Ein Clown als Meisterbürgermeister

Die Serkowitzer Volksoper präsentiert in der Saloppe »Böser Clown«

Foto: Robert Jentzsch

Volksoper, Klappe, die 13.: Im siebten Jahr in der Sommerwirtschaft Saloppe gastierend, geht die Reise der neuen Premiere gen Italien, weil dort Ferruccio Busoni, Sohn einer deutschstämmigen Pianistin aus Triest, der mit sieben schon Klavierkonzerte gab und die ersten acht Stücke auf dem Buckel hatte, geboren ward. In seiner Vita, 1924 in Berlin geschlossen, stehen auch vier Opern, darunter eine Hamburger Brautwahl, ein Züricher Turandot und ein Dresdner Doktor Faust, aber auch »Arlecchino oder Die Fenster« – uraufgeführt als Turandot-Vorspiel in Zürich anno 1917, denn es war nicht abendfüllend, eher ein »theatralisches Capriccio in einem Aufzug«.

Nun wird dessen Handlung in der Saloppe vor der Pause nachempfunden – die Geschichte des armen Schneiders Matteo, der seine Dante-Begeisterung bitter büßen muss, indem der böse Harlekin ihn dreimal narrt. Nach der Pause – 150 Jahre Knast – landen Clown und Gattin in der Jetztzeit, wo just der Bürgermeister zurücktrat (nicht wegen Ehebruchs oder Reiseaffärekosten) und für den armen Matteo alles immer schlimmer wird. Die Bank, die Rüstungslobby und die Armee fordern ihren Tribut, er zerknüllt seine Mopo und wird richtig zornig, während Harlekin seine Chance sofort erkennt: Er taugt ob seiner Untugend als Meisterbürgermeister …

Philipp Schreyer, gebürtiger Hallenser und seit 2021 als Bariton in der Volksoper dabei, löste nicht nur Falk Joost als Trägervereinsvorsitzenden ab, sondern hat hier als Pope (genannt Abbate), aber vor allem als neuzeitiger Matteo, nennen wir ihn Wutbürger, große Momente. Er wird durch die Bande vermeintlicher Eliten, die sich vom Clown derart manipulieren lassen, dass diese ihn sogar spendabel im Voraus bezahlen, restlos abgezockt, wobei die Idee mit dem Silberbesteck, für das er sein Haus zurückkaufen könnte, wirklich grandios ist.

Ein sensationelles Debüt feiert Jungtenor Yonah Raupers, der als Cavaliere Leandro seinen Gesang im Werben um Colombina mit einem Salto rückwärts aus dem Stand untermalt. Wie er einerseits als erster Matteo treudoof in den Krieg gegen die germanischen Barbaren zieht und damit sein Weib an den bösen Clown verliert, andererseits als Leandro auch dessen Weib erliegt – und somit von Sopranistin Dorothea Wagner, die alle Weiblichkeit der ganzen Szenerie in drei Ausführungen verkörpert, einerseits betrogen, andererseits missbraucht wird, ist höchst amüsant. Wolf-Dieter Gööck, gelernter Bass, der irgendwann dieses Jahr den 30. Jahrestag der Grundidee seiner neuen deutschen Volkseroperung feiern wird und dafür seit 1997 mit Milko Kersten, heuer sächsischer Musikratspräsident, einen kongenialen Partner fand, spielt anfangs den Doktor, später den Rüstungsboss Armaiolo und hat als Schulterstücke Spielzeugpanzer (Ausstattung: Tom Böhm). In dynamischer Eleganz alles überragend: Altistin Julia Böhme, gebürtige Eilenbürgerin, die als Harlekin, genauer Arlecchino, in jeder Szene ihren Schabernack, fußend auf Todsünden, treibt.

Überhaupt erstaunt das filigrane Spiel, denn neben forscher Bühnenpräsenz und einer gelungenen Auf- und Abtrittschoreografie auf engster Bühne erfordert die Nähe zu den rund 150 Zuschauern im überdachten Halbrund vorm Saloppe-Zirkuswagen auch genaue Mimik, die alle wunderbar konzentriert beherrschen, die aber auch aufgrund der augen- wie mundfixierten Maske von Mia Kersten so markant wirkt. Wie gewohnt, gelingt so dem offensichtlich sehr homogenen Ensemble eine der drei überzeugendsten Neuproduktionen dieser Spielzeit, zumal sie wieder den Zeitgeist ordentlich vermöbelt und moralisch klare Kante zeigt: Denn es ist eigentlich relativ leicht, auf der Suche nach Übeltätern den Geldspuren zu folgen. Die darüber gelegte Kunstfertigkeit ist das Besondere dieser dichten Abende.

Dabei fällt die Reduktion auf ein Quintett, bei dem ein jeder (außer Harlekin Böhme) in drei Rollen auftaucht, spielerisch nicht ins Gewicht, fulminant die Verquickung von Compositeur und Pianist Kersten, der sein Quartett namens Musi nad Labem – mit Karina Müller, Daniel Rothe und Dietrich Zöllner – an Violine, Klarinetten und Kontrabass mit einer kammermusikalischen Melange aus besten Zeiten fordert und zudem eine schöne Idee von neun Herren, rings um Busonis deftiger Kartoffelsuppe, die ihn im Sommerwirtschaftsbuhlen um Rosa Wertheim animierten, ausformuliert.

Mit dabei: Weill, Krenek und Prokofjew, all das aus der Entstehungszeit rings um 1914, als Busoni das brillante Libretto schrieb – wobei die Herren Gööck und Kersten sich schon einmal am Anfang ihrer Volksoperei – damals ziemlich originalgerecht – dem Arrlecchino widmeten, was für eine Stunde reicht.

Hier nun die Verlängerung – mit einem geschickt eingebauten Evergreen – einer neuen Version vom »Kanonensong« aus der Dreigroschenoper: »Wer uns‘re Freiheit nicht akzeptiert, dem drücken wir sie aufs Auge. Zeigt sich kein Feind, dann wird scharf kalkuliert, wer als Nächstes zum Feinde tauge« – um dann in den großen Refrain einzufallen, der (wie im Original) mehrere Tage im Hirn bleibt: »Wir brauchen Drohnen/und blaue Bohnen/zum Schutz der ganzen Welt …«
Wer allerdings einen starken Beweis sucht, wie rasch gute Texte durch mitten in Worte eingefügte mathematische Zeichen schlechter lesbar geraten (und zudem ungenauer werden), der vergleiche gern das aktuelle Programmheft mit früheren Exemplaren.
Andreas Herrmann

Böser Clown. Eine Manipulation nach Ferruccio Busoni von Wolf-Dieter Gööck (Buch & Regie) und Milko Kersten (Musik); Ausstattung: Tom Böhm; Sommerwirtschaft Saloppe Dresden. Nächste Vorstellungen: 21. und 28. August.
www.serkowitzer-volksoper.de