihe der namhaften Aushängeschilder gehören unbedingt auch der kalifornische Stimmkünstler Gregory Porter, der mit seiner Band und dem Kaiser Quartett die eigenen Songs in einem quasi-klassischen Gewand spiegeln wird (20.5.), ebenso die bezaubernde Geigerin Nicola Benedetti (20.5.), ihr Violinkollege Thomas Zehetmair (21.5.) sowie der italienische Klarinettenvirtuose Gianluigi Trovesi in einem gemeinsamen Programm mit Christina Pluhar (22.5.).

Mit einer besonderen Uraufführung kommen die Münchner Philharmoniker mit dem Prager Philharmonischen Chor unter der musikalischen Leitung des Komponisten und Dirigenten Tan Dun nach Dresden und bringen die Uraufführung von dessen »Buddha Passion« in den Kulturpalast (23.5.). Das gemeinsam von den Musikfestspielen mit dem Los Angeles und dem New York Philharmonic in Auftrag gegebene Werk führt den chinesischen Künstler an den Beginn seiner internationalen Karriere zurück. Dresden war es nämlich, wo er 1983 im Alter von 26 Jahren den 2. Preis des Carl-Maria-von-Weber-Wettbewerbs errang. Hier wird er nun aus fernöstlicher Sicht den Passionswerken Europas einen Spiegel vorhalten und buddhistische Legenden in einem Monumentalwerk bündeln.

In Zukunft soll jede neue Spielzeit der Musikfestspiele von einer großen Uraufführung begleitet werden. Aber auch Künstlerinnen und Künstler vergangener Jahrgänge kommen immer mal wieder gerne nach Dresden zurück, so etwa die Pianistin Hélène Grimaud (8.6.), der bereits legendäre Tastenmagier Radu Lupu (6.6.) sowie nicht zuletzt die Sopranistin Christiane Karg (25.5.). Sie wird zusammen mit der Mezzosopranistin Elisabeth Kulman und dem Budapest Festival Orchestra unter Ivan Fischer die fulminante Sinfonie Nr. 2 c-Moll von Gustav Mahler, die sogenannte »Auferstehungssinfonie«, interpretieren. Der Konzertsaal des Kulturpalastes darf dann einmal mehr seine Eignung für großdimensionierte chorsinfonische Werke unter Beweis stellen.

Mehr und mehr etablieren sich die Festspiele auch im Crossover-Bereich. Der Cembalist und Pianist Jean Rondeau etwa wird im Ballhaus Watzke (24.5.) Musik von Domenico Scarlatti mit Improvisationen kombinieren – und sich darin selbst oder eher die unterschiedlichen Epochen spiegeln? Auch die Flying Steps kombinieren scheinbar Unvereinbares, indem die vierfachen Breakdance-Weltmeister Johann Sebastian Bach mit der Tanzform des HipHop zusammenführen (26.5.). Ungewöhnliches in Arrangement und musikalischer Literatur verspricht auch das Signum Saxophone Quartet, das Werke von Leonard Bernstein, Chick Corea, Alexander Glasunow und Josph Haydn mit Tangos von Astor Piazzolla verbindet (27.5.).

Vom 10. Mai bis zum 10. Juni währen die 41. Dresdner Musikfestspiele, die Bewährtes wie die Serenade in Pillnitz (20.5.) und das Mitsingkonzert auf dem Neumarkt (8.6.) ebenso beinhaltet wie Kinder- und Familienangebote sowie Repertoirevorstellungen der Klangkörper vor Ort. Auch die spiegeln sich im internationalen Stelldichein dieser Festspiele.
Michael Ernst

Dresdner Musikfestspiele: Spiegel 10. Mai bis 10. Juni
www.musikfestspiele.com